Gastbeitrag:Rote Energie

Susanne Schattenberg

Susanne Schattenberg ist Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas sowie Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.

(Foto: Harald Rehling)

50 Jahre russisches Gas: Wie Bayern den ersten Deal herbeiführte und so die Energieversorgung der Bundesrepublik prägte.

Von Susanne Schattenberg

Am 1. Februar 1970 unterzeichneten die UdSSR und Westdeutschland ihr erstes Tauschgeschäft Gas gegen Röhren. Obwohl Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) den Erfolg für sich reklamierte, feierte die Presse Otto Schedl (CSU), den bayerischen Wirtschaftsminister, als "Vater" des "sensationellen Arrangements". Heute scheint es unvorstellbar, dass ein bayerischer Wirtschaftsminister dem damals sogenannten "roten Gas" den Weg bereitete. 50 Jahre danach, da die Abhängigkeit von der russischen Monopolstellung immer wieder gegeißelt wird, mutet es bizarr an, dass damals Bayern ein ganz anderes Monopol brechen wollte: das der angloamerikanischen Ölfirmen. Wie aus einer vergangenen Welt wirkt auch Schedls Vision: Es liege durchaus nicht im Bereich des Unmöglichen, dass Bayern in absehbarer Zeit innerhalb der Bundesrepublik zu den Spitzenwachstumsländern gehören werde.

Wohl ahnte damals niemand, dass Schedls Infrastrukturpolitik die Energieversorgung der Bundesrepublik grundlegend prägen sollte. Bayern war nach 1945 von seinen bisherigen Energielieferanten abgeschnitten und mitten im Umbruch, als Schedl 1957 ins Amt kam. Für den Aufbau einer konkurrenzfähigen Wirtschaft brauchte er billige Energie: Weder wollte er sich von Öllieferungen aus den Seehäfen noch von der Ruhr-Kohle abhängig machen, die der Transport nach Süden teuer machte. Bereits sein erster Coup brachte ihm den Titel "Träumer an der Isar" ein. Unterstützt von Enrico Mattei, dem Vorsitzenden der italienischen Mineralölgesellschaft ENI, der sich dem Kampf gegen das angloamerikanische Monopol verschrieben hatte, ließ Schedl eine Pipeline vom Mittelmeer über die Alpen nach Ingolstadt bauen, wo er Ende 1963 allen Unkenrufen zum Trotz ein bayerisches Raffineriezentrum eröffnete. Dieser Süd-Keil im angloamerikanischen Monopol versetzte nicht nur die westlichen Öl-Multis in Aufregung, auch die Nato reagierte: Da Mattei zur selben Zeit die ersten Deals mit der UdSSR über die Lieferung sowjetischen Öls abschloss, verhängte die Nato 1962 ihr erstes Röhren-Embargo.

Hatte sich Schedl 1962 noch von Mattei versichern lassen, dass kein sowjetisches Öl nach Ingolstadt gepumpt werde, gab er diese politische Vorsicht beim Gas bald auf. Die großen Gasfelder in Algerien, den Niederlanden und der Sowjetunion waren um 1960 herum entdeckt worden; ein Werben und Feilschen um Abnehmer und Preise begann. Anfangs schien es naheliegend, parallel zur Öl- auch eine Gaspipeline für algerisches Gas zu bauen. Aber der Transport per Tanker und Pipeline erwies sich als zu teuer. Da Schedl holländisches Gas aus Monopol-Gründen ablehnte, blieb nur die Suche nach dem "dritten Gasmann", so die Presse. Als Schedl im Herbst 1966 von Verhandlungen zwischen Österreich und der UdSSR erfuhr, schien das die Lösung zu sein. Doch Moskau hielt Bonn für zu USA-hörig, und in Bonn war man über den bayerischen Vorstoß konsterniert.

Die UdSSR hielt die Verträge ein. Aber die Ukrainer mussten frieren

Von Anfang an gab es Zweifel an der Verlässlichkeit der sowjetischen Vertragspartner. Doch als infolge des Sechstagekriegs 1967 arabische Länder ein Öl-Embargo verhängten, warb die UdSSR, sie sei der bessere Partner. So gelang am 1. Juni 1968 ihr erster Abschluss über Gaslieferungen nach Österreich, die entgegen aller Skepsis angesichts der Panzer in Prag kurz darauf begannen.

Als Schedl Anfang 1969 erste Gespräche mit sowjetischen Vertretern begann, zeigte sich nun auch die Bundesregierung, jetzt schon unter Willy Brandt (SPD) als Außenminister, im Rahmen der neuen Ostpolitik interessiert, hatte aber Zweifel an der Bayerngas als Vertragspartner. Sie brachte die Ruhrgas ins Spiel, die über die bayrischen Alleingänge ebenso alarmiert wie daran interessiert war, dieses Geschäft selbst abzuschließen. Schedl musste zähneknirschend akzeptieren, dass die Verhandlungsführung der Vorsitzende der Ruhrgas, Herbert Schelberger, übernahm, der sie Ende November 1969 erfolgreich abschloss. Als am 1. Oktober 1973 in Waidhaus die Pumpstation in Betrieb genommen wurde, frohlockte der sowjetische Vertreter, das Gas habe ohne Pass und Visum die Grenze überquert.

Während das "rote" Gas von Bayern aus seinen Siegeszug durch Westdeutschland antrat, musste die sowjetische Bevölkerung frieren. Weil die UdSSR unbedingt als verlässlicher Partner erscheinen wollte, drehte sie den eigenen Einwohnern den Gashahn ab. Die Reserven waren zwar gewaltig, aber der Rückstand beim Pipelinebau ebenso. So erfolgten die ersten Lieferungen an die Bundesrepublik rein aus ukrainischen Gasvorkommen, die ein Drittel des Gesamtbedarfs der UdSSR zu decken hatten. Hatte es bereits vor den Gasexporten große Engpässe im Winter gegeben, verschärfte sich die Situation nach dem Anschluss Bayerns im Winter 1973/74 dramatisch. Ukrainer bekamen auf ihre Klagen, sie könnten weder heizen noch kochen und die Kinder erkrankten, zu hören, Leningrad habe die Blockade durch die Wehrmacht überlebt, also würden auch sie diesen Winter überleben.

Die UdSSR erwies sich nicht nur dank der rigorosen Sparpolitik gegenüber der eigenen Bevölkerung als verlässlicher Vertragspartner. Die Ölkrise 1973/74 und die Iranische Revolution 1979 schienen zu bestätigen, dass Gas aus der Sowjetunion der politisch zuverlässigere Energieträger war.

Sowjetisches Gas hatte noch einen anderen Vorteil: Nach internationalen politischen Krisen konnte man sich auf der Wirtschaftsebene versichern, weiter miteinander kooperieren zu wollen. Das galt nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wie auch nach dem Einmarsch in Afghanistan 1979. Ungeachtet amerikanischer Warnungen schlossen europäische Gasgesellschaften ihre Verhandlungen mit der UdSSR über die Erschließung des sibirischen Gases in der Jamal-Region Ende 1981 ab. Als daraufhin Ronald Reagan ein zweites Embargo auf Pipelinetechnik verhängte, zeigten sich die europäischen Partner so unbeeindruckt, dass er es Ende 1982 kleinlaut zurücknahm.

Zeit ihres Bestehens hat die UdSSR Gaslieferungen nie als politische Waffe eingesetzt. Die Monopolverhältnisse haben sich seitdem stark verändert: Bekämpfte Bayern einst die Vormachtstellung der angloamerikanischen Konzerne und der niederländischen NAM, wettern die USA heute gegen das Monopol von russischem Gas, dem Bayern einst den Weg bereitete, während das holländische Gas der Neige zugeht. Nur daran, dass die Ukraine Spielball der internationalen Gaspolitik ist, scheint sich nichts geändert zu haben.

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