Geldanlage:Schweizer Banken behalten zu Unrecht Provisionen ein

SWITZERLAND

Der Paradeplatz in Zürich, Zentrum der Schweizer Finanzwelt, hat schon bessere Tage gesehen.

(Foto: Mark Henley/Panos/Visum)
  • Auch bei Finanzprodukten kann es Provisionen geben, wenn Kunden den Anbieter wechseln. In der Schweiz hat das Bundesgericht hat in zwei Urteilen entschieden, dass diese Retrozessionen den Anlegern zustehen und nicht den Banken.
  • Trotzdem haben Schweizer Banken die Retrozessionen oft nicht an ihre Kunden weitergegeben. Sie sollen so Millionen Euro erwirtschaftet haben, die ihnen nicht zustehen.
  • Besonders Steuerbetrüger fürchten einen Rechtsstreit, mit dem sie womöglich den deutschen Fiskus auf sich aufmerksam machen.

Von Uwe Ritzer, Zürich

Ein deutsches Ehepaar legt drei Millionen Euro bei einer Großbank in der Schweiz an. Das Geld wartet dort aber nicht einfach auf einem Nummernkonto auf Zinsen, sondern es vermehrt sich, indem es wandert. Mehrmals im Jahr schichtet der Vermögensverwalter in Zürich nach kurzer telefonischer Rücksprache mit den Eheleuten deren Vermögen um: Aktien, Zertifikate, Fondsbeteiligungen, Wertpapiere, Versicherungen - mal hiervon mehr, mal davon.

Und jedes Mal kassiert die Bank kräftig mit. Nämlich Provisionen und andere Kick-back-Zahlungen von denen, welche die entsprechenden Finanzprodukte anbieten. Schweizer Banken haben mit solchen Beteiligungen an den Produktgebühren in der Vergangenheit zig Milliarden Euro eingestrichen.

Dabei steht ihnen das Geld gar nicht zu. Gleich in zwei Grundsatzurteilen hat das Schweizer Bundesgericht in Lausanne im März 2006 und im Oktober 2012 entschieden, dass nicht die jeweilige Bank, sondern der Anleger Anspruch auf diese Vergütungen hat, in der Schweiz Retrozessionen genannt. Nur wissen vor allem ausländische Anleger häufig nichts von ihrem Anspruch. Und die Neigung der Geldhäuser, ihnen das Geld freiwillig zukommen zu lassen, geht gegen null.

"Von den Banken über den Tisch gezogen"

Spätestens nach dem zweiten Urteil der höchsten Richter 2012 "hätte man erwarten können, dass die Banken offensiv informieren und verlorene Reputation wieder gutmachen würden", schrieb ein Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). "Diese Chance wurde vertan."

Herbert Notz, 59, formuliert es noch drastischer. "Die Leute wurden von ihren Banken jahrelang über den Tisch gezogen und jetzt spielen diese Banken auf Zeit." Notz, ein früherer Roland-Berger-Berater, hat sein Büro unweit des Züricher Paradeplatzes, wo die mondänen Bankhäuser stehen. Auch die elegante Zürichsee-Promenade ist nicht weit. Er kennt auch die (im übertragenen Sinne) versteckten, schmutzigen Ecken des Finanzplatzes. Seit vielen Jahren spürt der gebürtige Allgäuer von Zürich aus Geldverstecke auf, von denen eigentlich niemand etwas erfahren soll. Oft sind es Erben, die Notz mit der Suche nach Vermögen beauftragen, das vor ihnen, von wem und warum auch immer, versteckt wird. Seit einiger Zeit jagt Herbert Notz auch besagten Retrozessionen hinterher.

Er fischt einige Blatt Papier mit Zahlenkolonnen aus einem Aktenordner. Der deutsche Kunde einer Zürcher Bank hat Notz gebeten, auszurechnen, wie viel an Retrozessionen ihm angesichts der beiden Urteile für seine Anlagen zusteht, rückwirkend für mehrere Jahre. Experten schätzen, dass durchschnittlich ein Prozent des Anlagevolumens pro Jahr an Retrozessionen an die jeweilige Bank geflossen sind. Je nachdem, wie oft das Vermögen umgeschichtet wurde.

Oft geht es um sechsstellige Summen

Bei vielen Kunden kommen im Lauf der Zeit sechsstellige Beträge zusammen. Das im Einzelfall exakt zu ermitteln ist aufwendig, wie Notz anhand seiner Listen zeigt. Kompliziert wird es, wenn die nötigen Unterlagen bei der Bank liegen. Das ist häufig der Fall, denn vor allem Schwarzgeldkunden wollten keine Depotauszüge oder andere Belege bei sich zu Hause haben. Sie deponierten sie bei ihrer eidgenössischen Bank. Das könnte sich nun rächen.

"Im Abkassieren sind die Schweizer Banken Weltmeister", sagt Herbert Notz. "Geradezu dreist, respektlos und arrogant ist es aber, wie sie sich ungeachtet der Urteile weigern, ihren Kunden die Retrozessionen auszubezahlen." Sie einklagen? Da haben viele deutsche Anleger Beißhemmung. Vor allem unentdeckte Steuerbetrüger fürchten, durch einen Rechtsstreit mit ihrer Schweizer Bank als Kollateralschaden den deutschen Fiskus auf sich aufmerksam zu machen. Das weiß die Bank natürlich und damit kalkuliert sie auch.

Die Ansprüche als Geschäftsmodell

Andererseits haben allein im vergangenen Jahr 40 000 Deutsche Selbstanzeigen erstattet und dem Finanzamt ihr Schwarzgeld offengelegt. Sie müssten Prozesse nicht scheuen. Doch auch von ihnen treibt bislang nur ein Bruchteil die Retrozessionen ein. "Diese Leute haben schon Ärger mit der Steuerbehörde und manche auch mit dem Staatsanwalt", sagt Notz. "Da wollen die in Zürich kein weiteres Fass aufmachen."

Herbert Notz hat derweil die Jagd eröffnet. Mit seiner eigens gegründeten De iure AG sammelt er seit Kurzem betroffene Bankkunden ein. Sein Plan: Möglichst viele Fälle bündeln und mit geballter Kraft auf die Banken losgehen. "Einzelne lassen die abtropfen, aber wenn jemand mit 350 Fällen kommt, müssen sie verhandeln", sagt Notz. Sein Geschäftsmodell: Er lässt sich von Betroffenen deren Ansprüche abtreten und macht diese bei Banken geltend. Im Erfolgsfall verbleibt die Hälfte der erstrittenen Retrozessionen als Honorar bei ihm. Mehr als 30 deutsche Anleger haben ihn bereits beauftragt.

Banken müssten im Detail aufklären - und Kunden zustimmen

Wer allein loszieht, muss sich auf einen langen, mühsamen Kleinkrieg einstellen. In den meisten Fällen zeigen die Banken die kalte Schulter. Ablehnungsschreiben sind kurz und lapidar. Man habe mit dem Kunden doch gar keinen Vermögensverwaltungsauftrag abgeschlossen, sondern nur einen Beratungsvertrag, heißt es oft. Solche Verträge würden aber nicht unter die Urteile der Lausanner Richter fallen. Der Nachweis des Gegenteils ist vor allem dann schwierig, wenn der Kunde den Vertrag, wie beschrieben, bei der Bank deponiert hat. Eigenartigerweise taucht oft auch gar kein Vertrag mehr auf.

In anderen Fällen behaupten die Geldhäuser seit Jahren in ihren Geschäftsbedingungen oder anderem Kleingedruckten über Retrozessionen zu informieren. Indem sie die Bedingungen akzeptiert hätten, hätten die Kunden auch auf ihre Ansprüche verzichtet. Doch so einfach ist es nicht, sagen Schweizer Juristen und berufen sich dabei auf die Bundesrichter. Die Banken müssten die Kunden über das tatsächliche Volumen der Retrozessionen detailliert aufklären. Und der Kunde müsse explizit mit der Abtretung einverstanden sein. Sprecher der beiden Marktführer UBS und Credit Suisse erklärten auf Anfrage, man kaufe bei Vermögensverwaltungen seit 2014 nur noch Anlagen ohne Retrozessionen ein. Bei UBS soll dies ab 2016 auch für Beratungsmandate gelten.

Wer hartnäckig bleibt, dem unterbreiten die Geldhäuser oft Angebote auf Ausgleichszahlungen. Meist liegen diese jedoch deutlich unter den tatsächlichen Ansprüchen, sagen Kritiker wie Herbert Notz. Zur Praxis befragt, erklärte eine Sprecherin von Credit Suisse, man habe "direkten Kontakt mit den Kunden aufgenommen, die das Urteil des Bundesgerichts von 2012 betreffe." Ihr UBS-Kollege meinte, "bei Bedarf" erörtere man "das Thema fallweise vor dem Hintergrund der Gesamtbeziehung mit dem Kunden."

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