Gaza:Ohne Spenden droht der Zusammenbruch

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Endlich wieder Strom im Friseurladen: Seit Monaten gibt es im Gazastreifen nur wenige Stunden am Tag Elektrizität – um die Hamas zu Verhandlungen zu zwingen. (Foto: Ibraheem Abu Mustafa/Reuters)

Die palästinensischen Gebiete sind wirtschaftlich von Israels Bedingungen und von internationaler Unterstützung abhängig.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Ramallah/Gaza

Eselskarren dominieren das Straßenbild in Gaza, dazwischen versuchen einzelne überraschend neu aussehende Autos, den vielen, riesigen Schlaglöchern auf den meist nicht asphaltierten Wegen auszuweichen. Fahrzeuge können ohne große Hindernisse nach Gaza importiert werden, auch wenn sich nur wenige Menschen hier ein Auto leisten können. Die Preise für den Ankauf eines Pkw in Israel sind um rund 60 Prozent höher als in Deutschland, und bei der Einfuhr in den Gazastreifen werden nochmals Zölle verlangt. Bei anderen Gütern dagegen kommt es immer wieder zu Engpässen - etwa bei Gas zum Kochen. Nur an Bananen herrscht kein Mangel, sie werden an Dutzenden Ständen angeboten.

Es fehlt an vielem in dem von der Außenwelt abgeschnittenen Küstenstreifen: an den Dingen des täglichen Bedarfs genauso wie an Produktionsstoffen. Welche Güter in den Gazastreifen und in das nicht so hermetisch abgeriegelte Westjordanland durchgelassen werden, bestimmt Israel, das die Grenzübergänge kontrolliert. Ägypten öffnete in den vergangenen Jahren nur alle paar Monate für kurze Zeit die Grenze in Rafah. Die meisten Importe, rund 58 Prozent, kommen direkt aus Israel. Die Nachbarn sind auch Hauptabnehmer von Produkten aus den palästinensischen Gebieten, mit fast 84 Prozent Anteil am Export.

Rund 75 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung wird im Westjordanland erarbeitet

Die seit zehn Jahren im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas hat die mit zwei Millionen Menschen bevölkerte Region heruntergewirtschaftet. Seit Anfang dieser Woche wird versucht, die Stromversorgung wieder hochzufahren. In den vergangenen Monaten gab es im Gazastreifen nur noch zwei, drei Stunden Elektrizität pro Tag, weil die palästinensische Autonomiebehörde mit dieser Maßnahme die Hamas zum Verhandeln zwingen wollte - was inzwischen geschehen ist.

Während des Gazakriegs 2014 wurden nicht nur viele Wohnhäuser, sondern auch Infrastruktur und Wirtschaftseinrichtungen durch israelische Angriffe zerstört. Der produzierende Sektor ist in den vergangenen 20 Jahren um zwei Drittel geschrumpft. Derzeit ist die Wirtschaft im Gazastreifen nach Einschätzung der Weltbank von Spenden abhängig und droht zusammenzubrechen.

Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die Finanzhilfen für die Palästinenser zu streichen, würde die ohnehin schwierige Lage im Gazastreifen und im Westjordanland dramatisch verschärfen. Finanzielle Hilfe aus dem Ausland, insbesondere über das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), sind ein wichtiger Motor für die Wirtschaft. Die USA tragen derzeit mit rund 300 Millionen US-Dollar pro Jahr ein Drittel zum Budget der UN-Agentur bei. Rund 12 000 Jobs in den palästinensischen Gebieten, davon rund 9 910 im Gazastreifen, hängen direkt von UN-Unterstützungen ab. Die UNRWA unterhält 267 Schulen im Gazastreifen und 96 im Westjordanland.

Zwar klingen die Wachstumszahlen für die palästinensischen Gebiete durchaus imposant: Nach dem Gazakrieg stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder an, um rund 3,4 Prozent 2015 und um 4,1 Prozent 2016. Auch 2017 soll das Wachstum mehr als vier Prozent erreicht haben. Andere Quellen sprechen sogar von fünf Prozent. Angesichts eines Bevölkerungswachstums von drei Prozent pro Jahr ist der Konjunkturanstieg aber zu gering, um wirklich nachhaltiges Wachstum zu erreichen.

Gerade die Wirtschaftsentwicklung zeigt, um wie viel schlechter die Lage im Gazastreifen ist. Rund 75 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in den palästinensischen Gebieten wird im Westjordanland erarbeitet - bei gleicher Einwohnerzahl. In Ramallah, wo die Autonomiebehörde ihren Sitz hat, herrscht ein sichtbarer Bauboom, es gibt keine Eselskarren.

Auch bei den Arbeitslosenzahlen zeigt sich die schlechtere Situation im Gazastreifen. Die Arbeitslosenquote lag 2016 in den palästinensischen Gebieten zusammengerechnet bei knapp 27 Prozent, im Gazastreifen bei 41,7 Prozent. Generell sind Frauen mit knapp 45 Prozent überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen, nur rund 19,3 Prozent der Frauen haben einen geregelten Job - einer der niedrigsten Werte weltweit. Auch unter jungen Palästinensern bis 24 Jahre ist die Arbeitslosenquote hoch: im Westjordanland sind rund 30 Prozent der jungen Menschen ohne Arbeitsplatz, im Gazastreifen sogar 61,4 Prozent.

Im Westjordanland ist die Lage auch deshalb etwas besser, weil es für manche Bewohner die Möglichkeit gibt, einer Arbeit in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland oder in Israel nachzugehen. Rund zehn Prozent der palästinensischen Arbeitskräfte haben einen Job in Israel, brauchen dafür aber eine Beschäftigungserlaubnis und müssen täglich die Kontrollen an den Grenzübergängen passieren.

Den größten Anteil an der Wirtschaftsleistung in den palästinensischen Gebieten hatte 2016 der Dienstleistungssektor (62,7 Prozent des BIP) gefolgt von Industrie (20,9) und Landwirtschaft (2,9). Kleinere und mittlere Betriebe dominieren und erwirtschaften rund 28 Prozent des BIP. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist der öffentliche Dienst, der wiederum stark von internationalen Geldgebern abhängig ist.

Deutschland ist eines der größten bilateralen Geberländer. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat bisher rund 810 Millionen Euro zugesagt und arbeitet eng mit der Autonomiebehörde und anderen Gebern wie der Weltbank und UN-Organisationen zusammen. Eine Kürzung der US-Mittel wäre ein Rückschlag für sämtliche Versuche, Palästinenser bei der Wirtschaftsentwicklung zu unterstützen.

© SZ vom 10.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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