Wenn Martin Resch von der Bergwanderung mit ein paar Arbeitskollegen auf die Benediktenwand im Jahr 2012 erzählt, ist ihm die Begeisterung noch heute, fast acht Jahre danach, anzumerken. Den Bayern Resch haben damals aber weniger die Schönheiten der alpinen Landschaft begeistert. Denn er hat vermutlich oft auf seine Uhr geschaut. Eine besondere Uhr. Voluminös, mit großen Knöpfen an den Seiten. Seinem Arbeitgeber, dem US-amerikanischen Outdoorgeräte-Hersteller Garmin, war es erstmals gelungen, einen GPS-Sensor in eine Armbanduhr zu packen und dazu auch noch die Route auf dem Bildschirm anzuzeigen. "Das war faszinierend", erinnert sich Resch, heute Garmin-Produktmanager für alle Outdoor-Geräte, "ein Navi am Arm, das war schon ein Quantensprung". Nur leider war die Truppe damals zu spät losgegangen: "Auf dem Weg nach unten hatten wir nur die Hintergrundbeleuchtung der Uhr als Licht", erzählt er schmunzelnd.
Langweilig wird Resch auch heute in seinem Job so schnell nicht. Der Outdoor-Bereich sei der agilste, hier gebe es die meiste Bewegung. Und Garmin gehört zu den führenden Herstellern auf dem Markt. Viele der Teilnehmer am legendären Ironman-Triathlon in Hawaii etwa checken mit einer Uhr von Garmin, ob die Pace stimmt und wie hoch der Puls ist. Aber wie entwickelt man solche Uhren?
Die Fenix-Uhren werden per Knopf bedient, das ist für Sportler praktischer
Resch sagt, das Unternehmen wolle die Zielgruppe der Sportler nie aus den Augen verlieren. Auch wenn man mit manchen Modellen der Sportuhren inzwischen auch an der Supermarktkasse bezahlen oder damit ohne Handy Musik hören und sich Benachrichtigungen vom Smartphone anzeigen lassen kann - das Hauptaugenmerk liege immer auf der Kernzielgruppe.
Und die will Uhren, die möglichst alle Daten erfassen, die einem helfen können, in seinem Sport besser zu werden. Robuste Uhren, deren Akkus lange durchhalten und die nicht den Geist aufgeben, wenn man mit ihnen ins Wasser springt. "Die Credibility bei echten Sportlern wollten wir nie verlieren", sagt Resch, "es geht halt nicht, dass die Uhr ausgeht bei einem Triathlon". Man bediene primär das Segment Outdoor und Sport, "das opfern wir nicht, um mehr smarte Funktionen zu bieten oder die Uhren noch kleiner zu machen."
Das erklärt, warum Garmin etwa bei seiner Uhrenserie Fenix noch immer für die Bedienung große Knöpfe an den Seiten nutzt und nicht mit Touchscreens arbeitet wie etwa Apple. Knöpfe lassen sich eben auch mit einem Skihandschuh betätigen oder mit nassen Fingern.
Die erste Fenix - die damals an der Benediktenwand getestete Uhr für Bergsteiger - erwies sich allerdings nicht als Verkaufsschlager. Die Zielgruppe war zu klein: "Nicht einmal Bergsteiger gehen fünfmal die Woche auf den Berg", sagt Peter Weirether, Produktmanager für Uhren bei Garmin. Den Rest der Woche seien sie normale Sportler. Also packte Garmin für die nächste Version, die Fenix 2, eine Reihe von Sportfunktionen in die Uhr. Mit jeder weiteren Generation kamen mehr Funktionen und mehr Sensoren hinzu. Dennoch wurden die Uhren stetig kleiner. Die aktuelle Version sechs misst unter anderem den Sauerstoffgehalt im Blut und informiert darüber, wie stark die Batterie aufgeladen ist - nicht die der Uhr wohlgemerkt, sondern die des Trägers.
Steckte die erste Fenix noch in einem Vollkunststoff-Gehäuse, gelang es den Ingenieuren immer besser, auch Metall zu integrieren, mittlerweile gibt es auch Ganzmetall-Uhren, bei denen der GPS-Empfänger dennoch funktioniert. Das und die Tatsache, dass ein sportliches Erscheinungsbild in Mode ist, hat dazu geführt, dass mehr und mehr Menschen ihre Sportuhr ständig tragen, nicht nur beim Sport. Wegen der sehr sparsamen Bildschirmtechnik und einem auf Energiesparen getrimmten eigenen Betriebssystem muss die auch viel seltener aufgeladen werden als eine Smartwatch mit Oled- oder LCD-Bildschirm.
Am meisten Strom frisst der GPS-Chip. Ist die Ortungsfunktion nicht eingeschaltet, kann eine solche Uhr schon ein paar Wochen durchhalten - je nachdem, wie stark sie genutzt wird. Dass das funktioniert, liegt Resch zufolge auch daran, dass Garmin die meisten Bestandteile selbst fertigt, Soft-und Hardware. Wenn das Unternehmen eine Partnerschaft eingeht, dann meist so, dass das betreffende Unternehmen übernommen wird. Tue man das nicht, so Resch, komme es unweigerlich zu Reibungsverlusten. "Wir haben eine andere Schlagzahl, wenn wir etwas selber machen."
Das zeigte sich zum Beispiel, als es darum ging, eine Verbindung zum Musikstreaming-Anbieter Spotify auf die Uhr zu bringen. Das schwedische Unternehmen hielt das Vorhaben wegen des Garmin-eignen, aufs Stromsparen ausgerichteten Betriebssystems für nicht machbar. Doch einige Garmin-Ingenieure programmierten ein Wochenende lang durch - und fanden eine Lösung, auch für den Kopierschutz. Als einziger Anbieter durfte Garmin fortan ermöglichen, Songs auf seine Uhren herunterzuladen. "Inzwischen frage ich nicht mehr, ob ein neues Feature möglich ist, ich frage, wann", sagt Resch.
Er legt aber auch Wert darauf, dass neue Funktionen nur dann übernommen würden, wenn sie einen wirklichen Mehrwert brächten. Den Trend zu EKGs, wie ihn zum Beispiel die jüngsten Modelle der Apple Watch bieten, will Garmin noch nicht mitgehen. Für den Sport bringe das nichts. Irgendwann werde auch diese Funktion kommen, aber derzeit sei die Technik noch nicht leistungsfähig genug. Funktionen, mit denen der Gesundheitszustand der Nutzer überwacht werden kann, werden nach Meinung von Martin Resch aber eine immer wichtigere Rolle spielen: "Die Generation X hat die Quantifizierung des Sports miterlebt und kommt jetzt allmählich in das Alter, in dem Gesundheitsaspekte eine Rolle spielen."
"Marktanalysen bringen oft nichts", sagt der Produktmanager
Dabei entstehen natürlich jede Menge Daten, aber Garmin habe gar kein Interesse daran, sie etwa zu verkaufen. "Die Auswertung folgt allen Regulierungen", sagt Weirether, sie finde in nicht-personalisierter Form statt. So würden beispielsweise keine geschlechtsspezifischen Profile angelegt. Wie viele Daten über die Garmin-App öffentlich verfügbar seien, könne jeder Nutzer selbst bestimmen. Es würden auch keine Daten an Drittfirmen weitergegeben, "unser Business ist Hardware", sagt Weirether.
Wenn es darum geht, neue Funktionen oder gar Produkte zu entwickeln, hätten die Ingenieure bei Garmin viel Freiheit. So entstand beispielsweise Garmins Golf-Uhr. Ein Ingenieur hatte die Idee dazu, doch die Marktforschung ergab: Kein Interesse. Auch Golfer, die befragt wurden, winkten eher ab. Doch die Chefetage ließ die Uhr trotzdem entwickeln. Und als sich ein Garmin-Vertriebspartner richtig für das Produkt ins Zeug legte, wurde sie nach zögerlichem Beginn schließlich ein Erfolg. Heute beherrscht Garmin zwei Drittel dieses Marktes. "Marktanalysen bringen oft nichts", sagt Martin Resch aus Erfahrung. "Wir fragen daher heute eher, why Garmin?" Warum also Garmin ein bestimmtes Produkt bauen sollte oder nicht.
Flops gab es freilich auch: Das Nüviphone, "eigentlich ein wirklich gutes Smartphone", benannt nach der Serie der Navigationsgeräte, verkaufte sich weit unter den Erwartungen. Auch ein GPS-Tracker, den man beispielsweise an Fahrrädern befestigen konnte, um sie zu orten, fand nicht genügend Käufer und wurde eingestellt. Um solche Reinfälle zu vermeiden, setzt das Unternehmen auf Beta-Tester. "Die muss man gut betreuen", sagt Resch, "sonst verfallen die nach einer gewissen Zeit in Muster." Viele Garmin-Mitarbeiter aber seien auch selbst begeisterte Sportler und würden Prototypen ausprobieren.
Wenn nötig, auch mal bei einer Bergwanderung.