Gastbeitrag:Ein starkes Europa kostet Geld

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Lucas Guttenberg ist stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre an der Berliner Hertie School. Er arbeitet dort vor allem zu Fragen der europäischen Wirtschaftspolitik und der deutsch-französischen Beziehungen. (Foto: Laura Morton/oh)

Klimaschutz, Digitalisierung, Humanität sind große Herausforderungen. Deutschland sollte beim EU-Finanzrahmen deshalb größer denken und Verantwortung übernehmen.

Von Lucas Guttenberg

Sieben Jahre sind politisch eine Ewigkeit. Vor sieben Jahren war Philipp Rösler Vizekanzler und die SPD versuchte, sich in der Opposition zu erneuern. Damals, im Frühjahr 2013, einigten sich die Mitgliedstaaten auf den noch bis Ende dieses Jahres gültigen Finanzrahmen der Europäischen Union. Im Fokus stand vor allem die Bewältigung der Wirtschaftskrise.

Die folgenden sieben Jahre haben die Lage Europas dramatisch verändert: Die Wahl eines offen EU-feindlichen amerikanischen Präsidenten traf die Union ähnlich unvorbereitet wie der Austritt Großbritanniens und die Fluchtbewegungen des Jahres 2015. Gleichzeitig drängte die Klimakrise mit Macht auf die politische Agenda. Und zunehmend erschließt sich uns allen, wie tief greifend die Digitalisierung unsere Gesellschaften verändern wird. Die EU kam unter massiven Handlungsdruck, und sie war darauf finanziell nicht vorbereitet.

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag in Brüssel zum Sondergipfel treffen, um sich auf einen neuen Finanzrahmen bis 2027 zu verständigen, sollten sie aus den vergangenen sieben Jahren zwei wichtige Lehren ziehen:

Sie müssen erstens sicherstellen, dass die EU vor dem Hintergrund der völlig veränderten Weltlage finanziell handlungsfähig wird. Das gilt besonders beim Klimaschutz. Die EU möchte hier Weltmeisterin werden, doch das bleibt ein hohles Versprechen, wenn die Mittel fehlen. Gleiches gilt für die Digitalisierung. Wer will, dass die EU hier mit den USA und China in einer Liga spielt, darf nicht kleckern, sondern muss klotzen. Schließlich muss die Union auch nach außen endlich mit einer Stimme und einer Politik auftreten. Aber eine echte europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder ein gemeinsamer humaner Umgang mit Migration und Flucht kosten Geld, das der EU bisher nicht zur Verfügung steht.

Zweitens müssen die Chefs dafür Sorge tragen, dass die EU in den nächsten sieben Jahren in der Lage sein wird, schnell auf Veränderungen zu reagieren und ihre Prioritäten anzupassen. Die EU wird auch in Zukunft vor Herausforderungen stehen, von denen wir heute noch nichts ahnen. Bis jetzt war der Finanzrahmen für eine schnelle Prioritätenänderung stets viel zu starr und damit unbrauchbar. Ein ums andere Mal musste die Union deshalb auf windige Hilfskonstruktionen zurückgreifen, um an Geld zu kommen. Das war in der Eurokrise genauso der Fall wie beim umstrittenen Türkei-Deal - und darf sich nicht wiederholen.

Das Ziel darf nicht sein, so viel Geld wie möglich in die eigene Tasche zu leiten

An diesen beiden Anforderungen - Handlungsfähigkeit und Flexibilität - muss sich jeder Kompromiss beim Gipfel messen lassen. Doch leider dominiert in Deutschland ein anderer Maßstab die Diskussion: Erfolg ist angeblich, wenn wir möglichst wenig zahlen und möglichst viel herausbekommen. Die Bundesregierung hat diese Diskussion in den vergangenen Monaten kräftig befeuert: Sie besteht auf einer Obergrenze von einem Prozent der Wirtschaftsleistung für die EU-Ausgaben.

Damit fällt die Koalition weit hinter ihre eigenen Ansprüche zurück: Im Koalitionsvertrag versprachen Union und SPD, die EU finanziell zu stärken. Doch die deutsche Position läuft auf das Gegenteil hinaus: Auf die 27 verbliebenen Mitgliedstaaten umgerechnet, darf die EU im derzeitigen Finanzrahmen 1,16 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ausgeben. Eine Reduzierung auf ein Prozent - wie von der Bundesregierung gefordert - käme einer Kürzung der Ausgaben um fast 14 Prozent gleich. Zum Vergleich: Das entspräche im Bundeshaushalt der Streichung des Verteidigungsetats.

Die Bundesregierung zieht sich darauf zurück, dass Deutschland selbst bei einem Finanzrahmen von einem Prozent bis 2027 höhere Zahlungen als heute leisten wird. Das ist richtig, aber auch trivial: Allein um ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung stabil zu halten, also um Inflations- und Wachstumseffekte auszugleichen, müssen die Beiträge in absoluten Zahlen steigen. Das gilt allerdings für alle Mitgliedstaaten, und die Steuereinnahmen hierzulande wachsen ja in gleichem Maße mit. Dazu muss man auch wissen, dass Deutschland heute aufgrund eines saftigen Rabattes gemessen an seiner Wirtschaftsleistung deutlich weniger an die EU zahlt als etwa Frankreich oder Italien. Nun argumentieren einige, dass eine handlungsfähige EU auch mit geringeren Ausgaben zu haben ist. Man solle doch einfach alte Zöpfe abschneiden und die Gelder in Zukunftsaufgaben umleiten. Doch in der Vergangenheit haben die Mitgliedstaaten gerade die "alten" Töpfe, die Agrarausgaben und die Strukturfonds, stets besonders geschützt. In diesen Bereichen wissen sie auf sieben Jahre im Voraus, wie viel Geld sie zur Verfügung haben werden. Diese Sicherheit haben sie bei gesamteuropäischen Ausgaben wie der Forschungsförderung nicht.

Dieses Spiel wiederholt sich auch diesmal. Es sind dabei nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Frankreich bei der Agrarpolitik oder Polen bei den Strukturfonds am Werk, sondern auch Deutschland: Der Koalitionsvertrag legt fest, dass die Agrarausgaben auf dem derzeitigen Niveau erhalten werden sollen, und die Bundesländer kämpfen mit Klauen und Zähnen für weitere Strukturmittelflüsse.

In der Zielsetzung, Geld lieber zuverlässig in die eigene Tasche zu leiten, als es für Projekte mit potenziellem Nutzen für alle auszugeben, erschließt sich die ganze Tragik dieser Verhandlungen. Und genau diese Haltung ist es auch, die den Finanzrahmen so starr werden lässt. Wer eine flexible und handlungsfähige EU will, muss deshalb zusätzliche Mittel aufbringen.

Der Europäische Rat hat diese Woche die Chance zu zeigen, dass er die enormen Herausforderungen erkannt hat, vor denen Europa steht. Gerade von Deutschland kann man hier erwarten, dass es Verantwortung übernimmt.

Dafür brauchen wir zuvorderst eine andere politische Haltung: Wer will, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird, in der Digitalisierung vorne mitspielt und nach außen ein selbstbewusstes und gleichzeitig humanes Gesicht zeigt, der muss den Mut haben, die EU nicht auf einen Nettobeitrag in Euro und Cent zu reduzieren. Ein deutscher Erfolg bei diesen Verhandlungen wäre ein starkes Europa, nicht eine möglichst kleine Rechnung.

Ein solcher Erfolg erfordert, dass die Kanzlerin am Donnerstag die Bremse löst. Denn auch in Brüssel gelten die Grundrechenarten: Eine handlungsfähige EU ist nicht ohne deutlich höhere deutsche Beiträge zu haben. Doch gerade uns Deutschen sollte es das wert sein. Leisten können wir es uns jedenfalls.

© SZ vom 17.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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