Geistiges Eigentum:Plagiate - unrecht, aber billig

Geistiges Eigentum: Was ist echt, was nur nachgeahmt? Chinesen bauen sogar ganze europäische Städte nach, wie hier in der Provinz Guangdong. Dass gefälschte Produkte nur aus Asien kommen stmmt aber bei weitem nicht.

Was ist echt, was nur nachgeahmt? Chinesen bauen sogar ganze europäische Städte nach, wie hier in der Provinz Guangdong. Dass gefälschte Produkte nur aus Asien kommen stmmt aber bei weitem nicht.

(Foto: Vincent Yu/AP)

Viele Kunden kaufen bewusst Fälschungen und viele Hersteller machen es den Nachahmern zu leicht. Dabei verursachen sie Milliardenschäden und kosten Tausende Jobs.

Von Steve Przybilla

Bei Volker Kirchberg begann der Ärger mit einem Anruf. Der Geschäftsführer der Niederhoff & Dellenbusch GmbH (Deni) musste einen Kunden beruhigen, der sich über ein minderwertiges Produkt beschwerte. Deni, ein mittelständischer Betrieb in Nordrhein-Westfalen, stellt Beschläge und Verschlüsse für Türen, Tore und Fenster her. Der Grund des erbosten Anrufs: Ein Tortreibriegel - eine Vorrichtung, mit der doppelflügelige Tore auf einer Seite verriegelt werden - hatte eine Macke. So glaubte es jedenfalls der Kunde.

Die Realität war komplizierter, aber nicht weniger ärgerlich. "Wir fanden heraus, dass das Teil wie unseres aussah, aber nicht das gleiche war", berichtet Kirchberg. "Es handelte sich um eine billigere, aber perfekte Kopie." Zumindest fast: Das Lochbild entsprach nicht dem Original, weshalb sich der Riegel nicht wie vorgesehen einbauen ließ.

Wie sich herausstellte, war der Kunde auf ein Plagiat hereingefallen. Tortreibriegel gibt es seit Jahrzehnten; ihre Funktion basiert auf simpler Mechanik. Allerdings hatte Deni vor etwa 15 Jahren eigens einen Industriedesigner engagiert, um ein neues Design zu entwickeln. "Damit wollten wir uns von den Wettbewerbern absetzen", sagt Kirchberg, wenngleich die Firma ihre Weiterentwicklung nicht schützen ließ - ein Fehler, wie sich nun herausstellte. "Dass jemand so dreist ist, hätten wir einfach nicht gedacht", resümiert der Geschäftsführer. Den Schaden, der wegen abgesprungener Kunden entstanden ist, schätzt er auf 30 000 bis 40 000 Euro.

Fünf Prozent aller EU-Importe könnten gefälscht sein - ein Milliardenschaden

Solche Erlebnisse sind kein Einzelfall. Einer Studie der Unternehmensberatung EY aus dem Jahr 2015 zufolge entsteht allein bei deutschen Unternehmen ein jährlicher Schaden von 56 Milliarden Euro durch Produktfälschungen. Einige davon wären womöglich vermeidbar gewesen, denn 13 Prozent der 550 befragten Unternehmen investierten nach eigenen Angaben gar nicht in den Schutz geistigen Eigentums. Die Folge: Fälscher haben es noch leichter. Wie leicht, zeigt ein aktueller Bericht des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO). Demnach hatten unerlaubt hergestellte Waren allein im Jahr 2013 einen Gesamtwert von 338 Milliarden Euro weltweit. In der EU sind fünf Prozent aller Importe gefälscht, schätzt die Behörde.

Betroffen sind alle Branchen, einige allerdings besonders stark. So gaben bei einer aktuellen Umfrage des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) 70 Prozent aller Mitglieder an, schon einmal Opfer einer Fälschung geworden zu sein. In dieser Branche entstand laut VDMA ein Umsatzverlust von 7,3 Milliarden Euro, was etwa 34 000 Arbeitsplätzen entspreche.

Viele Verbraucher wissen was sie da kaufen, schauen aber nur auf den Preis

Kopiert wird so ziemlich alles - von der Rolex, die Urlauber am Strand angeboten bekommen, bis hin zu abstrakten technischen Produktionsverfahren. Das Problem ist derart virulent, dass es seit 2007 sogar eine eigene Ausstellung dazu gibt: Das in Solingen ansässige Museum Plagiarius positioniert 350 Originale direkt neben ihren Fälschungen. Zu sehen sind Motorräder, Rasenmäher, Duschköpfe, Radiergummis und Fondue-Töpfe. Die perfidesten Fälscher werden jedes Jahr mit dem "Plagiarius" ausgezeichnet, einem schwarzen Gartenzwerg mit goldener Nase. "Bisher hat sich noch keine Firma diesen Negativpreis abgeholt", erzählt Museums-Mitarbeiterin Alin Mai. Dafür kämen immer mal wieder böse Briefe.

Hinter dem Museum steht ein gemeinnütziger Verein, die Aktion Plagiarius. Vereinsgründer Rido Busse, ein Industriedesigner, wurde 1977 selbst Opfer eines Plagiats. Als er über eine Frühjahrsmesse in Frankfurt schlenderte, entdeckte er die Kopie einer Brief- und Diätwaage, die er selbst entwickelt hatte. Seither bemüht sich der Verein, das Problem in die Öffentlichkeit zu tragen. Zum einen, weil Imitate oft gar nicht als solche zu erkennen sind. Zum anderen, weil Kunden häufig kein Unrechtsbewusstsein besitzen. Der EY-Studie zufolge hat bereits jeder dritte Verbraucher schon einmal gefälschte Ware gekauft - mehr als die Hälfte von ihnen wusste, womit sie es zu tun hat, schaute aber am Ende nur auf den Preis.

Wie tief die Geiz-ist-geil-Mentalität in den Köpfen verankert ist, zeigt sich auch im Museum. Die Mitarbeiterin redet von den enormen Kosten, die Unternehmen in die Entwicklung neuer Produkte steckten. Sie führt heimische Arbeitsplätze an, Investitionen und Steuern, die der Allgemeinheit zugutekämen. "Als Kunde ist mir das natürlich erst mal egal", wendet ein Besucher ein. Mai kontert: "Was nützt Ihnen der Rabatt, wenn Ihre Thermoskanne nach vier Wochen kaputtgeht - oder gar nicht warm hält?"

Nicht nur Chinesen, auch deutsche Firmen kopieren fleißig

Während Fälschungen in den meisten Fällen einfach nur ärgerlich sind, können sie mitunter richtig gefährlich werden. Etwa dann, wenn die Schweißnaht eines gefälschten Motorrads reißt. Oder ein EKG-Gerät die falschen Herzwerte anzeigt. Nicht umsonst geht der Zoll mit groß angelegten Kampagnen gegen Produktpiraterie vor. Wobei in Deutschland recht milde Gesetze gelten. Solange Urlaubsmitbringsel einen Gesamtwert von 430 Euro nicht übersteigen, dürfen Billig-Imitate aus dem Ausland eingeführt werden. Wer jedoch mit einem ganzen Koffer voller Louis-Vuitton-Taschen einreist, macht sich strafbar. Andere europäische Länder sind da weitaus strenger: Dort dürfen Kunden auch dann keine Plagiate kaufen, wenn sie sie nur privat nutzen. Tun sie es doch, drohen Strafen von mehreren Tausend Euro.

Auf der anderen Seite müssen hiesige Unternehmen mehr tun, um ihre Entwicklungen zu schützen - was allmählich auch geschieht. "Die Sensibilisierung steigt", sagt Oliver Winzenried, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft "Produkt- und Know-how-Schutz" beim VDMA. Gerade im Hinblick auf neue Produktionsverfahren - Stichwort 3-D-Drucker - sei ein stärkerer Schutz der eigenen Daten unabdingbar. Immerhin: Auch in China, wo bis heute ein Großteil aller Plagiate hergestellt wird, tut sich etwas. "In den Ballungsräumen ist es nun wesentlich einfacher, vor Gericht zu gehen", sagt Winzenried.

Wer allzu sehr an das Klischee des diebischen Asiaten glaubt, wird jedoch enttäuscht. Laut VDMA kupfern nämlich auch deutsche Firmen fleißig bei der Konkurrenz ab. So übrigens auch beim besagten Tortreibriegel in Nordrhein-Westfalen: Das Unternehmen, das die Kopie in Umlauf gebracht hatte, saß nicht etwa in Shanghai oder Hongkong, sondern knapp 850 Meter entfernt - in ein- und demselben Ort.

So vermeiden Sie Plagiate

Gefälschte Produkte sehen oft täuschend echt aus. Wenn die Qualität gut ist, hat man es als Kunde schwer, sie als Plagiat zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als man selten die Möglichkeit hat, sie direkt mit dem Original zu vergleichen. Der wichtigste Hinweis auf eine Fälschung ist allerdings kaum zu übersehen: der extrem niedrige Preis. Manche Plagiate kosten gerade einmal zehn bis 20 Prozent des Originals. Typisch für Fälschungen ist auch, dass sie von Rechtschreibfehlern wimmeln. Der Name der Ware wird häufig leicht abgewandelt, zum Beispiel "Timpo" statt "Tempo". Viele Hersteller sichern ihre Produkte inzwischen mit Tracing-Nummern, Hologrammen oder Echtheitszertifikaten. Fehlen diese, obwohl sie sich normalerweise auf der Verpackung befinden, handelt es sich wahrscheinlich um eine illegale Kopie. In Online-Shops, auf Flohmärkten, bei Kaffeefahrten oder im Urlaub sollte man besonders vorsichtig sein. Diese Vertriebskanäle nutzen Fälscher oft und gern. Auch hier gilt: Ein extrem niedriger Preis ist das wichtigste Indiz. Weitere Informationen liefert die Website des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie: www.markenpiraterie-apm.de. Steve Przybilla

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