Demonstrationen in Frankreich:Französische Wirtschaft profitiert von den Gelbwesten

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Das berühmte Restaurant Fouquet's auf der Champs Elysees brennt nach Auseinandersetzungen während eines Gelbwesten-Protests. (Foto: dpa)
  • Nach wochenlangen heftigen Protesten der sogenannten Gelbwesten hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Reformen umgesetzt.
  • Nun zeigt sich: Die Maßnahmen wirken, die französische Wirtschaft wächst stärker als die deutsche.
  • Doch das kurzfristige Wachstum ist auf Pump finanziert, auch die private Verschuldung steigt weiter.

Von Leo Klimm, Paris

Das Edel-Lokal Fouquet's: ausgebrannt. Die Luxustaschen-Boutique von Longchamp: verwüstet. Der Juwelier Bulgari: unter Zuhilfenahme von Kettensägen ausgeplündert. Die Zerstörungen, die gewaltbereite Demonstranten an der symbolträchtigen Pariser Prachtstraße Champs-Élysées angerichtet haben, haben Spuren hinterlassen. Insgesamt 91 Geschäfte wurden allein am vergangenen Wochenende in Frankreichs Hauptstadt von Randalierern am Rande von Gelbwesten-Protesten demoliert.

Insgesamt belaufen sich die Schäden, die ein kleiner, aber gewalttätiger Teil der Protestbewegung seit Beginn der Kundgebungen im Herbst landesweit verursacht hat, auf 200 Millionen Euro, sagt der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Die Bewegung der Gelben Westen, die aus Wut über die Steuerpolitik von Staatspräsident Emmanuel Macron entstand, scheint Frankreichs Wirtschaft enormen Schaden zuzufügen. Doch der Schein trügt. Tatsächlich beschert der Protest Frankreich ein ebenso unverhofftes wie willkommenes Konjunkturprogramm: Ein eigentlich gar nicht geplantes Ausgabenpaket im Umfang von zehn Milliarden Euro, das Macron zu Jahresanfang aufgelegt hat, um den Zorn in Gelb zu besänftigen, erweist sich gerade als wertvolle Stütze für Europas zweitgrößte Volkswirtschaft. Er wolle "die Wut in eine Chance verwandeln", hatte der Präsident gesagt. Was als Beruhigungspille für aufgebrachte Bürger gedacht war, belebt die Konjunktur des Landes beträchtlich.

Paris
:Zerstörungswut auf der Prachtstraße

Am Wochenende eskalierten in Paris erneut die Proteste der Gelbwesten.

Trotz der Bremseffekte, die der Krawall hat, kann Frankreich in diesem Jahr dank der Milliarden für die Gelbwesten mit einem Wachstum seiner Wirtschaftsleistung um 1,3 Prozent rechnen, prognostiziert die Industrieländerorganisation OECD; die Notenbank Banque de France erwartet ein Plus um 1,4 Prozent. Damit bleibt das Wachstum nicht nur stabil gegenüber dem Vorjahr. Es ist auch stärker als in der Euro-Zone insgesamt - und doppelt so hoch wie der 2019 für Deutschland erwartete Zuwachs. Den beziffert die OECD auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum ersten Mal seit dem Finanzkrisen-Jahr 2009 dürfte sich Frankreich deutlich besser halten als Deutschland.

Während die Exportnation Deutschland unter der Abkühlung der Weltkonjunktur leidet und sich der Abwärtstrend im Fall eines harten Brexit noch verstärken dürfte, federn Macrons finanzpolitische Zugeständnisse an die Gelbwesten in Frankreich negative Einflüsse von außen ab. Das Land ist ohnehin viel weniger auf Ausfuhren angewiesen; 55 Prozent seiner Wirtschaftsleistung hängen am Konsum. Den wiederum stärkt das staatliche Ausgabenprogramm.

Die gewalttätigen Ausschreitungen bremsen das Wachstum

Der Präsident hat unter anderem eine Prämie für Mindestlohn-Bezieher erhöht, Steuern auf Überstunden abgeschafft und einen Großteil der Rentner von einer Sozialsteuer befreit. All das, erwartet die Banque de France, führt zu einer kräftigen Steigerung der Kaufkraft je Einwohner um mehr als zwei Prozent. Das schlägt sich dann in höheren Konsumausgaben nieder. Zudem dürften die Investitionen der Unternehmen in Frankreich hochschnellen, sagen alle einschlägigen Konjunkturstudien voraus, da Macron auch sie um Milliarden entlastet. Der Banque de France zufolge wird die Arbeitslosenrate in der Folge zur Jahresmitte weiter sinken. Auf 8,7 Prozent der Erwerbsbevölkerung.

Würden die gewalttätigen Demonstranten aufhören zu wüten, könnte Macrons Konjunkturprogramm noch besser wirken. Laut Wirtschaftsminister Le Maire kosten die Ausschreitungen und ihre Folgeeffekte auf den Konsum pro Jahresquartal bis zu 0,2 Prozentpunkte an Wachstum. "Die Gewalttaten und Plünderungen haben starke, unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen und schaden langfristig Frankreichs Image", klagt Le Maire. Auf bestimmte Branchen haben die abschreckenden Bilder brandschatzender Stadtguerillas verheerende Wirkung.

Vor allem auf den Tourismus, der allein für sieben Prozent der Wirtschaftsleistung sorgt. Der Hotelverband des Großraums Paris meldet für die nächsten Wochen gegenüber dem Vorjahr drastische Buchungsrückgänge in Höhe von bis zu 30 Prozent. Besonders betroffen sind die Luxushotels rund um die Champs-Élysées. Die Regierung müht sich, Pleiten von Firmen zu verhindern, die Opfer der Proteste wurden. Sie bietet die Streckung von Steuer- und Abgabenzahlungen an und zahlt für etwa 74 000 Beschäftigte Kurzarbeiter-Geld. Am meisten fürchtet sie aber wohl um das Vertrauen ausländischer Investoren in Frankreich. Macron hat es seit seiner Wahl vor zwei Jahren mühsam wieder aufgebaut.

Die Verschuldung steigt rapide

Und während Macrons Beruhigungspille bei den Randalierern, die sich unter die Gelbwesten gemischt haben, ihre besänftige Wirkung verfehlt, hat sie auch unerfreuliche Nebenwirkungen: Die Milliardenhilfen führen dazu, dass Frankreich im laufenden Jahr wieder die EU-Defizitregeln verletzt. Nach seinem Amtsantritt war es eines von Macrons wichtigsten Zielen, die Neuverschuldung unter die Obergrenze von drei Prozent des BIP zu drücken. Es gelang ihm. 2019 soll das Staatsdefizit wegen der Hilfen für die Gelbwesten aber bei 3,2 Prozent liegen. Schon von 2020 an, verspricht die Regierung, will sie die EU-Kriterien wieder einhalten.

Doch nicht nur der Staat finanziert viel auf Pump. Auch die private Verschuldung steigt rapide. Bei Frankreichs Unternehmen hat sie jüngst die Rekordmarke von 175 Prozent des BIP erreicht. Ein wichtiges Gremium der Finanzaufsicht, der "Hohe Rat für finanzielle Stabilität" vergatterte die Banken des Landes diese Woche deshalb schon dazu, ihr Eigenkapital zu erhöhen - in der Hoffnung, so die Schuldenmacherei zu bremsen. Reine Vorsichtsmaßnahme, heißt es in Paris. Von einer Kreditblase, mit der die relative konjunkturelle Stabilität Frankreichs erkauft wird, will noch niemand sprechen.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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