Gehälter von Arbeitnehmer-Vertretern:Zwischen gerecht und korrupt

Ist der Lohn von Arbeitnehmer-Vertretern angemessen oder unanständig hoch? Die Frage ist strittig und beschäftigt die Justiz. Gerade läuft bei Siemens eine interne Untersuchung - der Betriebsratschef soll angeblich bis zu 300.000 Euro im Jahr erhalten haben.

Von Thomas Fromm, Sibylle Haas und Klaus Ott

Im März 2010 schrieb ein Betriebsrat aus dem in Essen ansässigen Stahlkonzern Thyssen-Krupp einen recht ungewöhnlichen Brief an Kollegen bei der Daimler AG in Stuttgart. In dem dreiseitigen, als "vertraulich" gekennzeichneten Schreiben war gleich sieben Mal von Korruption und Bestechung die Rede.

Der Belegschaftsvertreter beklagte sich, die Geschäftsführer einer Tochterfirma von Thyssen-Krupp hätten den Betriebsräten eine seit Jahren anstandslos gezahlte "Mehrarbeitspauschale" (MAZ) plötzlich gestrichen. Dieses Zusatzentgelt sei, behaupte das Management, nichts anderes als Bestechung. Der Betriebsrat warnte die Kollegen in Stuttgart mit eindringlichen Worten. "Die Kugel rollt . . ." Bei Daimler, so steht es in dem Brief, sei schließlich schon seit Jahrzehnten eine MAZ üblich. Das könne für "riesige Schlagzeilen" über angeblich geschmierte Betriebsräte sorgen.

Der Inhalt des Schreibens führt zu ganz grundsätzlichen Fragen. Was dürfen Betriebsräte verdienen? Ab welchen Summen sind Gehälter und Zulagen nicht mehr angemessen, sondern erwecken den Verdacht, ein Unternehmen wolle sich seine Betriebsräte gewogen machen, sie also kaufen? Das Spannungsfeld zwischen gerechter Bezahlung und Korruption von Belegschaftsvertretern beschäftigt Unternehmen und Gewerkschaften, Staatsanwälte und Richter seit Jahren.

Der frühere VW-Betriebsratschef Klaus Volkert musste nach Millioneneinkünften und Lustreisen wegen Untreue ins Gefängnis. Dort saß, wegen anderer Delikte, auch Wilhelm Schelsky, Ex-Boss der heimlich von Siemens finanzierten, arbeitgeberfreundlichen Betriebsräteorganisation AUB. Um Opel kümmerte sich die Justiz ebenfalls. Eine angebliche Begünstigung von Betriebsräten der Handelsgesellschaft Ferrostaal ist, wegen des Verdachts der Veruntreuung von Konzernvermögen, vor Gericht anhängig.

Wer dauernd Überstunden macht, soll das nicht umsonst tun

Und nun läuft bei Siemens eine interne Untersuchung wegen der Bezüge von Gesamtbetriebsratschef Lothar Adler von angeblich insgesamt bis zu 300.000 Euro im Jahr. Die Bezahlung von Betriebsräten ist ein heikles Thema, mit einer großen Grauzone. Wer für die Arbeit als Arbeitnehmervertreter von seinem angestammten Job freigestellt wird, der soll sich nicht auf Dauer mit seinem alten Gehalt begnügen müssen, während die Kollegen im Konzern Karriere machen und mit jeder Beförderung mehr verdienen.

Wer als Betriebsrat dauernd Überstunden macht, weil ständig etwas zu klären ist, von Sozialplänen bis hin zu Sonderschichten, der soll das nicht umsonst tun. Das klingt selbstverständlich, doch genau da beginnen schon die Probleme. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelte nach einer anonymen Anzeige monatelang gegen den langjährigen Opel-Betriebsratschef Klaus Franz wegen pauschaler Sonderzahlungen für die Belegschaftsvertreter in Höhe von bis zu 1300 Euro im Monat. Mit dem Geld wurden die vielen Überstunden abgegolten. "Sie können doch nicht jede einzelne Stunde, jede Reise und jede nächtliche Rufbereitschaft abrechnen", wehrte sich Franz damals. "Das wäre viel zu bürokratisch."

Die Ermittler sahen das anders. "Pauschale Zahlungen für Mehrarbeit sind unzulässig", befand die Staatsanwaltschaft. Das verstoße gegen Paragraf 119 Betriebsverfassungsgesetz. Der schreibt vor, dass Belegschaftsvertreter vom Unternehmen weder benachteiligt noch bevorzugt werden dürfen. Diskriminierung und Bestechung, beides ist verboten. Das Verfahren gegen Franz und zwei Opel-Manager wurde aber eingestellt. Vor allem deshalb, weil Verstöße gegen Paragraf 119 nur auf Antrag von Betroffenen verfolgt und geahndet werden können. Ein solcher lag aber nicht vor. Weder das Opel-Management noch der Betriebsrat noch die IG Metall hatten ein Interesse an einem Verfahren.

Arbeitsrechts-Experte schlägt Tarifverträge vor

Konsequenzen gab es trotzdem. Die Ermittler aus Darmstadt mahnten Opel, "von solchen Vergütungsmodellen die Finger zu lassen". Der Autokonzern war folgsam, jetzt werden die Überstunden einzeln abgerechnet. Hätte Franz das bereits getan, dann hätte er weit mehr bekommen als die 1300 Euro Pauschale im Monat. Während der Dauerkrise bei Opel schuftete er teilweise zwölf bis 14 Stunden am Tag, sechs bis sieben Tage die Woche, verhandelte mit Bund, Ländern und anderen, wie der angeschlagene Autohersteller gerettet werden könne, und erledigte den Job des blassen Vorstands nebenbei gleich mit. Und das für weniger als 150.000 Euro im Jahr. Überbezahlt war Franz bestimmt nicht.

Arbeitsrechtler Volker Rieble fände es "nicht obszön", wenn der Gesamtbetriebsratschef eines Großunternehmens jährlich 200.000 Euro verdiene: "Er ist verantwortlich für viele Mitarbeiter." Freigestellte Betriebsräte nähmen immer öfter Führungsaufgaben wahr und würden so zu Co-Managern. Rieble ist Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München und hat sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt. Seiner Ansicht nach verstoße es keineswegs gegen die Grundsätze ordentlicher Unternehmensführung (Corporate Governance), wenn der langjährige Betriebsratschef das gleiche Gehalt bekomme wie der Personalleiter des Werkes.

Das beste Mittel gegen Korruption sei ein gutes Gehalt, glaubt Rieble. Er schlägt vor, die Vergütung von Betriebsräten in Tarifverträgen zu regeln, um für Transparenz zu sorgen. Die Grundlagen dafür müsse der Gesetzgeber schaffen. Der könne auch sonst mehr gegen Korruption tun, sagt der Arbeitsrechtler. Ihm schweben konsequente Kontrollen und Amtsenthebungsverfahren bei Verstößen vor. "Derzeit gibt es für Betriebsräte eine Nullhaftung", rügt Rieble.

Der Betriebsrat bei Thyssen-Krupp, der im März 2010 den merkwürdigen Brief an Kollegen bei Daimler geschrieben hat, musste jedenfalls für nichts haften. Obwohl er den Daimler-Betriebsrat aufgefordert hatte, dafür zu sorgen, dass der Autokonzern beim Stahlunternehmen Thyssen-Krupp nichts mehr bestelle. Zumindest dann nicht, wenn bei Thyssen-Krupp die Kündigung der Mehrarbeitspauschale für die Belegschaftsvertreter einer Tochterfirma "nicht umgehend mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommen" werde. Das solle der Gesamtbetriebsratschef bei Daimler dem Personalvorstand von Thyssen-Krupp doch "sinngemäß" so mitteilen, schlug der Briefeschreiber aus dem Stahlunternehmen vor.

Diesem Betriebsrat bei Thyssen-Krupp, der mit solchen Mitteln um sein Geld kämpfte, war schon bewusst, was er da machte. Er "hasse grundsätzlich jede Art von Druck", der in Richtung "Erpressung" gehe, notierte der Belegschaftsvertreter. Aber hier gehe es nicht anders.

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