Geldpolitik:Die Notenbanken stehen vor schwierigen Entscheidungen

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Der Welthandel schrumpft. Davon sind exportorientierte europäische Volkswirtschaften betroffen. Im Bild die deutsche Schiffswerft Blohm+Voss. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)
  • EZB und Fed müssen in den kommenden Wochen wegweisende Entscheidungen treffen: Sollen sie die Geldpolitik weiter lockern, die Leitzinsen senken?
  • Seit einem Jahrzehnt ist die Inflationsrate zu niedrig, der Handelskonflikt bremst die Konjunktur. Die Kreativität der Notenbanken scheint erschöpft.
  • Sollten sich die Konjunkturaussichten weiter eintrüben, dann wäre es an den Regierungen, die Geldpolitik zu entlasten.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Für Mario Draghi beginnen Wochen des Abschieds. Der Präsident der Europäischen Zentralbank wird noch drei Sitzungen seines Zentralbankrates hinter sich bringen und in drei Pressekonferenzen die Beschlüsse des Gremiums erläutern, bevor er in die Geschichte eingehen wird als derjenige EZB-Präsident, der mit seinen Gefolgsleuten die Euro-Zone gerettet hat. Aber auch als derjenige, in dessen Amtszeit seit dem Jahr 2011 die Inflation nicht zurückgekommen und der Zins verschwunden ist und mit ihm alte Paradigmen der Geldpolitik. Und Draghi könnte, bevor er die Leitung der Zentralbank im November an die bisherige IWF-Chefin Christine Lagarde abgibt, die Geldpolitik der Euro-Zone weiter lockern, sehr zum Unmut der Banken in Deutschland, sehr zur Freude von Kreditnehmern. Schon in der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag in einer Woche könnte eine Entscheidung fallen.

Eine knappe Woche später steht eine weitere wegweisende Zinsentscheidung an. Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank Fed dürfte Ende des Monats zum ersten Mal seit zehneinhalb Jahren gegensteuern und die Leitzinsen um mindestens einen viertel Prozentpunkt absenken. Fed-Chef Jerome Powell weckt seit einiger Zeit entsprechende Erwartungen. In der vergangenen Woche hatte Powell vor dem US-Kongress erstmals öffentlich erklärt, die Währungshüter hätten es mit den Leitzinserhöhungen der vergangenen Jahre möglicherweise übertrieben. Am Dienstagabend sagte Powell in einer Rede anlässlich der G7-Finanzministerkonferenz in Paris, die Zentralbank habe die Abwärtsrisiken für die US-Wirtschaft genau im Blick. Man werde "angemessen reagieren, um den Aufschwung zu bewahren".

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Neue Ideen sind gefragt

Die Ausgangslage der beiden Zentralbanken mag höchst unterschiedlich sein, die jeweiligen Gründe für eine Lockerung der Geldpolitik sind sehr ähnlich: Powell und Draghi sind mit den schwächsten Wachstumsaussichten seit einem Jahrzehnt konfrontiert, mit einer zu niedrigen Inflationsrate und mit einem Handelskonflikt, der die Konjunktur dies- und jenseits des Atlantiks zusätzlich ausbremst.

Ihre geldpolitischen Möglichkeiten aber sind begrenzt, und es ist schwer abzuschätzen, wie effektiv die angedachten Maßnahmen überhaupt noch sind. "Wir müssen weiterhin zusätzliche Strategien und Instrumente abwägen, um unsere Inflations- und Beschäftigungsziele zu erreichen", sagte Powell in seiner Rede und forderte "neue Ideen". Im 75. Jahr nach der Konferenz von Bretton Woods, mit der die internationale Zusammenarbeit in Währungs- und Handelsfragen besiegelt wurde, und nach weltweit 700 Zinssenkungen seit der großen Rezession scheint die Kreativität der Notenbanken erschöpft.

Der Leitzins in der Euro-Zone liegt seit dem Frühjahr 2016 bei null Prozent. Geschäftsbanken können sich damit kostenlos Geld bei der EZB leihen, verlangen für Kredite historisch niedrige Zinsen, zahlen im Gegenzug aber auch keine Zinsen mehr auf Spareinlagen. Mit Anleihekäufen über 2,7 Billionen Euro stabilisierte die EZB die Euro-Zone, drückte aber zugleich das allgemeine Zinsniveau noch weiter und nahm die Gefahr von Preisblasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten in Kauf.

Banken, die auf Geschäftskonten der Notenbank Geld parken, müssen darauf zur Zeit 0,4 Prozent Strafzinsen bezahlen - sie sollen ihre liquiden Mittel nicht bei der EZB einlagern, sondern durch Kredite an Kunden und andere Kreditinstitute in Verkehr bringen. Ihr Ziel, im Durchschnitt der Euro-Zone eine Inflationsrate unterhalb, aber nahe zwei Prozent zu erreichen, verfehlt die EZB trotzdem: Im Juni lag die Teuerungsrate bei nur 1,3 Prozent, mit sinkendem Trend. Und das ohnehin verhaltene Wachstum schwächt sich zusehends ab. Sehr zum Verdruss der Deutschen Kreditwirtschaft denkt das EZB-Präsidium deshalb darüber nach, den Einlagenzins weiter abzusenken. Spätestens im September könnte es soweit sein. "Wenn die EZB ihr Inflationsziel ernst nimmt, hat sie einen Grund, die Geldpolitik zu lockern", sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg. Der Einlagenzins stehe zur Diskussion, weil man ihn relativ einfach weiter absenken kann. "Das geldpolitische Argument ist klar. Ob das dann auch viel bringt, ist eine andere Frage", sagt er.

Christine Lagarde, künftige EZB-Chefin, im Gespräch mit Noch-Chef Mario Draghi. Das war vor gut vier Jahren. Nun ist es die Französin, die vor schweren Entscheidungen bei der Notenbank steht. (Foto: Julien Warnand, dpa)

Der Zollstreit belastet den Welthandel

Eine Frage, auf die es keine gute Antwort mehr gibt. Der Effekt einer weiter gelockerten Geldpolitik könnte gleich wieder verpuffen: Der Welthandel schrumpft infolge des Zollstreits der USA, wovon die stärker exportorientierten europäischen Volkswirtschaften umso stärker betroffen sind. Drei wesentliche Gründe hemmen zudem die Inflation: In alternden Gesellschaften wird mehr gespart und weniger konsumiert, in einer globalen, digitalen Wirtschaft steigen die Preise von Konsumgütern tendenziell nicht mehr, und trotz des so lange währenden Aufschwungs steigt der Lohndruck nicht mehr so wie einst. Europa, so fürchten nicht zuletzt die Volkswirte der EZB, könnten japanische Verhältnisse bevorstehen: Niedrigzinsen und geldpolitische Experimente für sehr lange Zeit, wenig Wachstum, kaum Inflation.

Die Federal Reserve hat im Gegensatz zur EZB mehr Spielraum, sie kann immerhin den Leitzins senken - erzeugt gerade damit aber Druck auf die anderen wichtigen Notenbanken, ebenfalls zu reagieren. Der Ruf nach mehr fiskalpolitischer Unterstützung, wie er aus dem angelsächsischen Raum verlässlich erklingt, ist deshalb nachvollziehbar: Sollten sich die Konjunkturaussichten weiter eintrüben, können die Zentralbanken nicht mehr allein etwaige Krisen bekämpfen - dann wird es höchste Zeit für Regierungen, mit neuen Reformen und öffentlichen Investitionen die Geldpolitik zu entlasten. Darauf weist seit Jahren auch Draghi hin. Genau wie die Ökonomen des IWF, jener Institution, die Draghis designierte Nachfolgerin Christine Lagarde noch bis zum 12. September leiten wird.

© SZ vom 18.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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