Süddeutsche Zeitung

Fusion:Linde wird amerikanisch

Der Münchner Industriegasehersteller einigt sich mit dem US-Konkurrenten Praxair auf die Eckpunkte eines Zusammenschlusses. Die Führung der neuen Gesellschaft soll in den USA angesiedelt werden - und nicht in München.

Von Karl-Heinz Büschemann

Jetzt also doch. Die Vorstände der Linde AG und des amerikanischen Konkurrenten Praxair haben sich am Mittwoch auf Eckpunkte für eine Fusion beider Unternehmen geeinigt. Damit wird ein neuer Weltmarktführer für Industriegase entstehen. Das Zentrum des neuen Unternehmens, das auch künftig Linde heißen soll, wird aber in Danbury im US-Bundesstaat Connecticut liegen. Dort soll der Chef des Unternehmens seinen Sitz haben. Auch der Finanzvorstand wird voraussichtlich in den USA sitzen. Damit würden Befürchtungen der Linde-Belegschaft wahr, die wesentlichen Leitungsfunktionen der neuen Gesellschaft könnten nach Amerika abwandern. Wolfgang Reitzle, der Aufsichtsratsvorsitzende von Linde, soll die Rolle des Chairman of the Board übernehmen, der in der Management-Kultur der Vereinigten Staaten eine bedeutendere Rolle hat als ein deutscher Aufsichtsratsvorsitzender.

Noch im September war der Versuch gescheitert, beide Unternehmen zusammenzubringen. Als Begründung nannte Linde damals, die US-Verhandlungspartner hätten zu große Forderungen gestellt. Die Arbeitnehmer hatten befürchtet, die Münchner Linde-Zentrale würde weitgehend ausgehöhlt. Angeblich sind diese Bedenken der Deutschen ausgeräumt worden.

Der Linde-Vorstandschef Aldo Belloni sprach von einem "Meilenstein". "Diese Fusion schafft Werte", sagte er. Sie erlaube die finanzielle Flexibilität, "die wir brauchen, um in unsere Zukunft zu investieren"". Praxair-Chef Steve Angel sagte, der Zusammenschluss kombiniere die Stärken beider Unternehmen. Die Einspareffekte des Zusammenschlusses beziffern Linde und Praxair auf eine Milliarde Dollar. Linde hat etwa 65 000 Beschäftigte und macht einen Umsatz von 19 Milliarden Dollar. Praxair ist kleiner, aber deutlich profitabler. Das Unternehmen macht elf Milliarden Dollar Umsatz und hat 27 000 Beschäftigte. Beide Unternehmen sind aber an der Börse ähnlich bewertet. Gemeinsam bringen sie 60 Milliarden Dollar auf die Waage.

Aktuelles Lexikon: Aktientausch

Die Konzerne Linde und Praxair haben sich am Dienstag auf die Eckpunkte einer Fusion geeinigt. Das Geschäft soll durch Aktientausch abgewickelt werden. Diese Methode ist beliebt, weil man dabei vermeidet, einen Kredit aufnehmen zu müssen. Entscheidendes Zahlungsmittel sind Aktien. Unternehmen, die einen hohen Börsenwert aufweisen, können auf diese Art andere Konzerne mit niedrigerem Wert schlucken. Ein Beispiel war die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000. Die Mannesmann-Aktionäre billigten das Aktientauschangebot von Vodafone. Vor solchen Geschäften müssen sich die Partner auf ein Umtauschverhältnis einigen: Darin wird festgelegt, wer wie viel für seine Aktie erhält. Es geht um die künftigen Machtverhältnisse. Die Eigentümer des stärkeren Unternehmens bekommen dann beispielsweise für ihre Aktie jeweils eine Aktie des neuen fusionierten Konzerns - während sich die Eigentümer des schwächeren Unternehmens mit einem 0,8-Anteil zufriedengeben müssen. Der Stärkere entscheidet, welche Standorte nach der Fusion wichtig bleiben und wie die Führungsposten besetzt werden. Auch die Eigentümer von Linde und Praxair wollen ihre Aktien in neue Aktien des neu fusionierten Unternehmens umtauschen. Die Einigung ist gütlich: Jeder soll künftig jeweils 50 Prozent an dem fusionierten Konzern halten. Markus Zydra

Die Arbeitnehmer in München stehen dem Vorhaben noch skeptisch gegenüber

Der Plan, Linde und Praxair zusammenzuführen, war stark vom Linde-Aufsichtsratschef Reitzle befördert worden. Reitzle war von 2003 bis Mai 2014 Vorstandsvorsitzender von Linde. In seiner Zeit entwickelte sich Linde zum Weltmarktführer bei Industriegasen. Doch nach seinem Ausscheiden änderte sich das Bild. Unter seinem Nachfolger Wolfgang Büchele ging die Weltmarktführerposition verloren. Das soll Reitzle erbost haben. Nach dem Scheitern der Gespräche mit Praxair im Sommer hatte Büchele überraschend seinen Rücktritt verkündet. Die Gespräche mit den Amerikanern waren auch gescheitert, weil es im Vorstand von Linde massiven Widerstand gegen das Vorhaben gab. Finanzvorstand Georg Denoke hatte sich der Fusion widersetzt. Er musste das Unternehmen im September von einem Tag auf den anderen verlassen. Offenbar hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Reitzle die Unterstützung für seine Pläne im Vorstand falsch eingeschätzt.

Um seine Pläne zu retten, hatte Reitzle Anfang Dezember das schon vor zwei Jahren aus Altersgründen ausgeschiedene Vorstandsmitglied Aldo Belloni aus der Pension zurückgeholt und zum Vorstandsvorsitzenden gemacht, um die Verhandlungen mit den Amerikanern zu führen. Belloni gilt als Vertrauter von Reitzle, sein Vertrag läuft bis Ende 2018. Belloni will die konkreten Verhandlungen mit den Amerikanern über das Zusammengehen in vier bis fünf Monaten beendet haben.

Reitzle war in die Kritik geraten, weil er zuletzt den Eindruck vermittelte, den Konzern und die Verhandlungen mit Praxair aus dem Aufsichtsrat selbst zu führen. Das Tagesgeschäft einer Aktiengesellschaft ist aber Sache des Vorstands. Linde betont, Belloni habe die Verhandlungen mit Praxair seit dem 8. Dezember geführt.

Praxair und Linde werden zu gleichen Teilen in die neue Gesellschaft eingebracht. Das Führungsgremium der Gesellschaft soll zu gleichen Teilen von Vertretern von Linde und von Praxair besetzt werden. Die Aktien beider Gesellschaften sollen zu den entsprechenden Verhältnissen in Anteilsscheine der neuen Gesellschaft umgetauscht werden. Wo die neue Holding ihren formalen Sitz haben wird, ist noch nicht bekannt. Er soll in "einem neutralen Land des Europäischen Wirtschaftsraumes" liegen. Zentrale Funktionen, so teilte Linde am Dienstag mit, würden "adäquat" zwischen Danbury und München aufgeteilt, "um auch Effizienzen für das kombinierte Unternehmen zu erzielen".

Die neue Linde-Holding soll sowohl in New York als auch in Frankfurt notiert bleiben. Linde strebt die Aufnahme in einen der Dax-Indizes an. Sollte der Haupthandel mit den neuen Aktien allerdings in Übersee stattfinden, müsste sich das Dax-Gründungsmitglied mit dem Abstieg aus der ersten deutschen Börsenliga abfinden.

Die Arbeitnehmervertreter bei Linde sehen die geplante Fusion mit dem US-Konkurrenten skeptisch. Der Konzernbetriebsratschef und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Dieter Katte sagte am Dienstag, er sehe noch "erhebliches Spannungspotenzial". Viele Beschäftigte sorgten sich, ob bei einer Fusion die deutsche Mitbestimmung verloren geht und eine andere Firmenkultur Einzug hält.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3303508
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.12.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.