Süddeutsche Zeitung

Gipfel in Osaka:Die G 20 suchen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner

  • Selten war ein G-20-Gipfel mit so wenig Erwartungen verbunden wie das Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Osaka.
  • Für freien Welthandel will sich kaum ein Land ernsthaft einsetzen - Gastgeber Japan bemüht sich um Schadensbegrenzung.

Von Daniel Brössler, Berlin, und Christoph Neidhart, Tokio

Wenigstens in einer Hinsicht soll es diesmal besser laufen als beim letzten Mal. Vor sieben Monaten war Bundeskanzlerin Angela Merkel erst mit großer Verspätung beim G-20-Gipfel in Buenos Aires eingetroffen, nachdem ihre Maschine wegen eines Defekts hatte umkehren müssen. "Es werden die notwendigen Vorkehrungen für eine gute Anreise getroffen", heißt es nun aus der Bundesregierung. Was einen Erfolg des an diesem Freitag beginnenden Gipfeltreffens im japanischen Osaka angeht, gibt man sich allerdings weit weniger zuversichtlich. Die Arbeiten an einer Abschlusserklärung gestalteten sich "in diesem Jahr besonders schwierig". Über ein Bekenntnis gegen den Protektionismus und für eine regelbasierte Ordnung werde "sehr kontrovers" diskutiert. Ob man sich überhaupt auf ein Kommuniqué einigen werde, sei offen.

Beim Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sollen Lösungen für das weltweite Wirtschafts- und Finanzsystem diskutiert und gemeinsame Zukunftsziele formuliert werden, auch für die Klima- und Umweltpolitik sowie für Frauenrechte. Das wäre die Absicht. Tatsächlich aber werden sich die japanischen Gastgeber eher um Schadensbegrenzung bemühen müssen. Tokio ringt im Vorfeld des Gipfels um Formulierungen, vor allem zum Freihandel, auf die sich alle Beteiligten einigen können - auch Donald Trump.

Beim G-20-Treffen der Wirtschaftsminister in Tsukuba Anfang Juni ging es um elektronische Datenflüsse und E-Commerce. Dabei konnten sich die Beteiligten grade mal auf die Formel einigen: "Wir bemühen uns, ein freies, faires, nicht-diskriminierendes, transparentes, voraussehbares und stabiles Umfeld für Handel und Investitionen" zu schaffen. Dieses halbherzige "Wir bemühen uns" ist als Eingeständnis zu deuten, dass sich die wichtigsten Regierungen der Welt in einer zentralen Zukunftsfrage kaum auf Grundprinzipien einigen können. Ähnliches droht in Osaka.

In Tokio fragt man sich daher, ob es vielleicht sinnvoller wäre, die 19 anderen Länder (genau genommen: 18 Länder und die EU) einigten sich auf eine stärker formulierte Erklärung. Und das eine Land, das nicht mitmachen will, könnte seinen Sonderweg über Twitter kundtun. Dies aber wäre nicht im Sinne Japans. Einerseits würde es als Scheitern des G-20-Gipfels (und damit Japans) interpretiert. Andererseits will Premier Shinzo Abe, der eine angebliche Freundschaft mit dem US-Präsidenten zelebriert, diesen nicht isolieren.

Dabei stellt sich Abe mit seiner Handelspolitik Trump diametral entgegen. Während der Amerikaner nur bilaterale Handelsabkommen will - TPP, das Mega-Freihandelsabkommen um den Pazifik ließ er als erste Amtshandlung platzen -, treibt Abe die Schaffung großer Freihandelsblöcke seither vehement voran. Er kann für sich in Anspruch nehmen, TPP gerettet zu haben. Jetzt gehört Japan zu den Initiatoren der RCEP, des künftig größten Handelsblocks, dem alle ASEAN-Staaten, China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und Indien angehören werden. Zugleich setzt Tokio sich für eine Reform der Welthandelsorganisation WTO ein.

In Notlagen fiel es den G-20-Staaten leicht, sich zu einigen

Ein nichtssagendes Kommuniqué, das alle akzeptieren können, wäre auch ein Spiel auf Zeit, meint Fukunari Kimura, Wirtschaftsprofessor der Keio-Universität. "Aber nicht alle Probleme des Welthandels hängen an Trump", betont er. Der "freie, geregelte Handel" werde von vielen Seiten bedroht. "Die neu industrialisierten Länder", also China, "sollten mehr tun. Sie profitieren überproportional vom Freihandel." Doch auch Peking sperrt sich gegen klare Worte, vor allem, wenn es um Industriepolitik und die Verflechtung von Staat und Wirtschaft geht.

Als sich die G 20 im November 2008 in Washington zu ihrem ersten Gipfel trafen, hatten alle noch ein gemeinsames Ziel. Nach dem Lehman-Schock musste das US-Finanzsystem und damit das weltweite Zahlungsgefüge vor dem Kollaps bewahrt werden. Mit einer koordinierten Geld- und Fiskalpolitik pumpten die wichtigsten G-20-Länder Liquidität in ihre Wirtschaften und schufen Standards, die solche Krisen künftig vermeiden würden, eine strengere Bankenregulierung etwa. Um die drohende schwere Krise abzuwenden, brauchte man das Wirtschaftspotenzial Chinas. So kam die G 20 zu ihrer Bedeutung; heute umfasst sie 80 Prozent des Welthandels und 90 Prozent der Weltwirtschaftsleistung.

In jener Notlage fiel es den G-20-Staaten leicht, sich zu einigen, sagt Japans Vize-Finanzminister Masatshuga Asakawa. Heute dagegen herrschten große Handels- und geopolitische Spannungen. Während sich die G 20 in ihren ersten Jahren um die globalen Ungleichgewichte kümmerten, richteten heute viele Länder ihre Aufmerksamkeit auf bilaterale Defizite. So aber könne eine integrierte Weltwirtschaft nicht funktionieren. Hinzu kommt die Angst vor einer neuen Schuldenkrise, nachdem die Notenbanken der USA, Japans und der EU die Welt mit billigem Geld überschwemmt haben. Ideen für Gegenmaßnahmen werden vom Gipfel in Osaka aber kaum erwartet. Stattdessen droht die G 20 in Osaka zum Rahmen für bilaterale Treffen reduziert zu werden, bei denen es um konkrete Konflikte geht - insbesondere um den Handelskrieg zwischen China und den USA.

Beherrscht werden wird der Gipfel auch von Krisen wie die um Iran. Man werde wieder Gelegenheit haben, Multilateralismus "auszuprobieren und zu diskutieren", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag. Sie mache sich aber "keine Illusionen", was die Aussichten angehe, im Kreise der G 20 außenpolitische Fragen zu lösen, die im UN-Sicherheitsrat nicht gelöst werden könnten. Hier müsse man "sehr nüchtern sein", denn alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates seien ja auch bei den G 20 dabei - "und wenn die sich blockieren im G-20-Format dann gibt es kein Kommuniqué, dann gibt es keine gemeinsame Stellungnahme".

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SZ vom 27.06.2019/vit
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