Gas-Streit erreicht Europa:Machtspielchen an der Pipeline

Russland als Täter, die Ukraine als Opfer - die Rollen im Gasstreit sind vergeben, aber falsch besetzt.

Martin Winter

Es ist kalt in Europa und da macht es die Menschen nervös, wenn der Nachschub an Gas ins Stocken gerät. Schnell zeigen dann die Finger auf Russland, das wieder einmal am Gashahn spielt, um ... . ja, um was eigentlich? Wirtschaftlich und politisch kann Moskau damit nur verlieren. Zum einen an Glaubwürdigkeit als zuverlässiger Lieferant. In der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Lage und angesichts der Abhängigkeit Russlands von den Gas- und Öleinnahmen grenzte das an schwerste wirtschaftliche Selbstverstümmelung. Und politisch würde niemand mehr Moskau glauben, dass es ernsthaft eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur verfolgt.

Gas-Streit erreicht Europa: Gas-Streit erreicht Europa: Machtspielchen an der Pipeline

Gas-Streit erreicht Europa: Machtspielchen an der Pipeline

(Foto: Foto: AFP)

Die Europäische Union hat also durchaus gute Gründe, den Streit zwischen der Ukraine und Russland über die Weiterleitung von Gas nach Mittel- und Westeuropa politisch nicht hochzuspielen. Denn weder in den europäischen Hauptstädten noch in Brüssel vermag irgendjemand mit Sicherheit zu sagen, dass die Ukraine nicht auch selber mit dem Gashahn spielt. Im Gegenteil. Wenn die europäische Kommission Moskau und Kiew gleichermaßen vor einem Verlust an Reputation warnt, dann gibt es offensichtlich große Zweifel an der von der Ukraine reklamierten Opferrolle.

Einige Rechnungen offen

Sicher, als staatseigene Firma wird Gazprom seine harte Geschäftslinie gegen den ukrainischen Gasversorger Naftgaz nicht ohne Segen Wladimir Putins betreiben. Und der hat mit seinem ukrainischen Kollegen Viktor Juschtschenko einige Rechnungen offen. Aber auch Naftgaz steht als Staatsunternehmen unter politischem Einfluss und kann leicht dazu missbraucht werden, die westliche Solidarität für ein vermeintliches Opfer russischer Aggression zu mobilisieren. Juschtschenkos Ziel ist schließlich unverändert die Aufnahme in die Nato und in die EU.

Es ist deshalb vernünftig, sich weder von der einen noch von der anderen Seite für deren jeweilige politischen Zwecke einspannen zu lassen. Diese Versorgungskrise wird nur dann schnell vorbeigehen, wenn sie nicht überhöht, sondern da behandelt wird, wo sie hin gehört: in die Obhut der Wirtschaftsdelegationen, die verlässliche Handelsverträge und Lieferabkommen aushandeln. Dort kann die EU vermitteln. Und darin liegt etwas eminent Politisches. Moskau und Kiew müssen begreifen, dass sie für die EU als Partner - in welcher Form auch immer - nur dann in Frage kommen, wenn sie Verträge und Abkommen dem Buchstaben und dem Geiste nach erfüllen.

Sollte es weiter kalt bleiben und eine schnelle Lösung nicht möglich sein, dann werden die Europäer ihre Reserven solidarisch untereinander aufteilen müssen. Es gibt guten Grund zu glauben, dass die länger halten, als die russische oder ukrainische Kraft, sich gegenseitig zu blockieren. Dabei könnten Putin und Juschtschenko so nebenbei lernen, dass das Erpressungspotential, das im Gas, im Öl und in den Pipelines steckt, geringer ist, als sie immer gedacht hatten.

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