Geldanlage:Abschied im Mai

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Ist dieser Frühlingsmonat wirklich so schlecht für Investoren? Soll man jetzt verkaufen, Gewinne mitnehmen? Was in Zeiten von Kursrekorden von der alten Börsenweisheit "Sell in May and go away" zu halten ist.

Von Simone Boehringer, München

Wann ist der richtige Zeitpunkt auszusteigen, die Gewinne mitzunehmen, wie Börsianer sagen? Diese bange Frage stellen sich Aktienanleger vor allem dann, wenn es gut läuft und ihr Depot schon ein sattes Plus verzeichnet, wie in diesem Jahr. Zumindest wer in deutsche oder europäische Standardwerte investiert hat, liegt nach der jüngsten Rekordjagd bei Dax-Titeln aktuell immerhin mit acht, im Euro-Stoxx-Universum gar mit neun Prozent im Plus.

Jetzt läuft für die meisten Unternehmen die Dividendensaison an. Das heißt: Am Tag nach der jeweiligen Hauptversammlung (HV) - für Firmen, deren Geschäftsjahr dem Kalenderjahr gleicht, liegen die Aktionärstreffen zwischen Mitte April und Mitte Juni - fällt der Wert des Unternehmens an der Börse um den Betrag, der nach der HV an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Für das Geschäftsjahr 2016 erwarten Experten eine Rekordausschüttung von 30 Milliarden Euro.

Vor diesem Hintergrund macht regelmäßig eine der ältesten Börsenweisheiten die Runde: ,,Sell in May and go away", also verkaufe im Mai und verlasse die Börse. Doch was ist dran an diesem Spruch, der in einer fortgeschrittenen Version sogar noch eine Fortsetzung hat: ,, ... and remember to come back end of September"?

Statistisch gesehen ist der Mai in Deutschland gemessen am Dax tatsächlich der zweitschlechteste Börsenmonat. Nur magere 0,1 Prozent Rendite bringt im langjährigen Durchschnitt seit Beginn der historischen Rückberechnungen 1948 - nur der September ist da noch schlechter mit einem Minus von 0,6 Prozent. Beide Monate prägen auch in einer saisonalen Betrachtung die traditionell größte Schwächephase, nämlich die zwischen Mai und Oktober, wie Aktienanalysten der Landesbank Hessen-Thüringen für den Dax bis 1965 rückberechnet haben ( Grafik).

Aber solche statistischen Durchschnittszahlen sind nicht sehr aussagekräftig. So zählt das Deutsche Aktieninstitut (DAI) zum Beispiel in den vergangenen 50 Jahren genau 25 Aktienjahre, in denen der Dax im Mai zulegte, und 25, in denen es eben schlecht lief. Ähnliche Größenordnungen gibt es auch für die anderen elf Monate des Jahres. "Die Schwankungsbreite der Monatsrenditen ist enorm. Aus solchen Vergangenheitsbetrachtungen Wetten auf die Kursverläufe der Zukunft abzuleiten, ist daher nicht sinnvoll", warnt Gerrit Fey, Leiter der Abteilung Kapitalmarktpolitik beim DAI in Frankfurt. Die Hüter der Aktienkultur in Deutschland mahnen ohnehin stets zu "langfristigen, kontinuierlichen Aktienanlagen in breit gestreute Portfolios". Zudem gilt: Der Dax ist ein sogenannter Performance Index, das heißt, anders als etwa beim amerikanischen Aktienbarometer Dow Jones erfolgt die Index-Berechnung stets inklusive der Dividenden. Der sogenannte Dividendenabschlag auf die Aktien nach dem Ausschüttungstag mache sich daher zumindest im Indexverlauf kaum bemerkbar, so Fey. Beim US-Index Dow ist das anders, weil dieser in der veröffentlichten Variante nur den Kursverlauf widerspiegelt, die Dividendenwerte also tatsächlich zum Ausschüttungstag auch aus der Indexberechnung herausfallen.

Bei Einzelwerten wiederum, gleich in welchem Börsenbarometer repräsentiert, hängt der Kursverlauf nach der jeweiligen Aktionärsversammlung am meisten davon ab, welche Gewinnerwartungen ein Unternehmen fürs laufende und nächste Geschäftsjahr kommuniziert und inwiefern diese Anleger und Analysten überzeugen.

Und wie ist der Zusatz ,,come back end of September" einzuschätzen? Hier gilt ähnliches wie beim Mai-Statement: Statistisch ist der September in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren der schlechteste Monat gewesen, aber 29 Minus-Jahren stehen hier eben auch 21 Plus-Jahre entgegen. Man kann also Glück oder Pech haben beim Aktieneinstieg im Herbst.

Und ob und wann eine an die oft flaue Sommerzeit angehängte Jahresend-Rally an den Börsen beginnt - noch so ein geflügeltes Wort am Aktienmarkt - hängt dann immer noch an den Gewinn- und Konjunkturaussichten von Firmen, Branchen und Wirtschaftsräumen, und eben nicht an Börsenweisheiten. Egal, wie oft sie wiederholt werden.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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