Gaslieferungen:Altmaier im Minenfeld

Peter Altmaier reist in die Ukraine

Am Sonntag landete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf dem Flughafen in Kiew.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Die zweite Gasröhre aus Russland sorgt für Ärger. Ein Deal zwischen Moskau und Kiew soll die Wogen glätten.

Von Michael Bauchmüller, Kiew

Über den Türen hängen Uhren, deren Zifferblätter die Ukraine abbilden - natürlich die ganze Ukraine, samt Donbass und Krim. Die Fenster sind von schweren Vorhängen verhangen, klobige Ledersessel stehen um den Tisch. Immer mittwochs tagt in diesem Raum die ukrainische Regierung. Jetzt aber ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hier, zufällig sitzt er auf dem Sessel des Energieministers. Das passt für das Gespräch mit Regierungschef Wolodymyr Hrojsman - es geht schließlich um eines der heikelsten Energie-Themen Europas: Nordstream 2.

Altmaier ist derzeit so eine Art Nebendiplomat in Wirtschaftsdingen. Er antichambriert in Sachen US-Zölle auf Aluminium und Stahl, befasst sich mit amerikanischen Sanktionen und müht sich nebenbei um gemeinsame europäische Positionen zu alldem. Kaum eine Baustelle aber ist so vermint wie diese Pipeline.

Die Gemengelage, ganz grob, ist die: Bislang ist die Ukraine das Transitland für russisches Gas nach Europa. Um die 90 Milliarden Kubikmeter flossen in der vergangenen Heizperiode nach Westen. Zwei Milliarden Euro nimmt die Pipeline-Firma Naftogaz damit im Jahr ein. Eine nicht unwesentliche Einnahme für das krisengeplagte Land. Doch die Leitungen sind marode und sorgen immer wieder für Streit: Weil Gasmengen verschwinden und niemand weiß, ob sie nie geliefert wurden oder auf dem Weg "verloren" gingen. 2019 laufen die bisherigen Verträge aus. Die Uhr tickt.

Just in dem Jahr soll auch die neue Ostsee-Pipeline in Betrieb gehen, vom russischen Wyborg nach Lubmin in Deutschland. Sie könnte 55 Milliarden Kubikmeter transportieren. Die nötigen Genehmigungen in Deutschland sind schon erteilt. Wenn an diesem Dienstag die Laichzeit des Herings endet, könnten die Bauarbeiten beginnen, die Rohre sind längst da und warten auf ihre Verlegung. Ist die Pipeline fertig, bräuchte es die Ukraine kaum noch für den Transit. Viele EU-Partner finden dies sehr misslich, allen voran die Kommission.

Für Altmaier ist der Besuch schon deshalb heikel, weil Kiew eine einfache Vorstellung von vernünftigem Handeln hat: die Pipeline stoppen. Aber Hrojsman geht es zunächst diplomatisch an. Es gebe, sagt er, "eine große Palette, wo wir unsere Beziehungen vertiefen können, insbesondere im Bereich der Energiepolitik". Altmaier wiederum spricht von der "Verantwortung und der Verpflichtung", die Deutschland gegenüber der Ukraine habe. "Wir werden alles tun, dass wir in den Energiefragen, die so wichtig sind, eine Lösung finden, die den Interessen aller beteiligten Rechnung trägt", holt er am Kabinettstisch aus. "Insbesondere auch denen der Ukraine."

Nun soll ein Deal zwischen Moskau und Kiew die Wogen glätten

Wie aber soll das gehen? In die Frage ist Bewegung gekommen, seit die Kanzlerin im April auf weiteren Transit durch die Ukraine gepocht hat. Eine weitere Ostsee-Pipeline, so hatte sie nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gesagt, könne es nicht geben, solange die Rolle der Ukraine als Transitland nicht geklärt ist. Das hatte Merkel zwar vorher auch schon oft angemahnt, aber nie so deutlich. Zu einem Zeitpunkt, zu dem gerade die letzten deutschen Genehmigungen erteilt waren, unterstrich sie die politische Brisanz des Projekts.

Doch die Sache hat gleich mehrere Haken. Damit sich eine Pipeline wirtschaftlich betreiben lässt, braucht es auch bestimmte Gasmengen. Denn der Druck in den Leitungen muss künstlich aufgebaut werden. Dafür aber muss genügend Gas in der Pipeline sein - aus einem Rinnsal lässt sich schließlich auch keine Wasserfontäne machen, jedenfalls nicht mit vertretbarem Aufwand. Es müsste also nach 2019 deutlich mehr Gas durch die Leitungen fließen, als Russlands Gasmonopolist Gazprom zuletzt scheinbar großzügig angeboten hatte. Der wiederum verweist auf den schlechten Zustand des ukrainischen Systems und verlangt eine gründliche Modernisierung.

Genau hier könnte ein Deal ansetzen, jedenfalls aus Sicht der Bundesregierung. Auch für die Zeit nach 2019 könnte ausreichend Gas durch die Ukraine fließen. Die Durchleitung könnte ein Konsortium europäischer Firmen übernehmen, das auch die Instandsetzung der Pipelines übernimmt. Die Einnahmen aus dem Transit blieben in der Ukraine.

Derzeit ist völlig unklar, ob sich beide Seiten darauf einlassen. Für die Ukraine bliebe so zumindest ein Teil der Transiteinnahmen, für Moskau wäre es eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit den Europäern - und ein Stück Normalisierung der Beziehungen. Zumal es im Ringen um die Ostsee-Pipeline noch einen weiteren Player gibt: die USA.

Washington sieht in der Röhre nicht nur eine wachsende Abhängigkeit der EU von Russland, sondern auch ein Hindernis für das eigene Geschäft. Die USA würden gerne im großen Stil verflüssigtes Erdgas nach Europa verschiffen. Das allerdings ist rund ein Drittel teurer als die russische Pipeline-Alternative. Mit einer zusätzlichen Leitung durch die Ostsee würde es für die transatlantische Konkurrenz noch schwieriger, in Europa Fuß zu fassen. Washington gilt auch als Drahtzieher hinter den Vorbehalten Dänemarks: Dort wollen die Behörden partout nicht den dänischen Teil von Nordstream 2 genehmigen. Womöglich erzwingen sie so eine teure und zeitraubende Umleitung. Die Laichzeit der Heringe ist für die gut acht Milliarden Euro teure Leitung, die unter anderem von den deutschen Konzernen Uniper und Wintershall finanziert wird, das kleinste Problem. Altmaier versucht es nun mit Pendeldiplomatie - auch in Vorbereitung des Merkel-Besuchs bei Putin am Freitag. Diesen Dienstag trifft er in Moskau unter anderem Regierungschef Dmitrij Medwedjew, auch hier soll es um die Pipeline gehen. Selbst ein zweiter Stopp in Kiew ist nicht ausgeschlossen, auf der Heimreise. Für den Fall, dass sich ein Deal anbahnt.

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