Führungswechsel:Der Aufsteiger aus dem Arbeiterviertel

Klaus Kleinfeld soll in der nächsten Woche neuer Siemens-Chef werden: Von Vorgesetzten geschätzt, von Beschäftigten gefürchtet - der 47-jährige Manager will dem deutschen Weltkonzern frischen Schwung geben.

Von Markus Balser

Über Klaus Kleinfeld kursieren schon gute Geschichten. Zum Beispiel wie er vor einem Jahr vom entscheidenden Schritt in seiner Karriere erfuhr.

Führungswechsel: Klaus Kleinfeld

Klaus Kleinfeld

(Foto: Foto: dpa)

Karl-Hermann Baumann, der Chef des Siemens-Aufsichtsrates, rief eines Nachmittags beim Leiter des Siemens-Amerika-Geschäfts in New York an: "Zwei Nachrichten: Die gute oder die schlechte zuerst?"

Die schlechte, entschied Kleinfeld. Er müsse sein Büro in Manhattan aufgeben und zurück an den Wittelsbacherplatz in München kommen, erfuhr Kleinfeld.

Und die gute? Er steige in den Zentralvorstand, den engsten Machtzirkel um Siemens-Chef Heinrich von Pierer auf, fuhr Baumann feierlich fort. Kleinfelds Reaktion: "Was? Da muss doch noch was Besseres kommen."

Es kam besser. Anfang November herrschte bei einem festlichen Abendessen in München Hochstimmung. Vor Journalisten durfte der 47-Jährige erstmals öffentlich als designierter Vorstandschef auftreten.

Unter dem Zeltdach im blau illuminierten Siemens-Innenhof zog Vorstandschef Pierer vor Journalisten eine Bilanz seiner zwölfjährigen Amtszeit. Im Hintergrund kämpfte Kronprinz Kleinfeld mit der verordneten Zurückhaltung.

Er habe sich schon als Schüler zu Höherem berufen gefühlt, sagte er später mit hörbarem Bremer Akzent. "Mir war damals nicht klar, was ich tun wollte. Aber ich wusste, dass es einen Unterschied machen wird." Nach dem Abendessen war Schluss mit der Contenance.

Kleinfeld, groß, hager, spitzbübisch im Gesicht, schnappte sich das Nokia-Handy eines italienischen Redakteurs und versenkte es in seinem Wasserglas. Das Gerät gab den Geist auf, und der künftige Konzernchef triumphierte: "Nicht wasserdicht!" Ersatz für den verdutzten Gast: zwei neue Handys - natürlich von Siemens.

Eine klare Sprache

Kleinfeld präsentiert sich gerne als ungezwungener Macher. Selten zuvor wurde indes ein Führungswechsel so staatsmännisch geplant, und selten wird ein Chef eines Weltkonzerns weniger staatstragend auftreten als Kleinfeld.

Ein ausgeklügelter Ablaufplan steuerte die letzten Wochen der Machtübergabe an den impulsiven Pierer-Zögling. Den Kanzler hat er jüngst getroffen, außerdem einige Ministerpräsidenten, bei Angela Merkel saß er auf der Couch, auch Außenminister Joschka Fischer und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac standen auf der Besuchsliste.

Der Aufsteiger aus dem Arbeiterviertel

Anfang Januar brach Kleinfeld zu Chinas Machthabern nach Peking auf. Wenn die Siemens-Aktionäre bei ihrer Hauptversammlung am kommenden Donnerstag in der Münchner Olympiahalle den Machtwechsel billigen und sich Pierer in den Aufsichtsrat zurückzieht, soll sein Nachfolger schon auf ein Netzwerk zurückgreifen können.

Transrapid und Turbinen, Kraftwerke und Krankenhäuser, Straßenbahnen und Glühbirnen - ein Siemens-Chef agiert in zwölf verschiedenen Geschäftsfeldern und führt 430.000 Mitarbeiter in 190 Ländern. In Deutschland gilt der 157 Jahre alte Traditionskonzern als Schrittmacher.

Verlängert Siemens die Arbeitszeit, ziehen andere nach. Droht Siemens mit Abwanderung wie in den Telefon-Werken Bocholt und Kamp-Lintfort, löst das Grundsatzdiskussionen über den Standort Deutschland aus.

Siemens ist der größte industrielle Arbeitgeber im Lande und hat damit auch einen der wichtigsten Führungsposten der deutschen Wirtschaft zu bieten. "Auf jeden Fall aber den schönsten", schwärmt Heinrich von Pierer. Um ihn neu zu besetzen, hatte die Konzernführung im vorigen Jahr einen Wettbewerb in Gang gesetzt und immer wieder neue Namen lanciert.

Vor allem, um Spuren der längst getroffenen Entscheidung zu verwischen. Mitbewerber waren zuletzt Strategiechef Johannes Feldmayer und Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger.

Obwohl in Führungspositionen weniger erfahren, konnte sich Kleinfeld bei den Siemens-Aufsichtsräten, darunter Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und der frühere Allianz-Boss Henning Schulte-Noelle, durchsetzen. Er beherrsche die Sprache einfacher Leute, eine wichtige Führungseigenschaft, sagt sein Mentor Pierer.

"Überall, wo er war, hat er eine vernünftige Spur hinterlassen." Kleinfeld sei ein brillanter Analytiker, lokal verwurzelt und mit internationaler Erfahrung, lobt auch McKinsey-Chef Jürgen Kluge den neuen Mann.

Im fränkischen Forchheim erinnert man sich noch an die Abende mit Klaus. Die Belegschaft der Siemens-Medizintechnik war verärgert, als ihr neuer, junger Chef 1998 kurz vor Weihnachten einem ganzen Werk für Diagnosegeräte schnellere Produktion und flexiblere Schichten verordnen wollte.

Selbst über Wochenendarbeit, bis dahin tabu, wurde diskutiert. Kleinfeld verhandelte hart mit Belegschaftsvertretern und befragte jeden einzelnen Mitarbeiter, warum Liefertermine nicht eingehalten wurden.

Er schaffte das Sie quasi ab, erschien spät abends unverhofft im Werk und veranstaltete Pizza-Meetings mit Logistikern, Betriebsräten und Produktionsmitarbeitern.

"Er war in der Lage, zu motivieren und Leute zusammenzuschweißen", erinnert sich der Vorsitzende des Erlanger Siemens-Betriebsrats, Werner Mönius. Die Belegschaft akzeptierte Einschnitte.

Der Aufsteiger aus dem Arbeiterviertel

Die Montagezeit für 100.000 Euro teure medizinische Scanner ließ sich von sechs auf eine Woche reduzieren. Heute zählt die Medizintechnik zu den Vorzeigesparten im gesamten Konzern.

Mit Kleinfeld rückt ein neuer Typ Top-Manager in die Siemens- Schaltzentrale, das noble Palais am Wittelsbacherplatz in München: kompromissloser, schneller, globaler. Hier, im schmalen Flur des ersten Stocks, zeigen kleine Messinglettern an, wer noch regiert: v. Pierer.

Doktortitel und der Hinweis auf die Funktion des Vorstandsvorsitzenden fehlen. Pierer sind Allüren fremd. Unter ihm gehörte es zum guten Ton, große Gesten zu vermeiden und durch Taten zu überzeugen.

Nach der Hauptversammlung am Donnerstag wird Kleinfeld in die hellen Räume des Vorstandschefs ziehen, vom Aufsichtsratschef Pierer dann nur durch ein großes Sekretariat getrennt. "Sie werden Gelegenheit haben, viel miteinander zu sprechen", sagt ein Aufsichtsratsmitglied.

Pierer werde die Rolle eines sehr aktiven Oberaufsehers spielen. Doch kaum einer von Kleinfelds Getreuen glaubt, dass der sich künftig in seine Entscheidungen hineinreden lässt.

Gewerkschafter verhehlen nicht, dass ihnen Pierers Führungsstil zuletzt auf die Nerven ging: "Mit Missionaren kann man nicht verhandeln", heißt es bei der IG Metall. Pierer habe zu politisch agiert und eine Arbeitszeitverlängerung durchgesetzt, obwohl diese gar nicht gebraucht wurde.

Doch während sie der bisherige Chef nur ärgerte, haben die Gewerkschafter vor dem neuen regelrecht Angst. Kleinfeld möchte aus Siemens einen wahrhaft internationalen Konzern formen. 164.000 Menschen arbeiten in Deutschland für die Firma, rund 38 Prozent der gesamten Belegschaft.

Doch werden nur 20 Prozent des Umsatzes hierzulande erwirtschaftet, der Anteil am Gewinn ist nur einstellig. Schuld daran sind die Personalkosten. Kleinfeld will die Relationen nicht sofort geraderücken, sie aber über die Investitionen korrigieren.

Im Klartext heißt das: Neue Arbeitsplätze entstehen vor allem im Ausland, in Deutschland könnten weitere wegfallen. IG-Metall-Vizechef Berthold Huber warnt bereits vor dem Ungeist des Shareholder Value. Ob die bisherigen Einschnitte ausreichen, um die Siemens-Probleme zu lösen? "Aber nein", ruft Kleinfeld. "Das war der Anfang - nur unternehmerische Hygiene."

Kleinfeld redet gerne drauflos, lacht und scherzt. Doch von der netten, geradezu lausbubenhaften Art solle sich niemand täuschen lassen, warnt ein Vertrauter. Kleinfeld habe früh lernen müssen, sich durchzusetzen. Anders als viele Konzernchefs stammt er nicht aus dem Großbürgertum, sondern wuchs im Bremer Arbeiterviertel Woltmershausen auf.

Die Familie war nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem Dorf bei Wittenberg in Ostdeutschland nach Bremen geflüchtet, sein Vater schuftete als Hilfsarbeiter im Hafen und bildete sich in Abendkursen zum Ingenieur weiter. Er starb, als Kleinfeld zehn Jahre alt war.

Entsprechend knapp war das Geld zu Hause, der Gymnasiast füllte im Supermarkt Regale auf, für zwei Mark in der Stunde. "Faulenzen war nicht drin."

Nach seiner Promotion heuerte der Diplom-Kaufmann 1987 bei Siemens an und machte sich zunächst im Zentralbereich Vertrieb, später in der internen Unternehmensberatung einen Namen.

Der Aufsteiger aus dem Arbeiterviertel

Erste Führungsaufgaben bekam er 1998 in der Sparte Medizintechnik, zuerst als Geschäftsgebietsleiter, schließlich als Vorstand. Im Jahr 2001 übernahm er als Leiter das kriselnde US-Geschäft von Siemens. Er griff hart durch und strich fast 10.000 Stellen.

Kleinfeld schaffte, was seinen Vorgängern jahrzehntelang nicht gelingen wollte: Er machte das Sorgenkind profitabel. "Wenn Sie gut zuhören und ein paar clevere Fragen stellen, können Sie sich überall schnell einarbeiten", sagt er. Zudem bewies er sich als geschickter Lobbyist.

Von Microsoft-Chef Bill Gates über politische Kontakte in Washington bis zum Aufsichtsrat der Metropolitan Opera und Beratergremien von New Yorks Bürgermeister Michael R. Bloomberg - Kleinfeld war überall präsent. Die drei Jahre in den USA haben ihn geprägt. Er gilt privat als sehr verlässlich und hilfsbereit, aber auch als knallhart im Geschäft.

Spur der Pannen

"Höchstleistung verträgt kein Mittelmaß", sagt Klaus Kleinfeld, der im vergangenen Jahr 3,3 Millionen Euro verdiente und künftig noch mehr bekommt. Bei Siemens aber hapert es derzeit in mehreren Bereichen.

MP3-Player und Farbbildschirme für Handys hatte die Firma entwickelt - das Geschäft machten andere. Pannen haben immer wieder zig Millionen Euro gekostet, ob bei Straßenbahnen vom Typ Combino oder zuletzt in der Kommunikationssparte.

Er habe sich für die Startphase vier Themen vorgenommen, heißt es in Kleinfelds Umgebung: die Probleme der Kommunikationssparte, mehr Innovationen, eine Verbesserung der Qualität und Akquisitionen im großen Stil. Bislang zählt nur ein Drittel der Siemens-Geschäfte zur Weltspitze.

Die Rendite ist in vielen Bereichen nur noch durchschnittlich. Kleinfeld wird Druck machen. Jedes Geschäft solle den Trend in der jeweiligen Branche bestimmen, heißt es intern. Das Ziel: Position eins oder zwei auf dem Weltmarkt.

Für Übernahmen in fast jeder Größenordnung ist Siemens immerhin gerüstet. In der Kasse hat der Konzern mehr als 13,5 Milliarden Euro.

Am Donnerstag fällt die vorerst wichtigste Entscheidung: über das Schicksal der kriselnden Handy-Sparte. Verkaufen, schließen oder sanieren, heißen die Optionen.

Auf Rücksicht werden die Siemens-Beschäftigten unter Klaus Kleinfeld nicht hoffen können. Investoren rechnen damit, dass er in der Kommunikationssparte, dem größten Geschäftsbereich des Konzerns, hart durchgreift. Die Rede ist von tausend und mehr gefährdeten Stellen.

Da klang es fast schon wie eine Entschuldigung für die ersten Aktionen seines Nachfolgers, als Heinrich von Pierer kürzlich in einer Rundmail an alle Mitarbeiter vorsichtig schrieb: "Mir ist bewusst, dass wir nicht immer ohne schmerzhafte Einschnitte auskommen werden. Ich bitte Sie dafür um Verständnis."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: