Geldpolitik:Die Notenbank an unserer Seite

EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellt neue Hilfen für Europas Wirtschaft in Aussicht. Ihr erstes Jahr im Amt bezeichnet sie als "ziemlichen Ritt".

Von Markus Zydra, Frankfurt

Geldpolitik: EZB-Präsidentin Christine Lagarde: "Ich bin weder Taube noch Falke. Meine Absicht ist es, eine Eule zu sein."

EZB-Präsidentin Christine Lagarde: "Ich bin weder Taube noch Falke. Meine Absicht ist es, eine Eule zu sein."

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Christine Lagarde gab zu ihrem Amtsantritt ein Versprechen, das mancher als Drohung verstehen konnte. Sie wolle in der Notenbank "jeden Stein umdrehen", sagte die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank vor ziemlich genau einem Jahr. Inzwischen weiß man, wie ernst es ihr damit ist. Die Französin macht vieles anders als ihre Vorgänger: Lagarde fordert eine "grüne" Geldpolitik, sucht die Nähe zu Europas Bürgern und bindet diese ein in die Debatte über eine neue Strategie für die Notenbank. Sie möchte einfacher kommunizieren, damit auch die geldpolitisch weniger versierten Menschen besser verstehen, was die verkopften Währungshüter tun. Darüber hinaus will die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds intern den Teamgeist stärken, den ihr Vorgänger Mario Draghi durch seine vielen Alleingänge so sehr torpediert hatte. All das zusammen sind bereits Aufgaben, deren Bewältigung eine gute Portion Heroismus verlangen.

Doch oben drauf kam dann ab März noch der harte Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie. Dieser stand auch im Mittelpunkt der Beratungen im EZB-Rat am Donnerstag, in einer Zeit als zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten beschlossen haben, Teile des Wirtschaftslebens wieder herunterzufahren. Lagarde versprach Hilfe: "Die EZB war da in der ersten Welle, die EZB wird auch in der zweiten Welle der Pandemie da sein." Bei ihrem nächsten Treffen im Dezember werde der EZB-Rat "alle Instrumente prüfen", um eine "optimale Antwort" zu geben. Dann habe man mehr Klarheit, wie sich die Epidemie ausbreite und wie weit die Entwicklung eines Impfstoffs gediehen sei. Den Ausgang der Präsidentenwahl in den USA bezeichnete Lagarde als "geopolitisches Risiko", das die Notenbank berücksichtigen müsse.

Nach Lagardes Auftritt gilt es als so gut wie sicher, dass die EZB ihre Hilfen zum Jahreswechsel massiv ausweiten wird. Bislang setzt die Notenbank ein Anleihekaufprogramm von 1,35 Billionen Euro um. Experten rechnen mit einer Erhöhung um mindestens 500 Milliarden Euro. Aber es könnten mittelfristig auch andere Maßnahmen in den Mittelpunkt rücken. Mancher ruft nach Aktienkäufen, so wie es die japanische Notenbank tut. Dann gibt es die Idee vom Helikoptergeld: Die EZB könnte den Bürgern Geld geben statt den Banken. Beides sind Themen, die in der Notenbank sehr umstritten sind. Aber das dürfte Lagarde nicht schrecken, treibt sie doch mit ihrem Ruf nach einer umweltgerechten "grünen Geldpolitik" sowieso schon einen Paradigmenwechsel voran.

Die von Lagarde forcierte Öffnung der Bank für neue Themen begeistert nicht alle. Wie locker kann man über Geldpolitik reden? Lagarde verwies neulich auf ein Video von Jamaikas Notenbank. Darin tanzen junge Leute in der Sonne zu Reggae-Musik, der Songtext erklärt die Vorzüge stabiler Preise. Ein Vorbild für die EZB oder Infantilisierung eines wichtigen Themas?

Sie selbst sei keine "tolle Ökonomin", hat Lagarde einmal über sich selbst gesagt. Ihre Stärke ist der Führungsstil. Die Kollegen dürfen glänzen und werden ernst genommen. Eine Lösung, hinter der alle im EZB-Rat stehen, das möchte Lagarde erreichen. Die ehemalige französische Finanzministerin positioniert sich nicht, weder bei den Befürwortern einer lockeren Geldpolitik (Tauben), noch bei denen, die die Zügel gerne wieder anziehen würden (Falken). "Ich bin weder Taube noch Falke. Meine Absicht ist es, eine Eule zu sein", sagte sie. Schließlich gälten Eulen als weise Tiere. Und wie war das erste Jahr an der Spitze der EZB, so eine Frage am Donnerstag? Ihre Antwort: "Ein ziemlicher Ritt."

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