Navigation:Der Ausfall von Galileo beweist, wie wichtig Galileo ist
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Die EU hat ein immens teures Navigationssystem aufgebaut, das seit Tagen nicht funktioniert. Ist das eine Katastrophe?
Kommentar von Dieter Sürig
Am 28. April 2000 hat der damalige US-Präsident Bill Clinton ein Memorandum an seinen Verteidigungsminister unterzeichnet, wonach die Signale des Navigationssystems GPS für Zivilnutzer nicht mehr verfälscht werden dürfen. Die USA verzichteten somit auf das Privileg einer höheren Präzision für das Militär, um ein von den Europäern angekündigtes Konkurrenzsystem doch noch zu stoppen. "Wir hoffen, den Aufbau von Galileo zu verhindern", hieß es dazu in einem internen Papier des Weißen Hauses.
Der Vorstoß der Amerikaner war vergebens, das europäische Satellitennavigationssystem Galileo ist 19 Jahre später fast komplett. Und Befürworter des Milliardenprojekts werten allein die Tatsache, dass die US-Regierung seinerzeit das genauere GPS-Signal auch für private Nutzer freigegeben hat, als Erfolg von Galileo. GPS hatte fortan eine Genauigkeit von zehn bis 15 Metern, zuvor war der Radius zehn Mal größer.
Hoheit über die Signale
Europa aber wollte nicht mehr auf die USA angewiesen sein. Es wollte ein eigenes ziviles Navigationssystem aufbauen, wollte selbst die Hoheit über die Signale haben, die nicht nur für das Navi im Auto oder die Standortdienste im Smartphone wichtig sind. Große Teile der weltweiten Infrastruktur sind mittlerweile auf Navigationssatelliten angewiesen - ob es nun Energiekonzerne und Banken sind, die das Zeitsignal der Satellitenuhren brauchen, um Stromnetze oder Geldautomaten zu synchronisieren. Oder Bauern, die ihre Felder vollautomatisch per Navigationssignal bewirtschaften, ganz zu schweigen von Luft-, Schiffs- und Bahnverkehr sowie Rettungsdiensten und Militär. Kaum noch vorstellbar, was passieren könnte, wäre Europa bei dieser so zentralen Infrastruktur ausschließlich auf die Amerikaner angewiesen. Die Entscheidung für Galileo hat sich im Nachhinein als richtig erwiesen .
Nur: Das europäische System ist vor einer Woche ausgefallen, kaum einer hat's gemerkt, und - das ist das Erschreckende - die Techniker haben es bisher nicht geschafft, es wieder zum Laufen zu bringen. Trotz der viel beschworenen Mehrfachauslegung des Systems.
Es handelt sich hier immerhin um ein Projekt, das die Steuerzahler bereits 13 Milliarden Euro gekostet hat. Im November will die Politik über weitere zehn Milliarden Euro bis 2027 für Galileo befinden. So ein Totalausfall ist da nicht gerade hilfreich, um die Akzeptanz für Galileo zu erhöhen. Es gibt ja schließlich GPS - das Navi funktioniert, der Geldautomat auch, also, was soll's?
Dass der Galileo-Ausfall fast unbemerkt blieb, liegt auch daran, dass sich das System in der Startphase befindet. Seit vorigem Sommer sind 26 Galileo-Einheiten im All, die alle Kontinente abdecken können. Vier Einheiten sind allerdings wegen falscher Umlaufbahnen und defekter Atomuhren nur eingeschränkt nutzbar, und mindestens 22 Satelliten sind für das System erforderlich.
Sobald 30 Satelliten im Einsatz sind, will die Galileo-Behörde GSA in Prag weitere Dienste anbieten, vor allem sicherere und noch präzisere Signale. Die Rede ist von 20 Zentimetern Auflösung, was für das autonomes Fahren wichtig wäre. Derzeit kann Galileo in Kombination mit GPS bis zu 30 Zentimeter erreichen.
Gestörte Kommunikation - auch auf politischer Ebene
Wer dem Galileo-Ausfall etwas Positives abgewinnen will, kann froh sein, dass der Schaden überschaubar ist, weil sich das System eben noch in der Testphase befindet und die Betreiber daraus lernen können. Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass gerade das Zusammenspiel von Galileo und GPS sowie des russischen Glonass- und des chinesischen Beidou-Systems zumindest in Friedenszeiten ein verlässliches Navigationsnetz schafft, das den Ausfall eines Systems verkraften kann. Theoretisch könnte sogar das GPS-Netz ausfallen, sobald Galileo voll funktionsfähig und weltweit vernetzt ist - auch mit den Endgeräten. So paradox es klingt: Der Ausfall von Galileo beweist, wie wichtig Galileo ist. Gerade in Zeiten massiver Hackerangriffe ein beruhigendes Gefühl.
Dies ändert nichts daran, dass der Ausfall mit den Galileo-Strukturen zusammenhängen könnte. Die Kommunikation zwischen Politikern und Beamten der Europäischen Kommission und den Technikern der Raumfahrtagentur Esa ist nicht reibungslos. Zuständigkeiten sind aus Proporzgründen über ganz Europa verteilt. Die Ausschreibungen für den Bau der Satelliten sind so getaktet, dass die Firmen kaum langfristig planen können. Wenn behauptet wird, dass Europa bei Galileo versagt hat, dann mag dies zumindest bei den Strukturen zutreffen. Die sind auch ein Grund dafür, dass Galileo mehr als zehn Jahre später kommt als geplant.