Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen: Gamestop-Leerverkäufe:"Liegt ein Milliardär an der Börse falsch, wird ein anderer Milliardär reicher"

Fahmi Quadir wettete erfolgreich gegen Wirecard. Sie erzählt, warum sie sich bei Gamestop zurückhielt - und dass die Probleme nicht bei Leerverkäufern wie ihr liegen.

Interview von Jannis Brühl

Leerverkäufe sind eigentlich ein Nischenthema für besonders abgebrühte Spekulanten. Aber das hat sich schlagartig geändert, seit ein Schwarm aus Privatanlegern sich online koordiniert hat, um mehreren Hedgefonds Milliardenverluste zuzufügen. Die hatten gegen die Videospiel-Kette Gamestop gewettet, indem sie deren Aktie leerverkauften. Für diese Leerverkäufe (englisch short selling) leihen Fonds Aktien eines Unternehmens von einem großen Investor. Dann verkaufen sie die geliehenen Aktien weiter. Irgendwann müssen sie die Aktien zurückgeben - können sie davor aber, so hoffen sie, zu einem niedrigeren Kurs wieder einkaufen. Der Unterschied zwischen Verkauf- und Kaufkurs ist ihr Gewinn. Im Fall Gamestop haben Privatanleger anscheinend nur durch ihre schiere Masse den Aktienkurs so weit hochgetrieben, dass die Leerverkäufe der Hedgefonds nicht nur ins Leere liefen, sondern sie sogar einen Haufen Geld kosteten.

Fahmi Quadir ist eine dieser abgebrühten Leerverkäuferinnen. Die 30-Jährige mischt die männerdominierte Branche auf, seit sie gegen das Pharmaunternehmen Valeant und den deutschen Zahlungsdienstleister Wirecard wettete - und richtiglag. Das Interview wurde per E-Mail geführt.

SZ: Wie konnte es zu diesem Drama um Gamestop kommen? In Hedgefonds arbeiten Vollprofis, jetzt werden sie von anonymen Amateuren aus einem Online-Forum an die Wand gespielt.

Fahmi Quadir: Auch Hedgefonds machen Fehler. Aber den Großteil des Schadens, den die Fonds erlitten haben, die Gamestop oder einige dieser anderen viralen Aktien geshortet haben, haben andere Hedgefonds verursacht. Die haben die Wucht des Moments ausgenutzt. Das ist die alte Geschichte: Wenn ein Milliardär an der Börse falsch liegt, wird ein anderer Milliardär reicher, der auf der anderen Seite des Deals steht.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Wissen Sie, wer noch wie viele Short-Positionen gegen Gamestop hält? Da hat sich ja binnen weniger Tage viel verschoben, seit der Hedgefonds Melvin Capital viele Aktien zurückkaufen musste, weil das Geld knapp wurde.

Ich kenne Melvins aktuelle Positionen nicht. Aber andere Investoren haben den extremen Preisanstieg vermutlich als Chance gesehen, neue Short-Positionen aufzubauen.

Viele Gamestop-Anleger nutzen Broker-Apps fürs Handy. Einige verdächtigen nun Hedgefonds, Einfluss auf das zuständige Clearinghouse NSCC oder Broker-Apps genommen zu haben, damit die den Handel mit Aktien wie Gamestop einschränken. Denken Sie, dass Hedgefonds wie Citadel ihre Macht genutzt haben, um den short squeeze zu verlangsamen?

Ich werde nicht darüber spekulieren, was hinter den Kulissen passiert sein könnte. Ich hoffe, dass diejenigen, die die Macht über die Finanzmärkte haben, proaktiv prüfen, welche zusätzlichen Regeln es braucht, damit Retail-Brokerage-Firmen wie Robinhood oder Webull Privatanlegern den Zugang zu Aktien offen halten.

Sie haben gegen Unternehmen wie Wirecard gewettet und viel Geld damit verdient. Warum haben Sie Gamestop nicht geshortet?

Gamestop ist nicht unsere Welt. Wir shorten ausschließlich Unternehmen, nachdem wir umfangreich recherchiert und Hinweise auf Betrug oder andere kriminelle Aktivitäten gefunden haben.

Was ist das Unternehmen denn tatsächlich wert?

Ich denke, dass das Management von Gamestop nach diesem Anstieg des Aktienwerts verantwortungsbewusst handeln muss. Das würde bedeuten, eigene Anteile zu Geld zu machen und damit die problematische Unternehmensbilanz in Angriff zu nehmen. Sie müssen sich um ihr Einzelhandelsgeschäft kümmern. Das Management sollte auch darüber nachdenken, seine von der Pandemie gebeutelte Belegschaft stärker zu unterstützen. Es gibt Berichte, dass die Mitarbeiter etwa zehn Dollar pro Stunde verdienen.

Viele Menschen halten Leerverkäufe für eines der unmoralischsten Dinge, die man auf den Finanzmärkten tun kann.

Es gibt viele Missverständnisse darüber, was Leerverkäufer tun und welche Rolle Leerverkäufe auf dem Markt spielen. Wann immer es eine Krise oder sonstigen Frust gibt, werden wir zum Buhmann gemacht. Dabei sind Leerverkäufe notwendig für einen freien, fairen Markt. Sie sorgen für Liquidität, liefern ein wertvolles Informationssignal und stellen sicher, dass es überhaupt jemanden auf der anderen Seite eines Deals gibt. Jegliche Beschränkung von Leerverkäufen hat sich als schlecht erwiesen.

Spielen moralische Fragen bei Ihrer Arbeit also gar keine Rolle?

Moralische Fragen sind Privatsache. Der Finanzmarkt ist dazu da, um Vermögenswerte zu bewerten, nicht um Moral vorzuschreiben. Wenn wir aber über Moral auf den Finanzmärkten sprechen wollen, dann lassen Sie uns mit den milliardenschweren Managern beginnen, die den Aktienmarkt als Sparschwein benutzt haben, während sie gleichzeitig ihre Angestellten schlecht behandelten, in der Pandemie Tausende entließen, den normalen Aktionären ihre Macht nahmen und mit Betrug davonkamen. Das alles hat letztlich negative wirtschaftliche Folgen, aber für mich ist der Finanzmarkt eine Möglichkeit, dieses Verhalten zu korrigieren und sicherzustellen, dass weniger Kapital in den Händen dieser Räuber landet.

Haben die Privat-Trader im Internet also recht, wenn sie sagen: Die Hedgefonds nutzen die ganze Zeit eiskalt ihren Informationsvorsprung aus, warum sollten wir nicht kollektiv auf ein Unternehmen wie Gamestop setzen und so den Hedgefonds schaden?

Die große Leistung der Gamestop-Privatanleger ist, dass sie gezeigt haben, dass der Markt sich zu einem Casino entwickelt hat. Sie haben Funktionsstörungen bei der Preisbildung aufgedeckt: dass kurzfristige Impulse die meisten Preise bestimmen, nicht fundamentale Unternehmensdaten und Werte. Letztlich schadet das uns allen, denn es bedeutet, dass der Preis, der Wertpapieren zugewiesen wird, immer mehr an Aussagekraft verliert.

Ist das alles nicht ein Beweis dafür, dass Leerverkäufe einfach aberwitzig sind?

Ich glaube nicht, dass man nach allem, was in Deutschland beim Thema Wirecard in den vergangenen Jahren passiert ist (als die Skepsis der Leerverkäufer sich als gerechtfertigt herausstellte; Anm. d. Red.), behaupten kann, dass Leerverkäufe aberwitzig sind. Leerverkäufer zu ignorieren, ist aberwitzig! Gamestop ist ein freakiger Einzelfall und es ist unverantwortlich, ihn für Verallgemeinerungen zu benutzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5193015
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/mkoh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.