Gas:Abgedreht

Gas: Ein ukrainischer Arbeiter an einem Gashahn. Das Land bezieht nun mehr Gas aus anderen Ländern.

Ein ukrainischer Arbeiter an einem Gashahn. Das Land bezieht nun mehr Gas aus anderen Ländern.

(Foto: Pavlo Palamarchuk/AP)

Seit Jahren streiten Kiew und Moskau um Erdgas. Eigentlich hätte Russland der Ukraine nun wieder Gas liefern sollen. Stattdessen dreht Gazprom den Hahn zu.

Von Florian Hassel, Warschau

Eigentlich sollte der 1. März den Beginn der Rückkehr zur Normalität zwischen Russland und der Ukraine bedeuten - jedenfalls, wenn es um den Kauf und Transport russischen Erdgases durch die Ukraine geht. Vier Jahre lang hatten sich die staatliche ukrainische Erdgasgesellschaft Naftogaz und die ebenfalls staatskontrollierte russische Gazprom um Milliarden gestritten - jetzt sollte alles wieder normal werden. Stattdessen tobt seit dem 1. März ein neuer Gaskrieg zwischen Kiew und Moskau - dass er Folgen für die europäische Gasversorgung hat, ist möglich, aber unwahrscheinlich.

Die Ukraine kauft Russland Gas für den eigenen Energiebedarf ab und transportiert es seit sowjetischer Zeit durch Pipelines, die durch das Land führen, nach Europa. Gazprom liefert fast die Hälfte des deutschen und rund ein Drittel des europäischen Gases. Davon strömte bislang die Hälfte durch die Ukraine. Dieses russisch-ukrainische Gasgeschäft ist in einem Vertrag geregelt, der am 31. Dezember 2019 ausläuft. Wegen des Krieges in der Ostukraine beendete Kiew Ende 2015 aber den Kauf russischen Erdgases und ersetzte es durch Reimporte aus EU-Ländern. Den Transport für Gazprom durch die Ukraine führte Kiew aber weiter - schließlich bringt er der Ukraine im Jahr etwa zwei Milliarden Dollar Transportgebühren, keine Kleinigkeit bei einer Wirtschaftsleistung von nur gut 104 Milliarden Dollar jährlich.

Im Konflikt zwischen den beiden Ländern entscheidet ein Schiedsgericht in Stockholm

Generell entscheidet bei allen Streitfragen über die Auslegung der Gasverträge zwischen Kiew und Moskau das Schiedsgericht der Stockholmer Handelskammer. Die Verträge wurden nach schwedischen Recht geschlossen. In Stockholm klagte Gazprom, dass Naftogaz vertraglich festgelegte Gasmengen künftig abnehme und nicht abgenommenes Gas trotzdem bezahle. Naftogaz klagte auf Entschädigung, weil Gazprom weniger Gas als vereinbart durch die ukrainischen Pipelines nach Europa gepumpt habe und Kiew so Milliarden an Transitgebühren entgangen seien.

In drei Entscheidungen - im Mai und Dezember 2017 und am 28. Februar 2018 - urteilten die Stockholmer Schlichter weitgehend zu Gunsten der Ukrainer: Die Schlichter lehnten Forderungen von Gazprom auf gut 56 Milliarden Dollar für nicht abgenommenes Gas ab, verringerten Kiews jährliche Abnahmeverpflichtung und verpflichteten Gazprom, Transitgebühren nachzuzahlen.

Das Netto-Ergebnis: Gazprom muss Naftogaz 2,56 Milliarden Dollar überweisen und Naftogaz muss Gazprom bis zum Vertragsende 2019 Erdgas abkaufen. Diese Lieferungen sollten am 1. März wieder beginnen. Doch Gazprom, dessen Chefs regelmäßig zum Rapport bei Präsident Wladimir Putin antreten, wollte die Entscheidung der Stockholmer Handelskammer nicht akzeptieren. Gazprom kündigte an, in Schweden gegen den Schlichterspruch zu klagen und der Ukraine ab dem 1. März kein Gas mehr zu liefern. Außerdem werde Kiew bereits überwiesenes Geld zurücküberwiesen, sagte Gazprom-Vize Alexander Medwedew.

In Kiew forderten Energieminister und Gasgesellschaft daraufhin die Ukrainer auf, die Heizung runterzudrehen, in Fabriken den Energieverbrauch zu drosseln und Schulen und Universitäten für ein paar Tage zu schließen.

Gazprom rechtfertigt die verweigerte Gaslieferung an die Ukraine folgendermaßen: Es gehe nicht, dass die Stockholmer Schiedsrichter einerseits die ukrainische Abnahmeverpflichtung für russisches Gas kürzten und dabei Rücksicht auf die eingebrochene ukrainische Wirtschaft nähmen, Gazprom aber andererseits zum Gastransit und Entschädigungszahlungen an Kiew verpflichteten. Das Schiedsgericht in Stockholm hatte keine Begründung für sein Urteil veröffentlicht. Die Moskauer Wirtschaftszeitung Kommersant berichtete, Gazprom habe den Streit verloren, weil es behauptet habe, der Rückgang am Gastransport durch die Ukraine liege an der gesunkenen Nachfrage aus Europa. Tatsächlich aber, das belegen Zahlen der OECD und der Internationalen Energie-Agentur, ist die Nachfrage gestiegen. Russlands Gasexporte nach Europa haben ein Rekordniveau erreicht.

Gazprom habe schlicht deswegen weniger Gas durch die Ukraine geschickt als vertraglich vereinbart, weil es mehr Gas durch die Ostseepipeline nach Deutschland und durch andere Röhren gepumpt habe, zitierte die Zeitung eine Moskauer Quelle. Theoretisch kann Gazprom gegen den Schiedsspruch vor einem ordentlichen schwedischen Gericht klagen - doch dort heben Richter Entscheidungen der Schlichter nur bei groben Formfehlern oder Überschreitung von Vollmachten auf.

Die entscheidende Frage ist: Was passiert, wenn die Verträge Ende nächsten Jahres auslaufen?

Welche Folgen hat das Urteil und die Moskauer Lieferweigerung für die Ukraine und für die europäische Gasversorgung? Zunächst einmal: keine. Die Ukraine habe seine Gasversorgung durch höhere Lieferungen "aus Polen, der Slowakei und Ungarn... vollständig gesichert", sagte Präsident Petro Poroschenko am 3. März bei einem Treffen mit Gasmanagern. Auch der Transit russischen Gases nach Europa durch die Pipelines der Ukraine gehe unvermindert weiter, bestätigte die EU-Kommission. Gut möglich, dass Gazprom auch seine Lieferungen an die Ukraine bald wieder aufnimmt, um eine neue Kiewer Klage in Stockholm zu vermeiden.

Die entscheidende Frage ist: Was passiert nach dem 1. Januar 2020, wenn der Liefer- und Transitvertrag zwischen Gazprom und Naftogaz ausläuft? Gazprom kann auf die Ukraine und deren Pipelines auch dann nicht verzichten: Zwar baut Gazprom neben der 2011 in Betrieb benommenen Ostseepipeline noch eine zweite Pipeline nach Deutschland ("North Stream 2"), der Verlauf ist aber noch nicht von allen Ostseeanrainer-Staaten genehmigt. North Stream 2 wird kaum bis Ende 2019 fertig sein. Ähnliches gilt für eine geplante Pipeline durchs Schwarze Meer in die Türkei.

"Und selbst wenn diese Pipelines fertig sind, dauert es in der Regel einige Jahre, bis sie mit voller Kapazität arbeiten - und selbst dann fehlen noch Lieferkapazitäten für mehrere Dutzend Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich", sagt Hans-Joachim Luhmann vom Wuppertaler Institut für Klima und Energie. Zwar klagt Gazprom, der Preis für den Gastransport durch die Ukraine sei zu hoch. Doch Kiew dürfte seinen Preis ab 2020 deutlich senken, um Gazprom den weiteren Transport durch seine Pipelines auch ab 2020 schmackhaft zu machen, sagte der Energieanalyst Roman Nitsovych der Kyiv Post.

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