Für den Notfall:Auf Pnozzi vertraut die Welt

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„Die Mama hat uns viel Verantwortung übertragen und uns diese auch leben lassen“, sagt Susanne Kunschert (links). Gemeinsam mit ihrem Bruder Thomas Pilz (rechts), führt sie das Familienunternehmen. Mutter Renate Pilz (Mitte), die den Betrieb seit 1975 leitete, will sich nun dem Reisen und Musikhören widmen – und ihrem Garten. „Die Kinder sind besser als ich“, sagt sie. (Foto: Privat)

Der Mittelständler Pilz steckt ein Fünftel des Umsatzes in die Forschung. Neuestes Produkt ist ein Kamera-system.

Von Stefan Mayr, Ostfildern

Keiner nimmt ihn gerne in die Hand, aber jeder ist froh, dass es ihn gibt. Den Notknopf der Firma Pilz kennt man aus der Autowerkstatt, wo er von der Decke hängt. Man sieht ihn an jedem profanen Fließband, aber auch an weltberühmten Anlagen wie dem Riesenrad London Eye oder der Seilbahn auf den Zuckerhut von Rio. Das 1987 patentierte und damals einmalige Sicherheits-Relais heißt PNOZ, dieses Wortungetüm steht für Pilz Not-Aus Zwangsgeführt. Die sperrige Ansammlung von Konsonanten ist kompliziert auszusprechen und klingt sehr deutsch, insofern passt der Name aber auch perfekt. Jedenfalls hat sich das Teil trotz akuter Zungenbrechergefahr weltweit durchgesetzt. Wie beliebt das Gerät ist, zeigt vielleicht der in der Schweiz gängige Kosename: Pnozzi.

Was Pnozzi so besonders macht, ist für Nicht-Ingenieure schwer zu verstehen. Ein Erklärungsversuch wäre: Pnozzi stoppt die Maschine sofort und dauerhaft, ohne dass dabei etwas kaputt geht oder herunterfällt. Das klingt banal, ist aber bei komplexen Maschinen, die auf Hochtouren laufen und teure Hightech-Produkte oder gar Menschen transportieren, gar nicht so einfach. Zum Beispiel bei Fließbändern oder Achterbahnen. Dabei ist auch wichtig: Das Wiederanfahren ohne Probleme und ohne Verzögerung.

Allerdings wäre es falsch, die Tüftler von Pilz auf ihren roten Knopf zu reduzieren. Das Familien-Unternehmen aus Ostfildern nahe Stuttgart ist auch führend bei Lichtschranken und Sensoren, die in Fabrikhallen messen, kontrollieren, korrigieren und notfalls eben auch stoppen. Die 2200 Mitarbeiter nennen sich selbst "Botschafter der Sicherheit". Ihre Kompetenz fasst Bernd Gottschalk, ehemals Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), so zusammen: "Pilz ist im Bereich der sicheren Automation, überhaupt der Überwachungs-, Steuerungs- und Sicherungssysteme ein kompetenter Komplettanbieter, wie es ihn so wohl kein zweites Mal gibt."

Begonnen hat alles mit einer Glasbläserei für Medizintechnik. Peter Pilz änderte den Geschäftsinhalt grundlegend in Richtung Automatisierungstechnik. Sein Leitspruch lautete: "Der Engel liegt im Detail." Dieser Erfindungsgeist wird bis heute gepflegt: 500 Mitarbeiter kümmern sich um Forschung und Entwicklung. Also fast ein Viertel des Personals tüftelt an neuen Produkten. Das ist ein extrem hoher Wert. Zum Vergleich: Bei Patente-Rekordhalter Bosch fließen etwa zehn Prozent des Umsatzes in die Forschung. Bei Pilz sind es 20 Prozent. "Das ist ein gutes Maß, wenn man technisch interessant bleiben möchte", sagt Mit-Geschäftsführerin Susanne Kunschert. Neuestes Produkt ist das Sicherheits-Kamerasystem Safety-Eye: Es kann einen Raum dreidimensional überwachen. Das ermöglicht die unfallfreie Zusammenarbeit von Mensch und Maschine auf engstem Raum ohne Schutzzaun.

Die neuen Chefs, Kunschert und ihr Bruder Thomas Pilz, wollen an den Werten ihrer Eltern festhalten. "Ein Verkauf kommt nicht infrage", betont Kunschert. Die Unabhängigkeit von Banken sei "oberstes Ziel". Dabei wolle sie die "Internationalisierung" vorantreiben. Bis 2019 sollen zwei neue Länder hinzukommen. Die Namen verrät sie nicht. Nur soviel: "Der Schwerpunkt wird Asien sein."

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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