Süddeutsche Zeitung

Gastbeitrag:Solidarität ja, aber nachhaltig

Corona-Bonds bergen große Risiken. Es braucht sie auch gar nicht, um Italien zu helfen. Denn das beste Mittel, um das krisengeschüttelte Land jetzt möglichst schnell zu unterstützen, gibt es bereits: die ESM-Kreditlinien.

Von Lüder Gerken und Bert Van Roosebeke

Die Corona-Krise trifft Italien schwer. Mehr als 800 Tote am Tag - vor allem im reichen Norden. Auch in Spanien ist die Lage außer Kontrolle geraten. Auch wenn niemand weiß, was noch auf uns in Deutschland zukommt, ist klar: Die Nerven in Rom und Madrid liegen blank, das menschliche Leid ist enorm und man sehnt sich nach Hilfe. Uns würde es in der Lage nicht anders gehen. Hoffen wir, dass uns Ähnliches erspart bleibt. Das Virus hat sich global ausgebreitet und weltweit zu einem Einbruch der Volkswirtschaften geführt. Der Auslöser des Schocks ist also symmetrisch und betrifft alle. Die Auswirkungen des Schocks sind dagegen asymmetrisch: Besonders schwer getroffen sind jene Länder, die schon zuvor erhebliche wirtschaftliche und fiskalische Probleme hatten, insbesondere eine überbordende Staatsverschuldung.

In dieser Lage fordern mehrere Staaten die Einführung gemeinsamer Anleihen, sogenannte Corona-Bonds, um die finanziellen Folgen der Krise für die Eurostaaten abzufedern. Die Diskussion erinnert an jene um Euro-Bonds während der Schuldenkrise 2010. Die niederländische Regierung lehnte Corona-Bonds sofort lautstark ab. Italien reagierte gereizt. Romano Prodi, immerhin ehemaliger Präsident der EU-Kommission, fragte, wo die Niederländer denn in Zukunft ihre Tulpen verkaufen wollen.

Betrachten wir die Sache nüchtern: Brauchen wir Corona-Bonds? Bei allem menschlichen Leid ist die finanzielle Lage Italiens und Spaniens am Kapitalmarkt derzeit stabil. Es besteht keine akute Notwendigkeit für Finanzhilfe. Die Zinsen italienischer Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren liegen deutlich unter zwei Prozent, die Zinsen Spaniens unter einem Prozent. Das ist weit entfernt von den enormen Risikoaufschlägen der Finanzkrise.

Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Die Schwere der ökonomischen Krise hängt maßgeblich von der weiteren Ausbreitung der Krankheit ab. Je nachdem, ob Ausgangsbeschränkungen und Zwangsschließungen früher oder später aufgehoben werden, fallen die negativen Folgen für die Wirtschaft und die Staatsfinanzen geringer oder höher aus. Ob die Staatsschulden um zehn oder gar 20 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts ansteigen werden, weiß derzeit niemand. Es ist möglich, dass Italien - das schon jetzt mit 137 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verschuldet ist - dann am Kapitalmarkt in Probleme gerät, aber sicher ist es nicht. Letztlich gilt das auch für Spanien, das allerdings mit 98 Prozent Verschuldung deutlich besser dasteht. Sicher ist nur: Von einer Insolvenz dieser Länder gehen die Kapitalgeber heute nicht aus.

Angesichts der beschriebenen finanziellen Lage Italiens und Spaniens sind Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wie für die derzeitige Situation geschaffen: Sie stehen Eurostaaten zur Verfügung, deren Kapitalmarktzugang zwar nicht akut gefährdet ist, denen dies aber mittelfristig drohen kann. Die Kreditlinien müssen einstimmig von alle Eurostaaten, teilweise von den nationalen Parlamenten, genehmigt werden, was angesichts der Krisenlage unproblematisch sein dürfte. Wird Italien eine solche Kreditlinie zugesprochen, kann das Land sie jederzeit in der vereinbarten Höhe ziehen. Der ESM vergibt dann Darlehen oder kauft Rom direkt neue Staatsanleihen ab. Die Kreditlinie gilt für ein Jahr und kann zweimal um jeweils sechs Monate verlängert werden. Das Ziel ist klar: Zweifeln die Kapitalgeber künftig an der Bonität Italiens, soll die Aussicht auf Aktivierung der Kreditlinie die Lage beruhigen.

Die Vorteile von ESM-Kreditlinien im Vergleich zu Corona-Bonds sind dreifach. Erstens: Das Instrument ist vorhanden, Hilfe kann schnell kommen. Corona-Bonds müssten erst geschaffen werden. Das ist zeitaufwendig, zudem ist in vielen Ländern die nötige Zustimmung der Parlamente unsicher. Zweitens: Die derzeitige ökonomische Krise bedarf der Bereitstellung von Liquidität, um eine Insolvenzwelle in der Realwirtschaft und eine daran anschließende Finanzkrise zu verhindern. Jede Hilfe sollte daher zweckgebunden und befristet sein. Beides lässt sich am ehesten über den ESM erreichen. Denn Kreditlinien des ESM sind an Bedingungen zu knüpfen und in der Laufzeit klar begrenzt. Zwar ist vorstellbar, dass auch Corona-Bonds zweckgebunden und befristet ausgegeben werden. Politisch ist jedoch äußerst fragwürdig, ob diese Begrenzungen eingehalten werden. Vor allem dürfte als sicher gelten, dass einmal geschaffene Corona-Bonds zu dauerhaften Euro-Bonds werden, weil die Tilgung von Staatsschulden, von seltenen Ausnahmen abgesehen, eine Mär ist. Dies gilt erst recht für die Staaten Südeuropas. Die Aussicht auf eine dauerhafte Finanzierungsquelle dürfte ein Grund sein, warum die südeuropäischen Länder ESM-Kreditlinien ablehnen und Corona-Bonds fordern. Drittens: Corona-Bonds führen zu einer gemeinsamen Haftung, ohne dass die zugrunde liegende Wirtschafts- und Fiskalpolitik zentralisiert ist. Damit liegt ein Moral-Hazard-Problem vor, das angesichts der Mutation zu dauerhaften Euro-Bonds umso gravierender ist.

Befürworter der Corona-Bonds tragen vier Gegenargumente vor, die aber alle nicht überzeugen. Erstens: Die Laufzeit der ESM-Kreditlinien betrage höchstens zwei Jahre. Ohne Weiteres könnte jedoch danach eine neue Kreditlinie beantragt werden. Zweitens: Dem ESM stünden "nur" 410 Milliarden Euro zur Verfügung. Dies ist freilich fast ein Viertel des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Falls diese Summe nicht reichen sollte, kann und sollte das Kapital des ESM aufgestockt werden. Schaffen Krisenstaaten es nicht, das ihrem ESM-Anteil entsprechende Geld aufzubringen, könnten Deutschland und andere solide Staaten als Zeichen der Solidarität vorübergehend einspringen und mehr bereitstellen, als sie müssten. Drittens: Es sei unangebracht, Corona-Hilfe an Bedingungen zu knüpfen. Indessen sind, da das Virus der Auslöser der Krise ist, jenseits von Zweckbindung und Befristung bei ESM-Kreditlinien keine Auflagen zu erwarten. Viertens: Wenn ein Land wie Italien eine ESM-Kreditlinie beantragte, werde dessen Schuldentragfähigkeit in Zweifel gezogen. Wenn dies zutreffen sollte, gilt es erst recht für den Fall, dass sich Italien mit Corona-Bonds Entlastung zu verschaffen versucht. Wer kauft dann noch klassische italienische Staatsanleihen ohne substantiellen Risikoaufschlag? Dauerhafte Euro-Bonds, nicht befristete Corona-Bonds, sind damit die logische Konsequenz.

Fazit: Helfen wir Italien, aber setzen wir auf den ESM und stellen Rom eine Kreditlinie zu Verfügung.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2020
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