Michael Meier erinnert sich genau, wie die Sache mit seinem Geld anfing und wie sie endete. Er weiß, wie er sich durch die Website des Finanzberaters klickte, wie er die Wörter Transparenz und Unabhängigkeit las. Wörter, die seriös klingen, und er erinnert sich an den Abend einige Jahre später, als er mit seinem weißen VW Polo nach Hause fährt. Als der Berater anruft und sagt: "Herr Dr. Meier, tut mir leid. Ihr Geld ist weg". Herrn Dr. Meiers Geld, das waren fast 170 000 Euro.
Dies ist die Geschichte von Michael Meier, Zahnarzt aus der Pfalz, einem groß gewachsenen Mann Ende vierzig. Einem Mann, der verheiratet ist, drei Kinder hat, der ein beachtliches Vermögen erarbeitet hat, der alles hatte. Diese Geschichte erzählt, wie er einen Teil vom Glück verlor. Sie steht stellvertretend für den Berufsstand der Mediziner. Viele halten Ärzte für Halbgötter in Weiß, weil sie Krankheiten heilen, Leben retten. Der Mythos vom Medicus, er hat einen Kunstfehler: Die Doktoren haben ihre liebe Not mit dem Geld.
Ärzte haben oft viel Geld - aber wenig Zeit, um sich darum zu kümmern
Wer mit Anlegeranwälten spricht, bekommt einen Satz zu hören, den auch Klaus Nieding sagt, einer der renommiertesten Finanzjuristen: "Ärzte werden besonders häufig Opfer von falscher Anlageberatung, oft gar von Betrug." Anwälte wie Nieding berichten, dass überdurchschnittlich viele Mediziner unter ihren Klienten sind. Es sind Ärzte wie Michael Meier, der typische Fehler gemacht hat; Missgriffe, die sich zu einem Ergebnis summieren: dem Anruf im VW Polo.
Meiers Krux ist: Der Finanzberater löste für ihn anfangs ein Problem. Meier hatte, fast zehn Jahre ist es her, seine Praxis in Norddeutschland verkauft und mit dem Geld eine neue in der Pfalz aufgemacht, um der alten Heimat näher zu sein. 170 000 Euro bleiben übrig, die will er anlegen. "Das Geld sollte einmal für ein Haus reichen", sagt er. Meier will, dass sich jemand um sein Geld kümmert, weil er so wenig Zeit hat: die Praxis, 50 Stunden arbeitet er in der Woche, die Familie.
Viel Geld, viel zu wenig Zeit, mit diesem Cocktail beginnt die Mediziner-Malaise. "Anlagehasardeure wissen darum und nutzen es aus", sagt Anwalt Nieding. Die Geldraubritter rufen Mediziner zwischen Patiententerminen an und quatschen den gestressten Ärzten Finanzmüll auf. Von solchen Fällen hat Nieding einige auf dem Schreibtisch. Zahnarzt Meier geht die Sache mit seinem Geld anfangs gründlicher an. Besser.
Meier findet im Internet einen Honorarberater, der sich in einem Punkt von einem gewöhnlichen Bankberater unterscheidet: Ein Banker erhält eine Provision, die der Anbieter eines Finanzprodukts zahlt. Der Bankberater verkauft daher vielleicht nur deshalb ein Produkt, weil es ihm selbst viel Geld bringt. Einen Honorarberater bezahlen Kunden wie Meier selbst.
Meiers Honorarberater heißt in diesem Text Winfried Schmalen, wie Meier trägt er eigentlich einen anderen Namen. Meier möchte seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen, weil er sich schämt. Weil er geglaubt hat, was er auf Schmalens Website gelesen hat, das Gerede von Transparenz, Sätze wie: "Wir beraten unabhängig von Konzerninteressen." Meier dachte: "Mein Anliegen steht im Fokus."
Meier trifft Schmalen, einen Mann mit zwei Telefonen auf dem Tisch, der das Hemd offen trägt, sich kumpelhaft gibt. "Der wirkte weltgewandt, locker, das mochte ich", sagt Meier. Er stellt Schmalen eine Frage: Was macht er mit den 170 000 Euro? Schmalen sagt: "Ich habe da etwas Interessantes."
Es geht um einen Fonds, der eine Ölplattform finanziert. Irgendwann soll sie im Golf von Mexiko liegen. Schmalen sagt, Öl brauche man doch immer, das sei ein sicheres Geschäft. Und wenn die Plattform einmal verkauft werde, verdopple sich - ganz nebenbei - Meiers Einsatz.
Nur: Es ist ein geschlossener Fonds, Anleger Meier wird Miteigentümer, der Zahnarzt wird Unternehmer im globalen Ölbusiness. Und er trägt alle Risiken bis hin zur Pleite. Meier investiert Teile seines Vermögens auch in andere geschlossene Fonds, die mal in Immobilien machen, mal in US-Lebensversicherungen. Jedes Mal überzeugt ihn Schmalen mit simplen, plausiblen Gründen, warum es klappen muss. "Und die Zinsen", sagt Meier, "die waren ja auch gut." Die Zinsen waren nicht nur gut, sie waren sagenhaft: Der Lebensversicherer-Fonds etwa soll 14 Prozent Rendite bringen. Pro Jahr.
Heute kann Meier den Punkt benennen, an dem er hätte zweifeln müssen. Es ist der Moment, nachdem er den Vertrag mit der Ölplattform unterschrieben hatte. Meier fragt Schmalen, wie viel er ihm zahlen muss, und der Berater antwortet: "Das regeln wir intern." Heute weiß der Zahnarzt, was das heißt: Schmalen hat eine Provision erhalten - und es nicht erzählt. "Ich hätte sagen sollen: Herr Schmalen, wieso muss ich Sie nicht bezahlen?", sagt Meier.
Statt zu zweifeln, fühlt er in diesem Moment etwas anderes: "Ich war euphorisiert". Er hat ja nicht nur wenig Zeit. Er ist euphorisiert, weil ihm jemand die Entscheidung abnimmt, weil er ohnehin so viel entscheiden muss, beruflich so viel Verantwortung trägt. Weil ein einziger Fehler seine Patienten ewig schädigen kann. Schmalen war für Meier wie eine Schmerztablette, die das Leben erträglicher macht. Meier hat eine Überdosis genommen.
Sie hat ihn noch anfälliger dafür gemacht, zu sehr zu vertrauen. "Ärzte geben ihren Patienten täglich den bestmöglichen Rat. Sie haben einen Eid darauf geschworen", sagt der Düsseldorfer Anlegeranwalt Jens Graf. Die Mediziner wollen das Beste für ihre Patienten, ihre Mitmenschen wollen das Beste für sie, so denkt so mancher Arzt, so hat es Meier geglaubt. Mancher Mediziner, das ist ein anderer Grund für die Malaise, ist naiv und oft unwissend.
Mediziner entscheiden über Leben und Tod. Überschätzen sie sich deshalb in Finanzdingen?
In der Finanzwelt existiert eine Elementargleichung: Je höher der mögliche Gewinn, desto höher das Risiko. Meier sagt, er habe die Gleichung nicht gekannt. Hätte nicht gewusst, welche Risiken ein geschlossener Fonds hat, weil ihn Schmalen nicht aufgeklärt hat. Das Problem ist: "Ärzte lernen im Studium nichts über Wirtschaft und Finanzen, obwohl sie später womöglich eine Firma führen", sagt Davor Horvat, Chef der Karlsruher Anlageberatung Honorarfinanz. "Mediziner sind Ökonomielaien." Und mancher Doktor überschätzt womöglich noch seinen Finanzverstand, weil das berufliche Wissen ja reicht, um Leben und Sterben zu managen.
Meier ist überrascht, als die Fonds pleitegehen. Als der Ölpreis fällt, sich die Plattform nicht mehr rechnet. Meier ist sehr höflich, erzählt nicht, wie genau er auf den Anruf reagiert hat. Er sagt nur: "Ich bin explodiert".
Meier wollte sich sein Geld zurückholen. Er verklagte Schmalen und verlor. Es war hoffnungslos, weil Meier unterschrieben hat, dass Schmalen die Risiken erläutert hat. Und im Kleingedruckten stand, dass der Berater eine Provision erhält. Meier hat den Passus nicht gelesen, hat Schmalen ja vertraut, hat es erst vor dem Prozess herausgefunden. "Die Schuldvorwürfe, die ich mir selbst mache", sagt Meier, "die zerreißen mich." Ein Haus wird er sich wohl nie leisten können.