Süddeutsche Zeitung

"Roaring Twenties":Viermal Zukunft

Ein Banker, eine Pflegeexpertin, ein Ökonom und eine Astronautin in spe über ihre Erwartungen an die Zwanzigerjahre.

Von Helmut Martin-Jung, Berlin

Zukunft, so ließe sich ein alter Spruch abwandeln, liegt im Auge des Betrachters. Befragt man vier hochkarätige Vertreter ihres Fachs, wie es denn weitergehen werde in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts, sind die unterschiedlichen Sichtweisen also durchaus erkennbar. Wo der Banker Wolfgang Fink Herausforderungen sieht etwa bei den Spannungen zwischen den Machtblöcken USA und China, fragt sich Sophie Boissard, Chefin des Pflegekonzerns Korian, ob man denn genügend vorbereitet sei auf mehr und mehr alte Menschen, die Pflege brauchen. Wirtschaftsprofessor und Ifo-Chef Clemens Fuest klagt darüber, dass die Politik zu wenig getan habe, um die Pandemie in den Griff zu kriegen. Astrophysikerin und Astronautinnen-Trainee Suzanna Randall dagegen sieht ihre Mission vor allem darin, Mädchen und Frauen für die Naturwissenschaften zu begeistern.

Alles verschiedene, aber wichtige Themen also, doch es gibt auch Gemeinsamkeiten. An erster Stelle natürlich die Pandemie. Die bremst sowohl Randalls Ambitionen, auf der ISS zu forschen, als auch die globale Wirtschaft. Und sie ist die Hauptsorge von Boissard: "Die neue Welle ist sehr anstrengend", sagt sie. Wer sich nicht immunisieren lasse, werde sich über kurz oder lang infizieren, "es gibt keine andere Wahl". Wirtschaftsexperte Fuest hatte erwartet und wohl auch ein wenig gehofft, dass sich mehr Menschen hätten impfen lassen. Die Politik, fordert er, müsse nun alles tun, um das Niveau der Infektionen wieder nach unten zu bringen: "2G oder 2G plus wären aus wirtschaftlicher Sicht wichtig."

Banker Fink, Europa-Chef von Goldman Sachs, sieht der neuerlichen Pandemiewelle zum Trotz große Aufholeffekte. Um die Zukunft der deutschen (Auto-) Konzerne ist ihm nicht bange. Die hätten schließlich viel spezifisches Know-how. Das allerdings, so viel Zukunft muss dann schon sein, sollte nun dringend digitalisiert werden. Dass viel investiert werde, alleine in der Autobranche mehr als 150 Milliarden Euro, stimmt ihn zuversichtlich: "Die Zeichen sind ermutigend." Start-ups in Europa bekämen auch mehr und mehr Geld von Investoren. "Das darf man nicht unterschätzen, mit welcher Geschwindigkeit das geschieht." Ein Problem sieht Fink beim Fachkräftemangel.

Das ist wie ein Stichwort für die Astronautin in spe. Sie redet auch oft mit Kindern, "es ist ein Wahnsinn, was da noch für Rollenklischees herrschen". Und das schon im Kindergarten und in der Grundschule: "Ein siebenjähriges Mädchen hat mich gefragt, ob ich keine Nachteile hätte, weil ich eine Frau bin." Wie so manche Frau in Vorständen von Unternehmen findet auch Randall es nicht so leicht, oft die einzige Frau zu sein. Aber es gehe auch gar nicht nur darum, denn ausgeglichenere Teams würden einfach besser zusammenarbeiten. Und: Im All werde auch viel am menschlichen Körper geforscht - das dürfe aber nicht nur an Männern gemacht werden, weil weibliche Körper eben anders seien.

Fachkräftemangel fürchtet auch Sophie Boissard, die Chefin des Pflegekonzerns. Die demografische Entwicklung mache doch klar, dass ihre Branche eine mit Zukunft sei. Aber "wir bilden nicht genug Pflegekräfte aus". Also wie mehr Menschen für diesen anstrengenden Beruf gewinnen? Mit mehr Geld? Nicht nur, sagt Boissard, es zähle vor allem "echte dauerhafte Wertschätzung". Also, möchte man hinzufügen, mehr als ein paarmal Klatschen auf den Balkonen. Boissard hofft auch auf mehr Digitalisierung. Die könnte es möglich machen, Senioren länger zu Hause zu betreuen, und sie könnte den Pflegenden Routinejobs wie die Dokumentation erleichtern.

Hat Corona dabei eigentlich geholfen? Schließlich musste einiges schnell digital werden, damit es in der Wirtschaft überhaupt weitergehen konnte. "Ein Trendverstärker" sei die Seuche gewiss gewesen, sagt Banker Fink. Manche Konzerne, deren Bewertungen dauerhaft viel niedriger seien als die konkurrierender Firmen, müssten sich aber schon überlegen, woran das denn liegen könne.

Und sich vielleicht neue Ziele setzen. Es muss ja nicht gleich Mond oder Mars sein. Suzanna Randall würde hier natürlich widersprechen. "Wir müssen einfach da hin", das liege in der Natur des Menschen. Aber sie hat auch eine Bedingung: "Nur mit Rückflugticket."

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