Für mehr Produktivität:Spanien will in andere Zeitzone wechseln

Die Uhr zurückdrehen gegen die Wirtschaftskrise: In Spanien wächst die Überzeugung, dass die Sonne zu spät auf- und untergeht und das Land deshalb in eine andere Zeitzone wechseln soll. So wollen die Spanier produktiver und leistungsfähiger werden.

Von Thomas Urban, Madrid

Die deutschen Spanienurlauber lieben das: In ihrem Lieblingsland geht die Sonne erst gegen 22 Uhr unter. Aber ist das auch für die Wirtschaft gut? Immer mehr spanische Wirtschaftsexperten meinen, dass es damit ein Ende haben müsse: Die Sonne habe eine Stunde eher unterzugehen. Das Projekt, Spanien solle zur Koordinierten Weltzeit (UTC), die früher Mittlere Greenwich-Zeit (GMT) hieß, zurückkehren, gibt es schon länger. Jetzt hat es auch die Zustimmung eines Parlamentsausschusses gefunden. Es ist zu erwarten, dass bald ein Gesetzesprojekt daraus wird. Am Ende liegt Spanien vielleicht in der selben Zeitzone wie Nachbar Portugal oder Großbritannien.

In der Tat liegen 80 Prozent des spanischen Territoriums westlich des Nullmeridians, der durch die alte Sternwarte im Londoner Stadtteil Greenwich führt. Seit 71 Jahren, nämlich seit dem Kriegsjahr 1942, gehört Spanien derselben Zeitzone wie Deutschland an, der Mitteleuropäischen Zeit (MEZ). Ob Diktator Francisco Franco sich auf diese Weise Nazi-Deutschland anbiedern wollte, darüber gehen die Meinungen der Historiker auseinander. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks reicht die Zeitzone von der polnischen Ostgrenze bis nach Galicien in der Nordwestecke Spaniens, sie umfasst rund 30 Längengrade. Faktisch bedeutet dies, dass bei derselben Uhrzeit die Sonne im Osten Polens zweieinhalb Stunden eher aufgeht als in Westspanien. Wissenschaftler weisen schon lange darauf hin, dass diese riesige Zeitzone zur Verzerrung des menschlichen Biorhythmus führe.

Der Wecker klingelt in der Tiefschlafphase

Die natürlichen Schlafzeiten, die zwischen Abend- und Morgendämmerung lägen, seien auf diese Weise schwer gestört worden. In der Tat ist es im Winter, wenn die spanischen Schulkinder und ihre berufstätigen Eltern morgens das Haus verlassen, noch stockdunkel. Sie würden meist durch den Wecker aus einer Tiefschlafphase gerissen, was Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit während des Tages habe. Die Experten haben ausgerechnet, dass im Durchschnitt jeder Spanier pro Tag rund 50 Minuten zu wenig Schlaf hat.

Einwände, der Exportwirtschaft entstünden Nachteile, wenn die Spanier eine andere Zeit als ihre wichtigsten Handelspartner, nämlich Deutschen, Franzosen und Italiener, einführten, halten die Experten der Gesellschaft für die Anpassung der spanischen Arbeitszeiten (ARHOE) für unbegründet. Sie verweisen auf Portugal und Großbritannien, die in der UTC-Zone keine Koordinationsprobleme mit EU-Staaten haben.

Die Befürworter einer Umstellung argumentieren nicht nur mit der gesteigerten Arbeitsproduktivität, sondern auch mit besseren Schulleistungen: Motivation und Konzentration eines Großteils der Schüler würden bei einem dem Biorhythmus angepassten Schulbeginn deutlich steigen. Es wäre auch eine Maßnahme gegen die Krise, die ja auch Folge der geringeren Produktivität der Wirtschaft war.

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