Es ist nicht so, als wären die Erfahrungen ermutigend - im Gegenteil: Als Angela Merkel das letzte Mal wider besseres Wissen den Wünschen ihrer Partner Guido Westerwelle und Horst Seehofer nachgab, endete das in einem Fiasko: Union und Liberale senkten die Mehrwertsteuer für Hotels, woraufhin ihre Beliebtheitswerte so heftig in den Keller rauschten, als hätten sich die Koalitionäre mitten in Bayern auf offener Straße als Preußen zu erkennen gegeben.
Ein so dramatischer Ausgang ist diesmal unwahrscheinlich, die Konstellation aber ist die gleiche wie beim letzten Mal: FDP und CSU drängeln, die Kanzlerin gibt um des lieben Friedens willen nach. Nur aus diesem Grund darf Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, FDP, Ende Oktober nach Korea reisen, um dort in Vertretung des erkrankten Kabinettskollegen Wolfgang Schäuble, CDU, am Treffen der G-20-Finanzminister teilzunehmen. Brüderle, der zwar oft reist, wenn es wichtig wird aber für gewöhnlich zu Hause bleiben muss, hatte zuvor deutlich vernehmlich mit den Füßen gescharrt.
In den vergangenen Tagen erhielt er Rückendeckung von gleich mehreren Koalitionskollegen, die bis dato allerdings nur Lesern des Bundestagsabgeordnetenverzeichnisses bekannt gewesen waren. Der FDP-Politiker Frank Schäffler beklagte, dass schon Schäubles Ausfall bei der Euro-Krise im Frühjahr "nicht glücklich" gewesen sei. Sein Parteifreund Patrick Döring schlug allen Ernstes vor, Merkel selbst solle ihren Finanzminister vertreten, und der CSU-Mann Georg Nüßlein jammerte, jetzt räche sich, dass Schäuble den Staatssekretär Jörg Asmussen nicht entlassen habe: Nun werde die Koalition auf der Weltbühne von einem Sozialdemokraten repräsentiert.
Es ist nicht überliefert, was Merkel ganz generell von den Herren Schäffler, Döring und Nüßlein hält, Asmussen aber schätzt sie zweifellos. Der 43-Jährige gilt trotz seines SPD-Parteibuchs als loyal, unideologisch und kompetent. Auch gibt es keinen objektiven Grund, warum statt seiner ein leibhaftiges Kabinettsmitglied zur G-20-Tagung reisen müsste, denn auch andere Minister lassen sich bei solchen Treffen gelegentlich von Staatssekretären vertreten. Merkel und Schäuble waren zunächst sogar dezidiert dagegen, dass Brüderle oder ein anderer Bundesminister den Kollegen auf globaler Ebene vertritt. Zu groß schien ihnen die Gefahr, dass in den Medien neue Spekulationen über die Schwere von Schäubles Erkrankung und über mögliche Nachfolgekandidaten aufkommen könnten.
Brüderle dagegen trieb eine ganz andere Sorge um: dass nämlich Merkel einen Minister nach Korea schicken könnte - aber nicht ihn. So wie im Mai, als nach Schäubles Ausfall Innenressortchef Thomas de Maizière zu den Beratungen über den Euro-Schutzschirm nach Brüssel eilte. Brüderle, so die wenig überzeugende Begründung damals aus dem Kanzleramt, sei "nicht erreichbar" gewesen.
Diesmal also darf er fahren - in der Hoffnung, dass er in Korea möglichst keinen Schaden anrichtet. Schließlich gibt es viele prominente Beispiele für Neu-Finanzminister, die durch unbedachte Äußerungen ein mittleres Beben an den Finanzmärkten auslösten. Im Zweifel wird FDP-Mann Brüderle Rat bei der SPD suchen müssen: Sein wichtigster Begleiter in Korea nämlich wird Asmussen sein.