Gastbeitrag:Ein globales Dorf

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Digitalisierung und künstliche Intelligenz können für eine neue Welle der Globalisierung sorgen. Dafür braucht es aber dringend neue Regeln.

Von Gabriel Felbermayr

Mancher mag denken, die Globalisierung der Wirtschaft, die ihren ersten neuzeitlichen Aufschwung nach den napoleonischen Kriegen, und ihren vorläufigen Höhepunkt kurz vor der Pleite der Lehman-Brüder im Jahre 2008 erlebte, ist vor allem auf den Abbau politischer Handelsbarrieren zurückzuführen. Das ist nicht ganz falsch; viel wichtiger aber war seit jeher der technologische Wandel: Im 19. Jahrhundert hat die Dampfmaschine mit der Einführung der Eisenbahn und der Revolutionierung der Schifffahrt die Transportkosten dramatisch reduziert und die Geschwindigkeit des Warenaustauschs vervielfacht. Die Erfindung der Telegrafie, später des Telefons, und die Verknüpfung der Kontinente mit Tiefseekabeln haben die Kommunikationskosten sinken lassen. Die Containerisierung des Welthandels seit den 1960er-Jahren, der massive Ausbau von Transportinfrastruktur, die Perfektionierung der Lieferketten und das Internet haben einen weiteren gewaltigen Globalisierungsschub geleistet. Im Vergleich dazu ist der Abbau politischer Barrieren - Zölle, Quoten, unnötige Bürokratie - deutlich weniger wichtig. Das jedenfalls ist der klare Befund der aktuellen wirtschaftshistorischen Forschung.

Es steht zu vermuten, dass zukünftiger technologischer Fortschritt die Welt weiter zusammenwachsen lässt. Das heißt nicht, dass die Politik nicht für Einbrüche und Perioden der Deglobalisierung sorgen kann. Aber der langfristige Trend hin zum globalen Dorf ist ungebrochen. Die Anreize, regionale Unterschiede in Produktionsbedingungen und mithin in Preisen und Löhnen gewinnbringend auszunutzen, sind riesig. Sie treiben Forschung und Innovation. Die nächste große Disruption ist in vollem Gang: Sie hat mit Daten zu tun, mit künstlicher Intelligenz und mit dem Internet der Dinge. Sie stellt das Welthandelssystem vor neue Herausforderungen und wird gemeinsam mit Automatisierung und Robotisierung die Karten in der Weltwirtschaft neu mischen.

Noch immer handeln Länder sehr viel mehr mit sich selbst als mit dem Ausland, große Länder mehr als kleine. Das hat mit den Kosten der Überwindung geografischer und kultureller Distanz zu tun. Technologische Entwicklungen werden diese Kosten weiter reduzieren. Dies lässt sich an Hand von zwei Beispielen zeigen: der globalen Logistik und den personenbezogenen Dienstleistungen.

Mithilfe moderner Technik kann eine einzige Person die Be- und Entladung eines der größten Containerschiffe der Welt, der Munich Maersk mit ihrer Kapazität von 20 000 Containern, überwachen. Noch ist die maritime Logistik aber nicht vollständig digitalisiert: Eine Flut papierener Dokumente begleitet immer noch jedes Schiff. Spediteure machen gute Geschäfte mit der Bewältigung der Dokumentationspflichten: Zollerklärungen, Versicherungspolicen, Frachtbriefe und so weiter. Es ist absehbar, dass das Geschäft der Spediteure auf elektronische Plattformen verlagert wird. In sehr naher Zukunft wird es möglich sein, für jeden Container und zu jedem Zeitpunkt auf Knopfdruck sagen zu können, wo er sich gerade befindet - gerade so, wie ein Amazon-Kunde seine Bestellung verfolgen kann. Schätzungen der Unctad für die Route China - USA zeigen, dass so die Zeitanforderungen im Export um 44 Prozent und die Kosten um 31 Prozent sinken könnten.

Weitere Kosteneinsparungen in der Logistik sind durch den Einsatz künstlicher Intelligenz möglich: Sie ermöglicht ein besseres Matching von Transportkapazität und Kundschaft und ein perfektes Routing - noch fahren viele Schiffe voll von China in die USA und halb leer zurück. Beobachter sprechen hier in Anlehnung an den Fahrdienstleister Uber von einer "Uberization" des Frachtgeschäfts.

Die Plattformökonomie neigt zu Monopolisierung, es braucht eine globale Wettbewerbsaufsicht

Die Zukunft der globalen Logistik könnte den Betreibern digitaler Plattformen gehören: Dort entstünden die dicksten Gewinnmargen; für die operative Abwicklung durch Maersk und Co. verblieben nur Brosamen. Es ist kaum zu erwarten, dass die alten Oligopolisten der Weltmeere denselben Schutz gegen kreative Zerstörung erhalten wie die Taxifahrer gegen Uber in deutschen Großstädten. Gut möglich, dass das Silicon Valley auch die Logistikbranche revolutioniert. Wenn die Logistikkosten purzeln, wird grenzüberschreitender Handel attraktiver.

Eine zweite große Veränderung durch den Einsatz künstlicher Intelligenz bahnt sich im Handel personenbezogener Dienstleistungen an: Noch ist es für viele Kunden in den Industriestaaten schwierig, sich von einem indischen Architekten oder einer philippinischen Ärztin beraten zu lassen, zu groß sind die Sprachbarrieren trotz Bildtelefonie. Doch diese Hürden könnten bald der Vergangenheit angehören, wenn digitale Dienste in Millisekunden und fehlerfrei von einer Sprache in die andere übersetzen können. Technisch fehlt hierzu nicht mehr viel, wie die riesigen Fortschritte von Apples Siri, Samsungs S-Voice und Googles Now zeigen.

Seit etwa zwanzig Jahren wächst der weltweite Handel mit Dienstleistungen etwas schneller als jener mit Waren, aber immer noch machen Industriegüter etwa 70 Prozent des Welthandels aus. Der Dienstleistungssektor, der in den OECD-Staaten mehr als 70 Prozent der Wertschöpfung auf sich vereint, ist hingegen gerade mal für 30 Prozent des Welthandels verantwortlich. Wenn die Digitalisierung Dienstleistungen, die bisher nicht gehandelt werden konnten, grenzüberschreitend handelbar macht, kommt es unweigerlich zu einer neuen großen Welle der Globalisierung. Hunderte Millionen gut ausgebildeter Menschen in ärmeren Ländern würden ihre Dienstleistungen weltweit anbieten können - mit positiven Effekten auf ihre eigenen Einkommen und mit negativen Effekten auf das wirtschaftliche Fortkommen des Mittelstands in den reichen Ländern.

Die wirtschaftlichen Anreize, Dienstleistungen handelbar zu machen, sind gigantisch. Und sie werden noch größer, denn die Automatisierung und Robotisierung der industriellen Produktion raubt den ärmeren Ländern ihren klassischen komparativen Vorteil durch niedrige Löhne. Schon längst ist die Verlagerung von Jobs in Niedriglohnländer - das sogenannte Offshoring - ins Stocken geraten; in vielen Bereichen beobachtet man ein Reshoring. Niedrige Löhne im globalen Süden machen aber die Globalisierung der Dienstleistungsbranche umso profitabler. Daher wird es sehr bald leistungsfähige, breit ausgerollte digitale Lösungen geben.

Beiden Beispielen gemeinsam ist die Erkenntnis, dass digitale Plattformen zum Einsatz kommen und grenzüberschreitender Datenverkehr notwendig ist. Für beide Phänomene existiert erheblicher Regulierungsbedarf. Die Plattformökonomie neigt zu Monopolisierung - hier muss die Bestreitbarkeit der Märkte sichergestellt werden, und dazu braucht es eine effektive globale Wettbewerbsaufsicht. Bisher arbeiten die nationalen Kartellbehörden zwar überraschend gut zusammen; wenn es aber um die riesigen Gewinne der Techkonzerne geht, kann man sich aber auch in diesem Bereich sehr gut die Versuchung von My country first-Politiken vorstellen. Und für den anschwellenden grenzüberschreitenden Datenverkehr braucht es ebenso dringend internationale Regularien. Hier geht es um den Schutz persönlicher Daten, des geistigen Eigentums, um die Verhinderung des Einsatzes protektionistischer Politiken wie etwa lokaler Verarbeitungsvorschriften oder um eine gerechte Besteuerung der entstehenden Mehrwerte.

Damit der nächste Globalisierungsschub den globalen Wohlstand erhöhen kann, braucht es auch einen Schub bei der Modernisierung der globalen Governance. Echte Fortschritte in diesem Bereich auf multilateraler Ebene sind bisher nicht abzusehen. Vielmehr bedarf es auch hier, wie bei so vielen anderen Themen, ein ambitioniertes Vorangehen Europas, das die Verbraucher, die Arbeitnehmer und die Umwelt ebenso im Blick hat wie die Ermöglichung neuer Handelsgewinne.

Gabriel Felbermayr, 42, geboren im österreichischen Steyr, arbeitet derzeit noch beim Ifo-Institut in München und wird 2019 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

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