G-20-Treffen:Gipfel der Belanglosigkeit

Beim Treffen der G-20-Staaten in London wurde die Chance verpasst, die Weichen der Weltwirtschaft neu zu stellen.

Heiner Flassbeck

Die Weltwirtschaft, getrieben von den Finanzmärkten, ist in einen tiefen Sumpf geraten, und ihre Lage lässt sich nur noch mit der in der Großen Depression vom Anfang des vorigen Jahrhunderts vergleichen. Die große Politik, offenbar ebenfalls getrieben von den Finanzmärkten, hält mit Gipfeln dagegen und versucht, den im Sumpf Strampelnden einen festen Halt zu bieten.

G-20-Treffen: Auch US-Präsident Barack Obama konnte nicht allzu viele Antworten in London geben.

Auch US-Präsident Barack Obama konnte nicht allzu viele Antworten in London geben.

(Foto: Foto: Reuters)

Das ist notwendig, aber unglaublich teuer. Die Billion wird inzwischen zu einer gebräuchlichen Zahl. Doch niemand fragte in London, warum die Finanzmärkte die Wirtschaft eigentlich in den Sumpf getrieben haben. War es ein Unfall, war es Absicht, war es Dummheit? War es vielleicht unsere eigene Dummheit, weil wir alle über unsere Verhältnisse leben wollten?

Viele Fragen, aber keine Antworten aus London.

Wissen die Politiker nicht, was passiert ist, oder wollen sie es nicht wissen? Stattdessen gab es die übliche Gipfel-Routine, diesmal nur mit größeren Zahlen. Ein erweitertes Financial Stability Forum soll es in Zukunft vor allem richten. Das ist die Institution, die nach der asiatischen Finanzkrise vor zehn Jahren gegründet wurde, um die Finanzmärkte zu überwachen und vor drohenden Gefahren zu warnen. Was heute nur den Schluss zulässt, dass keine Institution mehr versagt hat als dieses Financial Stability Forum. Na dann, auf ein Neues.

Nicht nur produktiv

Geld (besser: Kredite) haben die Führer der G 20 vor allem dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Verfügung gestellt. Damit soll er in Not geratenen Ländern helfen. Wenn der Internationale Währungsfonds das aber so tut, wie vor zehn Jahren in Asien und wie vor kurzem in Osteuropa, wo er die Kredite regelmäßig an die Bedingung gebunden hat, dass die vor der Zahlungsunfähigkeit stehenden Länder die Zinsen erhöhen, Löhne kürzen und Staatsdefizite verringern, also ihre wirtschaftliche Lage zusätzlich verschlechtern, dann ist das viele Geld keine wirkliche Hilfe für die Länder. Und es ist außerdem kontraproduktiv für die Weltwirtschaft. Nur der Teil, der sich auf die Aufstockung der Sonderziehungsrechte bezieht (250 Milliarden Dollar), wird ohne solche "Bedingungen" vergeben.

Warum aber macht der Fonds solche Auflagen? Nun, die Antwort ist einfach: Weil es die Führer der Welt, wie schon nach früheren Krisen, auch diesmal mit aller Macht vermieden haben, über das eine und entscheidende Thema der globalisierten Wirtschaft zu reden: die Frage nämlich, wie eine globale Währungsordnung aussehen soll, bei der die Wechselkurse nicht von spekulativen Finanzmärkten bestimmt werden, sondern sich den fundamentalen ökonomischen Daten der miteinander handelnden Länder anzupassen haben - also vor allem den Differenzen der Inflationsraten in den einzelnen Länder.

Gäbe es eine solche Ordnung, müssten Länder mit hohen Inflationsraten zwar nach wie vor abwerten, sie müssten aber nicht mit einer restriktiven Politik die "Märkte" davon überzeugen, dass ihre Währung nicht ins Bodenlose fallen muss, um wieder eine stabile Wettbewerbsposition zu erreichen.

Die Krux der Kredite

Das zeigt die grundlegende Schwäche der Gipfelergebnisse. Es kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Finanzmärkte die reale Wirtschaft in den Sumpf getrieben haben, weil sehr viele Akteure rund um die Welt mit sehr viel geliehenem Geld auf vielen unterschiedlichen Märkten, bei Hypothekenderivaten, Rohstoffen, Aktien und Währungen gewettet und verloren haben. Sie mussten verlieren, weil ihren spekulativen Geschäften keine Produktivität gegenübersteht, schon gar keine, aus der zweistellige Renditen hätten bezahlt werden können. Der Zusammenbruch kommt, weil sich irgendwann die normalen Menschen die spekulativ überteuerten Häuser oder das Öl für die Heizung nicht mehr leisten können oder ein hoher Wechselkurs die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft so sehr zerstört hat, dass jeder merkt, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Über all das spricht das Kommuniqué des Gipfels mit keinem Wort. Es spricht nicht davon, dass dieses "Wetten", das globale Kasino also, natürlich vollkommen unproduktiv war, es sagt nicht, dass überzogene Renditeerwartungen der Spieler ein für allemal auf den Müllhaufen der Geschichte gehören, es stellt nicht fest, dass die Welt die Nullsummenspiele dieser Kasinos nicht braucht, und es beklagt nicht, wie viel Schaden das Spielen mit Schulden mittlerweile angerichtet hat.

Keine Rede ist von den massiven Preisverzerrungen im internationalen Handel durch Rohstoffpreis- und Währungsspekulation, aber die im Vergleich dazu völlig unwichtige Welthandelsrunde soll zu Ende gebracht werden. Zwar sollen die zukünftigen Regulierer die "Verbraucher und Investoren" schützen, sie sollen aber auch "Wettbewerb und Dynamik" an den Finanzmärkten fördern und Schritt halten mit den "Innovationen" an diesen Märkten. Konkret ist daran nichts außer der Ankündigung, dass jeder, der zukünftig ins Kasino geht, seinen Ausweis vorzeigen muss.

Die Spieljunkies kommen wieder

So geht es nicht. Schon stehen die globalen Spieler, die "Investment Banker", wie sich ein Teil von ihnen großspurig und irreführend nennt, bereits wieder in den Startlöchern, um das nächste große Spiel zu beginnen. Sobald die Bilanzen mit dem Geld des Steuerzahlers bereinigt sind und, wie in den letzten beiden Wochen geschehen, Rauchzeichen vom Gipfel eine Stabilisierung des Systems durch die Politik andeuten, steigen die Spieljunkies sofort wieder ein. Die Aktienkurse steigen, Rohstoffe legen zu und Währungen werden aufgewertet, die bis vor Kurzem noch als hoffnungsloser Fall galten, aber immer noch hohe Zinsen bieten. Die Politik aber schaut interessiert zu und freut sich, dass das "Vertrauen" in die Märkte zurückgekehrt ist.

Wieder einmal ist die Politik, national wie international, vollkommen unfähig, ein komplexes Problem zu verstehen, Lobbyismus konsequent abzuwehren und Lehren aus einem solchen Schock zu ziehen, die wirklich etwas mit den Ursachen zu tun haben. Dazu passt, mit welcher Akribie und welcher Energie das Problem der "Steueroasen" angegangen wurde. Das hat zwar absolut nichts mit der Finanzkrise zu tun, ist aber schön anschaulich und der Druck auf ein paar kleine Länder verspricht doch schnell einen vorzeigbaren Erfolg. Der erste große Gipfel in der Krise hat das Thema verfehlt, und viele Versuche werden die Regierungen nicht mehr haben, bevor das Experiment der Globalisierung endgültig gescheitert ist.

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