Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel:Der Billionen-Trick

Wie der Gipfel zum historischen Triumph gemacht wird: Was steckt tatsächlich hinter der gigantischen Rettungssumme von 1,1 Billionen Dollar?

Andreas Oldag

Der britische Premierminister Gordon Brown feierte sich selbst und den Abschluss des G-20-Gipfels. "Dieses ist der Tag, an dem die Welt zusammenkam, um die Rezession nicht mit Worten, sondern mit Taten zu bekämpfen", sagte der Labour-Politiker in London. Doch was steckt tatsächlich hinter der gigantischen Summe von 1,1 Billionen Dollar (etwa 820 Milliarden Euro), die Brown als Stimulus für die notleidende Weltwirtschaft pries?

Der knorrige Schotte ist bekannt dafür, dass er Zahlen so addiert, dass er sie als politischen Erfolg verkaufen kann. Manches wird dabei allerdings als neuer Hut verkauft, was eigentlich ein alter ist. Das gilt in diesem Fall vor allem für die fünf Billionen Dollar Konjunkturhilfen, die im G-20-Abschluss-Statement neben den frischen Mitteln von 1,1 Billionen genannt werden.

Keinerlei Verpflichtung

Hier haben die Staats- und Regierungschefs einfach zusammenrechnen lassen, was die nationalen Regierungen bis 2010 ohnehin an Finanzpaketen eingeplant haben. Nur: Es gibt keinerlei Verpflichtung zu weiteren Konjunkturspritzen, wie es sich die britische und die amerikanische Regierung zunächst erwünscht hatten. Vor allem Deutschland und Frankreich sperrten sich dagegen. Auch im Falle der 1,1 Billionen Dollar bedarf es schon einer ausgeprägten Interpretationskunst, um euphorisch von einem Konjunkturstimulus zu reden.

Die neuen Finanzhilfen fließen zumeist über den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Mittelfristig sollen dessen flüssige Mittel in zwei Tranchen um zusammen 500 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Außerdem soll auch das Grundkapital, die sogenannten Sonderziehungsrechte, des IWF um zusätzliche 250 Milliarden Dollar aufgestockt werden.

Profitieren werden davon vor allem ärmere Staaten, die infolge der Finanzkrise an den Rand des Bankrotts getrieben werden. Viele an der Finanzkrise unschuldige Schwellen- und Entwicklungsländer können sich Konjunkturpakete wie die Industriestaaten nicht leisten. Ihnen soll der IWF mit mehr Geld und außerdem auch noch schneller und effizienter unter die Arme greifen.

Das ist ein löbliches Unterfangen und trägt zur Stabilisierung der gesamten Weltwirtschaft bei. Nur mit einem Konjunkturprogramm hat dies weniger zu tun. Einen beträchtlichen Teil der 500 Milliarden Dollar, nämlich 100 Milliarden, hatte die japanische Regierung dem IWF bereits im November zugesagt. Die EU beteiligt sich an der Aufstockung der IWF-Mittel mit vergleichsweise bescheidenen 101 Milliarden Dollar. Die USA steuern keinen zusätzlichen Dollar bei, und ebenso halten sich die reichen Saudis in aller Bescheidenheit zurück.

Bekannte Masche

Wie es in London hieß, ist die angebliche Zusage Chinas über 40 Milliarden Dollar für den IWF noch keinesfalls bestätigt. Den deutschen Anteil an der IWF-Aufstockung trägt die Bundesbank aus ihren Währungsreserven bei. Für den Steuerzahler sei das also keine Belastung, meinte Finanzminister Peer Steinbrück. Zudem erhält die Weltbank nach den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs 100 Milliarden Dollar, um Entwicklungsländern zu helfen. Doch diese Mittel müssen erst einmal verteilt werden. Das könnte nach den bürokratischen Gepflogenheiten der Bank einige Zeit dauern.

Nicht nachprüfbar sind die beim Gipfel genannten 250 Milliarden Dollar, mit deren Hilfe die Staaten den kollabierten Welthandel ankurbeln wollen. Das Geld soll in Form von Versicherungen und Bürgschaften für Exportgeschäfte in den nächsten zwei Jahren genutzt werden. Immerhin könnte Deutschland als der weltweit größte Exporteur von Gütern theoretisch davon ganz besonders profitieren.

Bei EU-Gipfeln ist die Masche bereits bekannt: Politiker stellen in wolkigen Abschlusserklärungen ihre vermeintlichen Erfolge dar. Beim G-20-Gipfel war die Erhöhung der IWF-Mittel ein geschickter Schachzug der britischen Regierung, um die erheblichen Differenzen zwischen den einzelnen Staaten über die Dringlichkeit weiterer Konjunkturprogramme zu überspielen.

Immerhin kann eine solche arrangierte "Einigkeit" Vertrauen stiften. Die Börsen reagierten denn auch weltweit positiv auf die Gipfel-Entscheidungen. Nur irgendwann wird bei solchen geschönten Zahlen das böse Erwachen kommen. Meist dann, wenn sich herausstellt, dass die Politiker etwas versprochen haben, was sie nicht einhalten können. Der nächste Gipfel kommt bestimmt. Dann ist wieder Gelegenheit für wolkige Erklärungen.

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SZ vom 04.04.2009/hgn
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