Wenn wir heute einen Vertrag für unser Smartphone abschließen, erscheint es uns als eine Selbstverständlichkeit, dass die Anzahl der Minuten, die wir telefonieren, keine Rolle mehr spielt. Wir leben in einer "Flatrate Society", ein Begriff, den der Freiberger Professor und Solartechnik-Unternehmer Timo Leukefeld geprägt hat. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Sonnen- und Windkraft setzt im Energiesektor eine ähnliche Entwicklung in Gang: Sind Solarpaneele und Windrotoren einmal gekauft und installiert, liefert uns die Natur kohlendioxidfreien Strom bei sehr geringen variablen Kosten. Die konventionellen Energieträger Gas, Kernkraft und Kohle - derzeit noch durch politische und regulatorische Vorgaben begünstigt - werden so zunehmend aus dem Markt gedrängt.
Der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) zufolge haben Skaleneffekte und Innovationen seit dem Jahr 2009 zu einem Preisverfall von 80 Prozent bei Photovoltaik und von 30 bis 40 Prozent bei Windkraft geführt. Auch wenn sich der Kostenrückgang verlangsamt, ist noch kein Ende abzusehen. In vielen Weltregionen sind erneuerbare Energien inzwischen sogar die günstigste Option, Strom zu produzieren. Hierzulande trugen die Erneuerbaren im vergangenen Jahr nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums mehr als 40 Prozent zur Stromversorgung bei.
Die neue Phase der Energiewende, in die wir nun eintreten, erfordert einen fundamentalen Strategiewechsel bei den traditionellen Energieversorgern. Wenn die Produktion einer einzelnen Kilowattstunde praktisch umsonst ist, braucht es neue Geschäftsmodelle, die den Unternehmen jenseits des Netzbetriebs ein nachhaltiges Auskommen sichern. Das können einerseits große erneuerbare Infrastrukturprojekte wie Windparks sein. In ihrem Investitionsvolumen, ihrer technischen Komplexität und den einhergehenden Risiken ähneln sie dem Bau konventioneller Kraftwerke und sind in vielen Ländern bereits ohne Subventionen wettbewerbsfähig.
Auf der anderen Seite können die Unternehmen ihre breite Kundenbasis nutzen, um Privathaushalten, Geschäften und Industriebetrieben individuelle, maßgeschneiderte Dienstleistungen anzubieten. Solche integrierten Lösungen senken Kosten, Energie- und Ressourcenverbrauch und steigern zugleich die Effizienz und Autonomie. Dabei generieren sie eine größere Wertschöpfung als die Lieferung einer Kilowattstunde, weil sie die Verbraucher von einer zunehmend komplexen Managementaufgabe entlasten.
Das technische Know-how dafür ist bei den Versorgungsunternehmen vorhanden - die Transformation an sich ist dagegen schwieriger, besonders mit Blick auf die Kleinteiligkeit der neuen Geschäftsfelder und die Entwicklung erfolgreicher digitaler Produkte.
Die beiden größten deutschen Energieversorger Eon und RWE haben die Zeichen der Zeit erkannt und damit begonnen, ihre Vermögenswerte umzustrukturieren: Während sich RWE zunehmend internationalisiert und auf die zentrale Erzeugung erneuerbaren Stroms setzt, will sich Eon in Zukunft auf Netzbetrieb und Kundendienstleistungen konzentrieren. Daneben drängen immer mehr kleinere Anbieter auf den Markt. So entwickelt und baut Timo Leukefeld zum Beispiel Ein- und Mehrfamilienhäuser, die mit einer Batterie im Keller, Photovoltaik und solarthermischen Paneelen auf dem Dach sowie einem großen Wassertank zur Wärmespeicherung weitgehend energieautark sind. Diese werden zu Quadratmeterpreisen vermietet, die kaum das marktübliche Niveau übersteigen - einschließlich der Möglichkeit, kostenfrei ein Elektroauto zu nutzen.
In der digitalen Plattform-Ökonomie sind Unternehmen ohne eigene Infrastruktur wie Airbnb und Uber höher bewertet als viele traditionelle Hotelketten oder Fahrdienstanbieter. Ähnliche Plattformen entstehen im Energiesektor - ein Markt, der zunehmend von dezentralen Erzeugern geprägt wird. Allein in Deutschland gibt es bereits 1,7 Millionen Privathaushalte, die mit eigenen Anlagen Strom produzieren. Start-ups wie Entelios aus München oder Restore aus Antwerpen in Belgien testen Geschäftsmodelle, die nicht nur die Einspeisung von Kleinstproduzenten koordinieren. Ziel ist es auch, den industriellen Energieverbrauch in Phasen knappen Angebots, wenn Wind und Sonne nicht ausreichen, intelligent zu steuern und zu reduzieren. Dieses sogenannte Nachfrage-Management gewinnt mit steigendem Anteil erneuerbarer Energien an Bedeutung für die Netzstabilität, da es eine wesentlich günstigere Alternative zum Bau von Reservekraftwerken ist.
Auch für Kleinstproduzenten bieten die sinkenden Investitionskosten erneuerbarer Energien Gelegenheit, ihr Einkommen aufzubessern - selbst, wenn das bisherige Förderinstrument der Einspeisevergütung weitgehend wegfällt.
In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland rund die Hälfte aller neuen Photovoltaikanlagen zusammen mit einer Batterie verkauft. Unter den hiesigen klimatischen Bedingungen lohnt sich eine solche Kombi-Anlage trotz des höheren Anschaffungspreises. Sie ermöglicht es den Eigentümern, sich noch stärker vom Netz abzukoppeln und auf den teuren Strom vom zentralen Energieversorger zu verzichten.
Zugleich tragen diese Haushalte potenziell zur Netzstabilisierung bei, indem sie dem örtlichen Versorgungsunternehmen kurzfristig Reserve- oder Speicherkapazitäten zur Verfügung stellen. In einigen europäischen Ländern ist bereits das sogenannte Peer-to-Peer-Trading erlaubt, bei dem Nachbarn lokal produzierten Ökostrom untereinander handeln.
Beim Handyvertrag, beim Musik-, Film- und Serienstreaming ist die "Flatrate Society" bereits Realität. Im Energiesektor wird sie kommen. Im Angebot großer US-Tech-Giganten sehen wir bald nicht nur Smart-Home- und Entertainment-Deals, sondern auch eine zusätzlich buchbare oder schon integrierte Flatrate für den Stromverbrauch. Im Unterschied zu den anderen Branchen werden Konsumenten im Energiesektor jedoch die Möglichkeit haben, auch Produzenten zu sein und als aktive Marktteilnehmer ihren Beitrag auf der Plattform zu vermarkten.