Gastbeitrag:Kind der Angst

Der Populismus ist eine Folge des Politik-Versagens. Populisten nutzen aus, dass sich viele Menschen abgehängt fühlen.

Von Volker Grossmann und Guy Kirsch

Mochte vor nicht allzu langer Zeit der Populismus als die exotische Verirrung einer randständigen Minderheit angesehen, belächelt und vernachlässigt werden, so nähert er sich gegenwärtig dem Zentrum des politischen Geschehens; mit der Folge, dass er als Gefahr ernst genommen werden muss. Dabei reicht es nicht, sich irritiert und angewidert von ihm abzuwenden. Vielmehr ist es nötig, ihn in dem, was seinen Kern ausmacht, zu durchschauen.

Als Erstes ist festzustellen, dass sich Populisten jeglicher Couleur dadurch auszeichnen, dass sie ungemein selbstsicher und rechthaberisch auftreten. Sie halten mit einer für Nichtpopulisten schlicht unverständlichen Hartnäckigkeit an Sachaussagen selbst dann fest, wenn die Fakten gegen sie sprechen. Die Leugnung des menschengemachten Klimawandels oder der gesundheitsschädlichen Wirkung von Feinstaub sind dafür ebenso schlagende Beispiele wie die nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte Behauptung, Zuwanderung gefährde Arbeitsplätze. Wissenschaftliche Studien können naturgemäß nie den absoluten Beweis für die Richtigkeit eines Sachverhalts erbringen. Das machen sich Populisten zu Nutze, um wissenschaftliche Evidenz grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, auch wenn eine Aussage durch unzählige Studien gestützt und durch keine seriöse Studie widerlegt worden ist.

Populisten treten ungemein selbstbewusst auf. Eine Antwort auf Probleme haben sie nicht

Während Wissenschaft, guter Journalismus und aufgeklärte Politik versuchen, neue Erkenntnisse ernst zu nehmen, lernen Populisten selbst dann nichts dazu, wenn sie offenkundig im Irrtum sind. Da sie ihrer Ansicht nach nicht irren können, ist es in ihren Augen nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, all jene, die nicht so denken und fühlen wie sie, zu diskreditieren. Dies sollte bereits genügen, den Populismus als demokratiefremd zu entlarven. Symptomatisch ist zudem, dass Populisten - ganz so, als müssten sie nicht nur andere, sondern auch sich selbst überzeugen - zu mal mehr, mal weniger schockierenden Ausdrücken greifen. Sie betonen dann, wenn der Aufmerksamkeitseffekt erreicht ist, dass es so nicht gemeint war.

Die Frage ist nun, wie man mit Populisten umgehen soll. Es ist nur zu offenkundig, dass man ihnen mit Gegenargumenten nicht begegnen kann. Erfolgversprechender ist es, der Frage nachzugehen, woher der fruchtbare Boden für Populismus kommt. Dazu Folgendes: Für viele, vielleicht für die meisten Zeitgenossen, ist die Welt in einem derart schnellen Wandel begriffen, dass die Angst vor dem, was da kommen mag, eine keineswegs seltene Gemütsregung ist. Es spricht einiges dafür, dass viele von uns die Welt als gefährlichen Ort erleben, in dem die derzeitige, persönliche Lebensweise bedroht ist. Der Erfolg der Populisten beruht nun im Wesentlichen darauf, dass sie an der Verlustangst der Menschen anknüpfen und Furchtobjekte anbieten: Muslime, Flüchtlinge, gar Fremde schlechthin sind dann jene, die man fürchten, meiden und bekämpfen muss. Denn sie werden als diejenigen wahrgenommen, die den Alteingesessenen ihre angestammte Heimat und Werte nehmen wollen.

Gastbeitrag: Volker Grossmann ist Professor für Makroökonomie, Internationale Industrie-und Wachstumspolitik an der Universität Fribourg (Schweiz).

Volker Grossmann ist Professor für Makroökonomie, Internationale Industrie-und Wachstumspolitik an der Universität Fribourg (Schweiz).

(Foto: privat)

Hat man es erst so weit gebracht, dass die Menschen in jedem Zuwanderer einen potenziellen Vergewaltiger sehen, kann man als Populist bei jenen erfolgreich sein, die sich bedroht fühlen und sich nach in heimatlicher Identität verklärte Geborgenheit sehnen. So gesehen sind Populisten Menschen, denen es gelingt, an die Stelle eines diffusen Gefühls der Angst konkrete Vorstellungen von dem zu setzen, das man - angeblich - fürchten und bekämpfen muss, und eine verloren gegangene Heimat heraufzubeschwören, die es so nie gab. Der Populismus ist ein Kind der Angst. Und dieses Kind kann gezeugt, geboren und entwickelt werden, wenn und weil die Menschen zu Recht oder zu Unrecht das Gefühl haben, dass die gängige Politik auch sie in ihrer Angst und ihren Zukunftssorgen nicht ernst genug nimmt und nicht jene Themen angeht, die - wenn und weil sie nicht behandelt und entschieden werden - zum Fürchten sind.

Man mag es hören wollen oder nicht: Der Populismus ist auch eine Folge des Versagens liberal-demokratischer Politik, die auf grundlegende Veränderungen nicht oder nicht ausreichend reagiert hat. Beispiele dafür gibt es viele: Trotz seit Jahrzehnten beobachtbarer Verstädterung gibt es nach wie vor keine Strategie für die Schaffung neuen Wohnraums in Städten und gegen die aus den Mietpreisanstiegen resultierende Verdrängung weniger zahlungskräftiger Menschen ins oft schlecht erschlossene Umland; und trotz der offensichtlich mangelnden Aufstiegschancen von sozial benachteiligten Kindern gibt es immer noch keinen überzeugenden Plan, frühkindliche Bildung zu fördern. Der vielerorts dramatische Mangel an Kitaplätzen hängt wie auch der Lehrermangel an Grund- und Förderschulen wesentlich mit der geringen Entlohnung der Lehrkräfte und dem trotz Geburtenbooms jahrelang unterschätzten Bedarf zusammen. In ähnlicher Weise haben unattraktive Arbeitsbedingungen in staatlichen Gesundheitseinrichtungen zu chronischer Überlastung von Pflegekräften und medizinischem Personal geführt, die angesichts der Alterung der Bevölkerung eklatante Ausmaße angenommen hat.

Gastbeitrag: Guy Kirsch ist Professor für Neue Politische Ökonomie an der Universität Fribourg (Schweiz).

Guy Kirsch ist Professor für Neue Politische Ökonomie an der Universität Fribourg (Schweiz).

(Foto: oh)

Auf all diese Entwicklungen haben Populisten natürlich auch keine Antwort; sie versuchen nicht einmal, eine Antwort zu geben. Indes bieten sie vermeintlich eine identitätsstiftende Heimat - so verabscheuungswürdig diese auch andere ausgrenzen mag. Zudem können sich Populisten als Anwälte der sozial Schwachen aufspielen, indem sie beispielsweise Maßnahmen zur Minderung des Schadstoffausstoßes durch Autoverkehr, Flugverkehr oder Energieerzeugung als unsozial und elitär brandmarken. Dies ist nur deshalb möglich, weil sich breite Bevölkerungsschichten angesichts wachsender regionaler Disparitäten in der öffentlichen Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und bei Bildungschancen abgehängt fühlen.

All das legt nahe, dass man dem gesellschaftszersetzenden Populismus mit echten Lösungen für konkrete Probleme entgegentreten muss. Dazu wäre beispielsweise eine Förderung der Investitionen in städtischen Wohnraum und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs vor allem außerhalb der großen Städte ebenso nötig wie bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in öffentlichen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Nur so kann der Populismus wirksam eingedämmt werden.

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