432.000 Hühnchen. Am Tag. Über das Jahr gerechnet macht das 134.784.000 Tiere bei voller Auslastung. Und das bedeutet Töten im Millisekundentakt. Die Geflügelschlachterei im niedersächsischen Wietze ist ein Ort der Superlative. Der Fleischunternehmer Franz-Josef Rothkötter hat hier einen der modernsten und größten Geflügelschlachthöfe Europas errichten lassen. Gut geschützt vor neugierigen Blicken durch hohe Palisadenzäune und streng bewacht.
Der Ort ist zugleich auch das Sinnbild einer Branche, die immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät. Erzeuger liefern sich untereinander ein gnadenloses Wettrüsten, bei dem es offenbar nur darum geht, noch mehr zu noch günstigeren Preisen zu produzieren - und das obwohl die Nachfrage sinkt. Im Schnitt aß jeder Bundesbürger vor zwei Jahren 19,3 Kilogramm Geflügel pro Jahr, heute sind es nur noch 18,5 Kilogramm.
Die Lage spitzt sich zu. In der Massentierhaltung wächst kein Bereich so stark wie die Geflügelmast. Schon heute produzieren deutsche Halter 25 Prozent mehr als hierzulande gekocht, gebraten oder gegrillt wird. Was im Inland keine Abnehmer findet, wird exportiert, zu Billigpreisen. Das gilt vor allem für Geflügelreste wie Flügel, die bei den meisten deutschen Verbrauchern nicht besonders gefragt sind.
Wichtigster Exportmarkt für Geflügelfleischreste ist Afrika
Ein großer Absatzmarkt ist Afrika. Aktuelle Zahlen des Europäischen Statistikamtes Eustat zeigen: Allein im vergangenen Jahr sind die deutschen Ausfuhren auf den afrikanischen Kontinent um 120 Prozent auf 42 Millionen Kilogramm Geflügelfleisch gestiegen. Afrika sei zum wichtigsten Exportmarkt für Geflügelfleischreste aus Deutschland und der restlichen EU geworden, klagt die Hilfsorganisation "Brot für die Welt". Mit fatalen Folgen für die Erzeuger dort. Sie könnten mit Importpreise von etwa 80 Cent je Kilo nicht konkurrieren und würden vom Markt gedrängt, kritisiert Francisco Mari, Agrarhandelsexperte der Organisation.
Auch den deutschen Erzeugern setzt die Massenproduktion inzwischen zu. "Wir Hähnchenhalter arbeiten gerade an unserem wirtschaftlichen Limit", klagt Rainer Wendt, Vizepräsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Die Bruttomargen - also Erlöse abzüglich der Kosten für Küken und Futter - seien im Schnitt der ersten sieben Monaten des Jahres zum Vorjahreszeitraum um 14 Prozent gesunken.
Trotz des hohen Angebots geht das Aufrüsten weiter. Nach Berechnungen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wollen die deutschen Hühnermäster ihre Kapazitäten um weitere 38 Millionen Stallplätze erhöhen. Das geht aus Genehmigungsanträgen hervor, die von 2009 bis 2012 in den Bundesländern eingereicht wurden. Damit könnte sich der aktuelle Bestand von mehr als 60 Millionen um bis zu 60 Prozent erhöhen. Darunter sind einzelne Anlagen mit mehr als 600.000 Plätzen, die übliche Größe eines Stalls liegt bei 40.000. "Selbst wenn nicht alle beantragten Megaställe errichtet werden, ist für die Erzeuger der Preisverfall für das Fleisch absehbar", sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin beim BUND.
Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat für solche Expansionsgelüste kein Verständnis. "Wie lange wollen wir eine derart unrentable, unsinnige und gesellschaftlich inakzeptable Produktion noch aufrechterhalten?", schimpft er. Die Überschussproduktion gehe zu Lasten der abhängigen Vertragsmäster, der bäuerlichen Geflügelhalter, der Tiere und der Umwelt.