Gastbeitrag:Schwieriges Vorbild

Europa möchte sich mit einem eigenen Währungsfonds für künftige Wirtschaftskrisen wappnen. Der IWF eignet sich aber nicht als Blaupause - ärmere Länder haben dort wenig zu sagen, und die schwache demokratische Kontrolle ist ein Problem.

Von Valentin Lang

Wie wird Europa neuen Wirtschaftskrisen entgegentreten? Um das Chaos der Euro-Krise nicht zu wiederholen, wollen europäische Spitzenpolitiker den in der Krise gegründeten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit mehr Macht ausstatten oder ihn gar in einen Europäischen Währungsfonds umbauen. Als Blaupause dient der IWF in Washington. Ist Europa mit diesem Vorbild wirklich gut beraten?

Der IWF vergibt Kredite an kriselnde Staaten und verlangt im Gegenzug wirtschaftliche Reformen. Meist sehen diese vor, die Neuverschuldung zu begrenzen, Staatsausgaben zu senken und den Finanzsektor zu reformieren. Zusätzlich fordern "strukturelle Reformen" häufig Privatisierungen sowie Flexibilisierungen des Arbeitsmarkts. Wissenschaftliche Studien weisen diesen Reformprogrammen starke Effekte nach. So gelingt es dem IWF einerseits durchaus, eine gewisse finanzielle Stabilisierung herbeizuführen. Andererseits haben viele IWF-Programme auch problematische Auswirkungen. Oft führen sie zu Wachstumseinbrüchen. Da meist auch bei Ausgaben für Renten, Soziales und Gesundheit gekürzt werden muss, leiden besonders Ärmere unter den Reformen. Die Ungleichheit nimmt zu.

Die wirtschaftlichen Effekte haben politische Folgen. Fast immer kommt es zu Protesten gegen Reformen und Sparkurs, häufig auch zu gewaltsamen Ausschreitungen. Viele ärmere Bevölkerungsschichten sehen nicht ein, warum sie die Lasten der Anpassungsprozesse tragen müssen. Regierungskoalitionen zerbrechen oder werden abgewählt. Oft folgen Jahre der politischen Instabilität. Das wiederum erschwert die langfristige Krisenbewältigung.

Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, dass der IWF eine hochgradig politische Institution ist. In der Öffentlichkeit wird der IWF zwar meist als neutrale Instanz wahrgenommen, die mit Hilfe der Expertise ihrer Ökonomen die passenden Reformvorschläge erarbeitet. Wissenschaftliche Studien allerdings zeichnen ein anderes Bild: Die wichtigen Entscheidungen des IWF werden stark von seinen mächtigsten Mitgliedsländern beeinflusst. Die amerikanische Regierung ist dabei besonders einflussreich. So erhalten mit den USA befreundete Länder einfacher Zugang zu IWF-Geldern und müssen oft weniger strenge Reformauflagen umsetzen.

Auch die Bürokraten des IWF prägen diese Entscheidungen. So neutral und objektiv wie viele denken, verhalten sie sich nicht. Sie gehen auch ihren eigenen Interessen und politischen Vorstellungen nach. Die wirtschaftsliberale Ausrichtung des IWF bringen Studien mit der Auswahl und Sozialisierung von IWF-Ökonomen in Verbindung. Die meisten haben an US-Wirtschaftsunis studiert und sind dank des Standorts Washington eng mit US-Eliten vernetzt. Auch über diese informellen Kanäle werden IWF-Entscheidungen beeinflusst.

Ein zentrales Problem ist die schwache demokratische Kontrolle des IWF. Die Delegationskette von Betroffenen zu Entscheidern ist lang und brüchig. Die zentralen Bestimmungen werden vom 25-köpfigen Exekutivrat beschlossen, in dem Gesandte der Regierungen der reichsten Länder sitzen. Kleinere und ärmere Länder haben kaum eine Stimme. Parlamente spielen gar keine Rolle. Mit demokratischen Entscheidungsprozessen hat das nur wenig zu tun.

Schon jetzt ähnelt der ESM unverkennbar dem großen Bruder aus Washington. Auch er verlangt Reformen für seine Kredite, vor allem Strukturreformen, die Konsolidierung der Staatsfinanzen und Reformen im Finanzsektor. Bei den bisherigen ESM-Programmen standen vor allem in Griechenland und Portugal kräftige Sparmaßnahmen im Zentrum. Es folgten zwar gewisse finanzielle Stabilisierungen, aber auch starke Einkommenseinbußen, soziale Schieflagen, Massenproteste, und die Ablösungen der Regierungen, welche die Programme begonnen hatten. Regierungen, die sich für eine radikal andere Krisenpolitik aussprachen, kamen ins Amt. Die Wut auf europäische Institutionen wuchs.

Wollen die Euro-Länder der nächsten Krise effektiver begegnen, sollte Anpassungspolitik sozial verträglicher gestaltet werden. Es braucht Konditionen, die nicht bei denen kürzen, die staatliche Unterstützung am dringendsten brauchen. Auch Konjunkturprogramme und Steuererhöhungen am oberen Ende der Einkommens- und Vermögensverteilung sollten in Krisenzeiten kein Tabu sein. Dass die Reformen nicht zu Lasten der Schwächsten gehen, gebietet nicht nur die Gerechtigkeit, sondern ergibt auch makroökonomisch Sinn. Die sonst unvermeidlichen politischen Tumulte behindern jede Krisenbewältigung.

Derlei Änderungen sind aber nur zu erwarten, wenn die Entscheidungsprozesse im ESM demokratisiert werden. Es ist ein Wunschtraum zu glauben, der ESM oder sein Nachfolger könne eine technokratische und unpolitische Organisation sein. Der IWF zeigt: Derlei mächtige Instrumente werden immer politisch sein. Wie beim IWF lautet daher die Kernfrage, wer im Krisenfall über den Zugang zu Krediten und den Inhalt der Reformen entscheidet. Bislang ist die EU-Kommission dafür zuständig, die Konditionen mit den Krisenländern auszuhandeln. Dann entscheiden die Finanzminister der Euroländer einstimmig über das ausgehandelte Reformprogramm. Nationale Parlamente können nur sehr indirekt Einfluss nehmen. Das Europäische Parlament spielt bislang so gut wie gar keine Rolle. Bleibt es dabei, würde man die Konstruktionsfehler des IWF einfach übernehmen. Ein anderer, besserer Weg würde den ESM in die EU-Prozesse integrieren, und noch viel wichtiger: für parlamentarische Kontrolle sorgen. Möglich wäre dies durch ein Parlament für die Euro-Zone, dem die Europa-Abgeordneten der Euro-Länder angehören. Diesem gegenüber sollte sich der ESM dann regelmäßig verantworten müssen, beispielsweise in parlamentarischen Anhörungen. Auch die Führungsriege der Institution sollte von Parlamentariern gewählt und abgewählt werden können. Tiefgreifende Reformprogramme sollten ebenso deren Zustimmung bedürfen. Auch die Rolle nationaler Parlamente bei der Aushandlung der Reformprogramme sollte gestärkt werden. Diese müssen den Inhalt der Reformen für ihr eigenes Land bestimmen können.

Vor der nächsten Krise muss der ESM also dringend reformiert werden. Kommt es stattdessen zu einem Krisenmanagement, das die Bürger als ungerecht und undemokratisch empfinden, streut das Salz in eine offene europäische Wunde und stärkt die Euro-Skeptiker. Das Ziel, Europa besser und krisenfester zu machen, gerät dann in noch weitere Ferne.

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