Süddeutsche Zeitung

Gashandel mit Russland:Es geht um mehr als eine Pipeline

  • Die Gasgeschäfte zwischen Russland und Europa leiden unter den politischen Spannungen. Die russische Regierung ließ vergangene Woche die Pläne für die gemeinsame Pipeline South Stream platzen.
  • In Sibirien wird das Gas unter schwierigsten Bedingungen gefördert. Die Menschen dort sind besorgt wegen des aktuellen Streits.

Von Markus Balser, Moskau/Nowy Urengoi

Für Roman Lukovkin, 42, ist es ein guter Tag: Sonne und Minus 40 Grad - nur. Es gibt noch ungemütlichere Tage in der sibirischen Taiga bei Nowy Urengoi. Lukovkin ist das gewöhnt. Er ist Chefingenieur eines Gemeinschaftsunternehmens von Gazprom und der BASF-Tochter Wintershall, der Mann, der Gas aus dem größten Vorkommen der Welt in die Pipelines Richtung Westen bringt. Seit 28 Jahren ist Lukovkin in diesem Niemandsland zu Hause, zweimal pro Woche fährt er hinaus ins Feld. Es ist ein Leben für das Gas, "unseren größten Schatz", sagt er.

Nowy Urengoi ist Russlands Gashauptstadt. 1966 entdeckten Pioniere hier tief unter der Erde riesige Vorkommen. Ein paar Jahre später ließ Moskau hier, in diesem lebensfeindlichen Terrain, eine Stadt aus dem Boden stampfen: 250 Tage Winter, Temperaturen von bis zu minus 60 Grad, und das 72 Zugstunden von Moskau entfernt. Die erste Straße nannten sie die der Optimisten. Heute leben hier am Polarkreis 120 000 Menschen in Plattenbauten. Nur - Optimisten gibt es derzeit nicht viele. "Wir hoffen, dass die friedlichen Zeiten zurückkommen", sagt Lukovkin. Sicher ist er sich da nicht.

Lange standen Gas und Pipelines für eine unverrückbare Verbindung in Europa. Doch die Gasdiplomatie wird rauer. Pipeline-Pläne platzen über Nacht, Milliardengeschäfte stehen auf der Kippe. Und glaubt man Insidern, könnte auch der Gaskonflikt in der Ukraine in den nächsten Monaten wieder aufflammen.

Als gäbe es die Krise gar nicht, schießt bei Nowy Urengoi unablässig Gas aus bis zu 4000 Meter Tiefe. Durch Tausende Kilometer Pipeline fließt es an St. Petersburg vorbei. Es lässt Finnland rechts und Polen links liegen und taucht an der deutschen Ostseeküste wieder auf. Sechs Tage braucht es nach Berlin und Hamburg und in Millionen deutsche Häuser. Ein Drittel seines Gases bekommt die EU über Pipelines aus Russland, einen Großteil davon aus Nowy Urengoi.

"Das macht mir Angst"

Ein Restaurant in Moskau am Montagabend. Wintershall-Vorstand Mario Mehren, einer der wichtigsten deutschen Gasmanager, spricht über die milliardenschweren Russland-Pläne der BASF-Tochter. Seine Firma fördert mit russischen Partnern 28 Milliarden Kubikmeter Gas, ein Drittel des deutschen Bedarfs. Milliarden will der Konzern investieren. Und trotzdem sagt Mehren offen: "Viele Entscheidungen Russlands sind nur schwer nachvollziehbar."

Er ist gekommen, um mit Gazprom zu reden. "Bei allem, was uns trennt: Wir dürfen nicht das Verbindende aus den Augen verlieren", beschwört Mehren. Gemeinsame Pipelines wie South Stream seien eine große Chance. Minuten später ein Anruf aus Deutschland: Russland stoppt das gemeinsame Milliardenprojekt mit Wintershall. Der Partner ist so brüskiert wie hilflos. Europa müsse künftig wohl mit weniger Gas rechnen, sagt Präsident Wladimir Putin bei einem Staatsbesuch in der Türkei noch. Schuld sei die EU.

Was die neue Eskalation für Europas Versorgungssicherheit bedeutet, fragen sich Politiker und Unternehmer nun schon seit Tagen. Klar ist: Es geht in den deutsch-russischen Beziehungen gerade viel mehr zu Bruch als nur eine Pipeline. "Wir erleben einen vollkommen unberechenbaren Partner", sagt die Führungskraft eines deutschen Energiekonzerns über Russland. "Das macht mir Angst."

"Freundschaft der Völker" heißt eine zentrale Straße der Reißbrettsiedlung Nowy Urengoi. Ein- bis Zweizimmerwohnungen werden hier für 1000 bis 1500 Euro im Monat vermietet. Viele Arbeiter leben deshalb draußen an den Bohrlöchern in Containern, gehen ins Einkaufszentrum mit dem Namen Hubschrauber. Die Kinder gehen wie überall zur Schule; sie sind eisige Temperaturen gewohnt. Kältefrei bekommen sie erst ab minus 40 Grad.

Ingo Neubert ist der Deutsche in der Kälte. Er leitet als stellvertretender Generaldirektor ein Joint-Venture von Gazprom und Wintershall. Die Kooperation läuft trotz aller Turbulenzen geräuschlos weiter. "Russen und Europäer arbeiten hier gut zusammen", sagt Neubert. In den nächsten Jahren soll sich die geförderte Gasmenge sogar auf acht Milliarden Kubikmeter verdoppeln. Weitere 1,5 Milliarden Euro will Neuberts Firma in Sibirien investieren. Das ist der Plan.

Doch Neubert spürt, wie vergänglich Pläne in diesen Tagen sein können. Denn die Krise kommt auch am Polarkreis an. Viele ukrainische Bauarbeiter haben hier gearbeitet. Vorbei. Zulieferer bekommen kaum noch Kredite. Im Supermarkt bleiben wegen der Sanktionen Regale leer. "Die Menschen fragen mich: Warum macht der Westen das?", sagt Neubert. Die Beziehungen leiden. Dabei stehen die Unternehmen gerade vor der Umsetzung eines 2012 vereinbarten Milliardengeschäfts. Gazprom soll die Kontrolle über das deutsche Gashandelsgeschäft von Wintershall bekommen und künftig jeden fünften Kunden in Deutschland direkt beliefern. Wintershall darf im Gegenzug mehr Gas in Sibirien fördern. Der Deal: Gazprom will in Deutschland hoffähig werden, Deutschland teilhaben an den Erdgasreserven Russlands.

Doch der Pakt hat die Politik hellhörig gemacht. Polen warnt davor, dass Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas "Europas Souveränität verringern" könnte. Vor Monaten sollte das Geschäft schon abgeschlossen werden. Doch es stockt. In den nächsten Tagen sollen neue Gespräche folgen, Ende des Monats der Vertragsabschluss. Unter Beobachtern wachsen aber die Zweifel, ob das Geschäft die Krise überstehen wird.

Pipelines als Symbole der Entspannung

Dabei hatte alles mit so großen Hoffnungen begonnen. Die Ost-West-Geschäfte mit Gas waren einst ein Signal der Annäherung. Der sowjetische KPdSU-Chef Leonid Breschnew und Bundeskanzler Willy Brandt beschlossen 1970 den Tausch: deutsche Rohre gegen sibirisches Erdgas. Der Deal im Kalten Krieg war mehr als ein Geschäft. Die Pipelines wurden zu Symbolen der Entspannung, die verfeindete Blöcke verbinden sollten. Breschnew bejubelte den Beginn einer "langen, langen Zusammenarbeit".

Eine, um die auch in Russland nun viele fürchten. 70 Prozent der russischen Exporte entfallen auf Öl und Gas. Die Rohstoffe stehen für mehr als die Hälfte des russischen Staatshaushalts. Dass sich Europa zusehends vom östlichen Lieferanten abwendet, macht Russlands Gasindustrie Angst. So wie die Flucht der Investoren. Seit dem Streit um die ukrainische Halbinsel Krim im März zogen sie 128 Milliarden Dollar aus Russland ab. Dabei braucht man das Geld in Nowy Urengoi und anderswo. Denn auch in Sibirien geht das Gas zur Neige. In weiter nördlichen, noch schwerer zugänglichen Feldern versuchen Forscher fündig zu werden. Westliche Konzerne sollen dabei helfen. Sie wissen, wie sich die Natur überlisten lässt. Und sie können das Schmiermittel der Geschäfte liefern, das Russland gerade ausgeht: Kapital.

In Nowy Urengoi beginnt es zu dämmern, es ist halb zwei. Der Tag hat hier vier Stunden. "Der Norden ist hart", sagt Lukovkin, "aber er lässt einen nicht mehr los." Ob die Krise bald zu Ende geht? "Keine Ahnung", sagt er.

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SZ vom 05.12.2014/bero
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