Imaru Casanova arbeitet für die Fondsgesellschaft VanEck in New York. Seit 14 Jahren beschäftigt sie sich professionell mit Edelmetallen, aber so etwas wie in den vergangenen Wochen, sagt sie, „habe ich noch nie erlebt“. Seit Ende August ist der Preis für eine Feinunze Gold (31,1 Gramm) jede Woche um rund 100 US-Dollar gestiegen, insgesamt waren es 700 Dollar. Ausgehend von einem Kurs von 3350 Euro bedeutet das ein Plus von mehr als 20 Prozent. Am Mittwochfrüh übersprang der Preis schließlich die Schwelle von 4000 Dollar. Damit hatten Experten frühstens im nächsten Jahr gerechnet. Erst im März war die 3000-Dollar-Schwelle gefallen.
Das Edelmetall Gold hat eine lange Geschichte, aber an einen solch steilen Preisanstieg in so kurzer Zeit (siehe Grafik) kann sich nicht nur Anlageexpertin Casanova nicht erinnern. Trotzdem ist sie nicht überrascht darüber. „Wenn die Dinge überall schlecht sind, brauchen Investoren Sicherheit in ihrem Portfolio“, und die erste Wahl dabei sei das Edelmetall Gold, das seinen Wert über Tausende Jahre erhalten hat. Sie zählt die Gründe auf: reale Kriege, Zoll-Kriege, schwache Weltkonjunktur und hinter alldem eine drohende hohe Inflation. Die Gründe seien auch jetzt bei einem Goldpreis von 4000 Dollar nicht weg, deshalb glaubt Casanova, dass der Preisanstieg nicht vorbei ist. „Es ist möglich, dass wir in den nächsten zwölf Monaten 5000 Dollar sehen“, sagt sie. Zwar seien auch Rückschläge auf 3500 oder 3600 Dollar möglich, doch auf längere Sicht geht sie in jedem Fall von einem höheren Goldkurs aus.
Normal wäre es nach einem solchen Preisschub, dass die warnenden Stimmen zunehmen. Schließlich kann es nicht in einem solch atemberaubenden Tempo weitergehen. Casanova vergisst auch nicht, vor den Risiken zu warnen. Nach starken Anstiegen war es bei Gold häufig so, dass es zu einer Phase der Konsolidierung kam, die auch Jahre dauern konnte. Insgesamt gab es seit 1970 drei starke Preisschübe: Anfang der 1970er-Jahre, als wegen des Vietnam-Krieges die US-Staatsverschuldung überhandnahm, von 2000 bis 2010 nach dem Platzen der Internetblase auf dem Aktienmarkt – und schließlich jetzt seit dem Jahr 2018, als der Goldpreis noch bei rund 1200 Dollar war, er hat sich seitdem also mehr als verdreifacht. Es ist kein Wunder, dass diese Jahre von einer Reihe Krisen begleitet wurden: Coronavirus, Inflationsschub, Ukraine-Krieg, Israel-Krieg.
Erstaunlich ist, dass viele Edelmetallexperten trotz dieses Preisbooms weiterhin optimistisch für Gold sind. „Wir erwarten, dass der Goldpreis in nächster Zeit noch bis auf 4500 oder 5000 Dollar steigen kann“, sagt Mirko Kohlbrecher, Investmentstratege bei der Vermögensverwaltung Spiekermann & CO in Osnabrück. Danach sei zwar ein spürbarer Abfall von 15 bis 20 Prozent möglich, doch anschließend könne es in einer weiteren Welle hochgehen. „In jedem Fall ist der Aufwärtstrend beim Goldpreis intakt“, sagt Kohlbrecher. Er nennt den mit Abstand wichtigsten Grund dafür: Inflation. „Wenn Währungen verfallen, ist Gold immer der sichere Anker für Investoren“, sagt er. Die westliche Welt sei von einem deflationären in ein inflationäres Regime gewechselt, das seiner Einschätzung nach auch in den nächsten 20 Jahren anhalten werde.
„Dies muss auch Auswirkungen auf die Anlagestrategie haben“, sagt der Experte. Seine Fondsgesellschaft VanEck sei auch in der Vergangenheit schon sehr optimistisch in Bezug auf Gold gewesen und habe für ein offensives Depot einen Anteil von bis zu 20 Prozent empfohlen. „Ich wage zu bezweifeln, dass ein Gold-Anteil von fünf Prozent ausreicht, den viele Experten für Privatanleger empfehlen“, sagt er. Anlegern, die langfristig investierten und einen Abschwung aushalten könnten, empfehle er eine Quote von mindestens zehn Prozent im Depot. „Wir befinden uns in einem Umfeld, das Gold noch lange, lange begünstigen wird.“
„Wenn Gold spricht, schweigt die Welt“, lautet eine Börsenweisheit
Blickt man auf die Details, landet man schnell bei der hohen Staatsverschuldung der westlichen Industriestaaten, die tendenziell zu Inflation führt. Die USA haben ihre Schulden seit 1969 auf 37 Billionen Dollar verhundertfacht, sie zahlen 1,1 Billionen Dollar im Jahr für Zinsen. Und Präsident Donald Trump macht weiter Schulden über Schulden. Das Vertrauen in den US-Dollar hat bereits stark gelitten. Chinas Zentralbank tauscht in großem Stil US-Staatsanleihen gegen Gold. Auch andere Notenbanken der Welt haben sich in den vergangenen Jahren stark mit Gold eingedeckt, und ein Ende ist nicht in Sicht. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass sie das Vertrauen in die eigenen Währungen verloren haben – und ein wichtiger Grund für den Goldboom der vergangenen Jahre. Auch in Europa geht der Trend zu höherer Staatsverschuldung. Frankreich ist das abschreckende Beispiel der Stunde.
Manfred Schlumberger, Chefvolkswirt der Fürstlich Castell’schen Bank, weist auf die Umfrage der Bank of America bei Fondsmanagern auf der ganzen Welt hin. Demnach liegen derzeit lediglich 2,4 Prozent des verwalteten Vermögens in Gold. „Vor dem Hintergrund der weltweiten Staatsverschuldung und der geopolitischen Unsicherheiten spricht viel für einen weiteren Preisanstieg von Gold – lediglich unterbrochen von temporären Korrekturen“, sagt Schlumberger.
Was gut für den Goldkurs ist, ist schlecht für den Rest der Welt. „Wenn Gold spricht, schweigt die Welt“, lautet eine alte Börsenweisheit.

