Es braucht immer jemanden, der vorangeht, einen, der den ersten Schritt macht. Und erst recht bei einer Jahrhundertaufgabe wie dem Ausstieg aus der fossilen Energie. Als erste kommunale Energieversorgerin Deutschlands hat die MVV Energie angekündigt, ihr Erdgasnetz für die Wärmeversorgung in Mannheim stillzulegen. Haushalte, die noch mit Gas heizen, sollen sich bis 2035 eine klimafreundliche Alternative suchen: zur Wahl stehen Fernwärme oder etwa Wärmepumpe.
Wie Deutschland in Zukunft heizen will, darum gibt es seit Jahren erbitterte Diskussionen. An dem monatelangen Gezerre um die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, besser bekannt als Heizungsgesetz, wäre die kürzlich zerbröselte Ampelregierung schon im Sommer 2023 fast zerbrochen. Die Herausforderung ist groß: 45 Prozent aller Wohnhäuser werden hierzulande noch mit Erdgas beheizt. Entsprechend hoch sind die CO₂-Emissionen, das Heizen und Kühlen von Gebäuden macht in Deutschland etwa 30 Prozent der klimaschädlichen Ausstöße aus.
Um das zu ändern, hatte die Bundesregierung 2024 im Gesetz eine Förderung für klimafreundliche Heizsysteme wie Wärmepumpen eingeführt. Haushalte dürfen zwar weiterhin Gasheizungen einbauen, wenn diese absehbar auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Dass es grünen Wasserstoff aber bis auf regionale Ausnahmen wirklich in der Menge und zu einem günstigen Preis zum Heizen geben wird, daran zweifeln viele Experten.
Viele Mannheimer sind erbost
Auch die Stadt Mannheim. Dort hat die Ankündigung der MVV Energie, in elf Jahren das Gas abzudrehen, für viel Ärger gesorgt. Kein Wunder, in der Stadt heizen heute noch rund 25 000 Haushalte mit Erdgas. Auf Infoveranstaltungen des Energieversorgers und in den lokalen Medien meldeten sich erboste Bürger zu Wort. Da ist der Mann, der sich erst vor Kurzem eine neue Gasheizung angeschafft hat, weil Fernwärme bei ihm nicht ankommt und eine Wärmepumpe nicht in seinen winzigen Kellerraum gepasst hätte. Da ist der Leser, der in seiner Zuschrift an den Mannheimer Morgen klagt, es könne nicht sein, dass die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ohne dass ihnen realistische Alternativen geboten würden. Ein anderer Leserbriefschreiber findet den Beschluss der MVV gar „an Dreistigkeit nicht zu überbieten“.
Georg Müller, Vorstandschef der MVV Energie, versuchte im Rhein-Neckar Fernsehen zu beruhigen: „Es ist heute niemand gezwungen, kurzfristig seine Gasheizung abzustellen.“ Die Ankündigung richte sich vor allem diejenigen, die sich jetzt entscheiden müssen. Also an Mannheimer, die ein Haus bauen oder deren Heizung defekt ist. Kommunale Energieunternehmen, die wie die MVV Energie zur Mehrheit der Stadt Mannheim gehören, haben den staatlichen Auftrag, alle Bürger zu versorgen, zu fairen und transparenten Preisen. Wenn Netzanschlüsse wirtschaftlich unzumutbar sind, dürfen sie sie aber ablehnen oder kündigen.
Die MVV steigt nicht ganz freiwillig aus dem Gasnetz aus. Sie verweist auf die Gasbinnenmarktrichtlinie der EU, die bis zum Sommer 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Diese schreibt Gasnetzbetreibern vor, Stilllegungspläne zu erarbeiten. Alle Städte und Gemeinden in Deutschland erstellen derzeit eine kommunale Wärmeplanung. Sie soll in groben Zügen festlegen, wie und ob Fernwärme ausgebaut werden soll und eben auch, ob es das Gasnetz noch braucht.
Gas wird teurer werden
Für Haushalte mit Gasheizung könnte es – selbst wenn die Versorgung weiter steht – künftig ziemlich teuer werden. Erstens wird es immer weniger Kunden geben, auf die sich die Kosten für Instandhaltung und Betrieb des Gasnetzes verteilen. Zweitens werden wohl die CO₂-Preise steigen und fossile Energien verteuern. Verbraucherschützer rechnen deswegen damit, dass die Gasheizung auf lange Sicht teurer ist als eine Wärmepumpe, auch wenn die in der Anschaffung mehr kostet. Der Staat bezuschusst sie mit bis zu 70 Prozent.
Die größte Rolle in der klimaneutralen Wärmeversorgung soll in Mannheim zukünftig die Fernwärme spielen. 60 Prozent der Mannheimer Haushalte heizen heute damit, bald sollen es drei Viertel sein, sagt MVV-Chef Müller. Dafür muss die MVV Energie ihr Netz noch stark ausbauen, und auch ihre Erzeugung umstellen. Denn noch kommt die Mannheimer Fernwärme zum Großteil aus einem Steinkohlekraftwerk. Bis 2030 will die MVV die Herstellung „komplett vergrünen“, sagt ein Sprecher, etwa mit Fernwärmepumpen, Abfallverbrennung und Geothermie.
Andere Kommunen werden nachziehen
Im Frühjahr hatten übrigens die Pläne der Stadtwerke Augsburg, ihr Gasnetz stillzulegen, schon für große Aufruhr gesorgt, infolgedessen der Versorger zurückruderte. Klar ist aber: Andere Kommunen müssen nachziehen. Davon ist auch Kerstin Andreae, Chefin des Verbands der Energiewirtschaft (BDEW), überzeugt: „Fest steht, dass auch in anderen Städten Gasnetze schrittweise stillgelegt werden“, nämlich überall dort, wo die kommunale Wärmeplanung keine Versorgung mit Gasen wie Wasserstoff vorsieht. „Das Gasnetz sollte nur dort erhalten werden, wo es tatsächlich benötigt wird“, sagt Andreae. Die Verbandschefin verweist auch darauf, dass der Großteil des geplanten Wasserstoffkernnetzes aus Gasleitungen besteht, die längst verlegt sind, also weiter genutzt werden. Ungenutzte Leitungen sollte man aber nicht vorschnell abbauen, heißt es vom BDEW, das sei oft nicht notwendig und koste viel Geld.
Die MVV Energie will ihr Mannheimer Gasnetz trotzdem zurückbauen, sagt ihr Sprecher. Auch, weil die Versorgerin in grünem Wasserstoff oder Biomethan für das Heizen von Wohnungen keine Option sieht, da beides nicht ausreichend vorhanden und zu teuer sein wird. Allein Industriekunden könnten auf Wasserstoff umsteigen – und sollen ohnehin auch nach 2035 noch Erdgas beziehen können. Sie sind ans Hochdrucknetz angeschlossen, stillgelegt wird nur das Niedrigdrucknetz, das die Haushalte versorgt. Auch wenn die Wut in vielen dieser Haushalte groß ist – Mannheim ist nur der Anfang.