Geldanlage:Mehr als grünes Geschwätz

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Windräder sind fester Bestandteil der Energiewende. Doch niemand möchte sie vor der eigenen Haustür haben.

(Foto: Valentin Flauraud/dpa)

Investoren interessieren sich nicht mehr nur für Firmengewinne, sondern legen auch Wert auf eine gute Konzernkultur und mehr Umweltschutz. Das wird nun sogar ein Thema beim G-20-Gipfel.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Die Welt, wie Andreas Feiner sie vor Augen hat, ist noch eine Vision. Aber er kann sie schon vorzeigen. Feiner schiebt ein Notebook über den Konferenztisch, auf dem Bildschirm erscheint eine Tabelle mit den Namen bekannter Börsenkonzerne, daneben Zahlen zwischen null und hundert: Ein Programm namens S-Ray, das aus Zehntausenden Datenpunkten in Echtzeit errechnet, wie umwelt- und menschenfreundlich ein Unternehmen ist. Feiner, 38, Ex-Investmentbanker und Mitgründer der jungen Frankfurter Fondsgesellschaft Arabesque, ist ehrgeizig: "S-Ray soll für die Finanzindustrie das tun, was der X-Ray für die Medizin geschaffen hat", sagt er.

Es gibt immer mehr ökobewusste Anleger, darauf reagiert die Finanzindustrie

Maximale Transparenz, präzisere Diagnosen, bessere Therapien: In Feiners Welt interessieren sich Banken und Investoren nicht mehr nur für Finanzdaten, sondern auch für Dinge, die bislang geschönt und schwammig formuliert in Nachhaltigkeitsberichten standen. In dieser Welt wollen sie genau wissen, was eine Firma tut, damit es den Mitarbeitern gut geht, was sie für den Klimaschutz leistet, ob Vorstand und Aufsichtsrat die Regeln guter Unternehmensführung einhalten. Die Trias aus Umweltschutz, sozialen Belangen und Führungsregeln ist heute unter der englischen Abkürzung ESG (Environmental, Social and Governance) bekannt.

Über diese Kriterien schreiben und reden Unternehmen viel - Feiner und seine 27 Kollegen gehören zur wachsenden Zahl jener Experten, die sie übersetzen. "ESG-Kriterien werden künftig zu Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder die Dividendenrendite", sagt Feiner voraus.

Nachhaltigkeit und die Finanzindustrie, das passte lange nicht zusammen. Anfangs gab es eine Reihe von Investoren, die in einer kleinen Nische des Marktes grüne Produkte erfanden. Fonds etwa, die Investitionen in Waffenhersteller, Öl- oder Tabakkonzerne ausschlossen. Nach und nach machten größere Fondshäuser und Banken dabei mit und vermarkteten Anlageprodukte für ökobewusste Gutverdiener. Inzwischen gibt es prominente Stiftungen, Pensionskassen und Versicherungen, die sich im Sinne des Klimaschutzes von Investitionen in fossile Brennstoffe lossagen. Aber die Mehrheit der Investoren interessiert sich nicht für grünes Gerede.

Am Ende zählt die Rendite, die Moral kommt - wenn überhaupt - irgendwann danach. Geht ein Konzern besonders verantwortungsvoll mit Menschen und Umwelt um, wird das schnell vergessen, wenn Umsätze, Aktienkurs und Dividende sinken.

Das ändert sich jetzt, angetrieben von zwei Entwicklungen der vergangenen Jahre. Erstens haben Skandale wie der Dieselbetrug in der Autoindustrie, die Bilanztricksereien von Konzernen wie Toshiba oder Valeant und nicht zuletzt die Milliardenstrafen für Banken nach der Finanzkrise gehäuft gezeigt, dass es doch nicht nur auf die Ziffern in der Bilanz ankommt und es riskant sein kann, ESG-Faktoren nicht zu beachten. Zweitens erfasst die Datenrevolution bald auch sämtliche Verästelungen des Finanzsystems. Andreas Feiner spricht von einem "Zeitalter der Hypertransparenz", das damit gerade beginne.

Noch bis vor Kurzem ließen sich weiche Faktoren wie die Führungskultur nämlich schlecht in Zahlen ausdrücken. Die meisten ESG-Informationen stammen nicht von unabhängigen Dritten, sondern von den Unternehmen selbst, sind beschönigt oder nicht konkret genug. Nachhaltigkeits-Ratingagenturen wie Oekom oder Sustainalytics erstellen zusätzlich Ranglisten anhand von Fragebögen, sind ansonsten aber weitgehend auf freiwillig veröffentlichte Daten angewiesen. Allmählich aber wird fast alles messbar - und öffentlich bekannt: Konzerne können vieles nicht mehr verstecken, was früher nie bekannt geworden wäre. Und Übersetzer wie Arabesque erfassen alle Daten, die sie finden können, gewichten sie nach ihrer Aussagekraft und speisen damit selbstlernende Software.

Das beschränkt sich längst nicht mehr auf ein paar missionarische Nerds, die mit ihren Fonds beweisen wollen, dass mehr Nachhaltigkeit mehr Rendite bringt. Die Großen der Branche haben das Thema entdeckt: "Der ganze Komplex ESG wird als Instrument des Risikomanagements unterschätzt", sagt Wolfgang Fink, Deutschland-Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs. Sein Arbeitgeber steht sonst nicht im Verdacht, besonders grün zu ticken - es sind die Kunden, die zunehmend nach ESG-Daten verlangen. "Wir können inzwischen herauslesen, welche Faktoren am stärksten mit dem langfristigen Erfolg einer Firma korrelieren", sagt Fink. Nachhaltigkeit ist eben viel mehr als Geschwätz, wenn man sie in die Risikoanalyse integriert.

Eine Erkenntnis, die sich auch in den Spitzen von Weltpolitik und Hochfinanz herumspricht. Deutschland hat "Green Finance", grüne Finanzen, zu einem der Schwerpunkte seiner diesjährigen G-20-Präsidentschaft erklärt. Die Europäische Kommission hat eine "Expertengruppe für nachhaltige Finanzen" ernannt. Sie soll bis Ende des Jahres einen Bericht erstellen, auf dessen Grundlage die Behörde den finanzpolitischen Rahmen der EU reformieren will.

Das Problem: Global einheitliche Standards fehlen bislang

Larry Fink, Chef des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock, wies in seinem Neujahrsbrief an Konzernchefs explizit auf die Bedeutung von ESG-Faktoren hin. Nach einer Erhebung der Organisation Asset Owners Disclosure Project berücksichtigen inzwischen 60 Prozent der 500 größten Investoren der Welt die Risiken des Klimawandels bei Investitionen. Solche Bekenntnisse seien vor wenigen Jahren undenkbar gewesen, sagt Kristina Jeromin, die bei der Deutschen Börse den Konzernbereich Nachhaltigkeit leitet. "Es ist längst überfällig, dass ESG-Kennzahlen flächendeckend als finanzielle Kennziffern angesehen werden", findet sie.

Bis damit Andreas Feiners Vision der Wirklichkeit entspricht, wird es noch eine Weile dauern. Denn global einheitliche Standards zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung beschränken sich noch auf Empfehlungen. Bis vor Kurzem fiel es Finanzmarktforschern außerdem schwer, einen Zusammenhang zwischen ESG-Kriterien und dem Wachstum einer Firma nachzuweisen. Auch das ändert sich. In einer im April veröffentlichten Studie listet Goldman Sachs auf, welche Faktoren am meisten mit der Aktienkursentwicklung korrelieren. Stärkster Faktor laut Goldman-Berechnungen: Wenn Konzerne mehr Frauen beschäftigen, steigt ihr Aktienkurs überproportional.

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