Führungskräftetagung in Berlin:Kaeser will Siemens zum Weltmeister machen

Siemens-Chef Joe Kaeser hat in den 14 Monaten im Amt viel Wirbel gemacht und eine erstaunliche Machtfülle erreicht. Nun muss er die Führungskräfte motivieren. Erstmals können ihm dabei alle 360 000 Mitarbeiter zuhören.

Von Christoph Giesen

Siemens ist ein traditionsbewusster Konzern. Was einmal funktioniert hat, daran wird festgehalten. Die Hauptversammlungen finden immer in der Münchner Olympiahalle statt, und seit Ewigkeiten ist es schon so, dass sich im Oktober die wichtigsten Manager des Konzerns in Berlin einfinden. Immer im Interconti, der in die Jahre gekommenen Fünfsterne-Herberge West-Berlins. 700 Manager sind es in diesem Jahr, normalerweise tagen sie hinter verschlossenen Türen. Diesmal ist es ein wenig anders.

Noch vor einem Jahr, so berichteten Teilnehmer, war Siemens-Chef Joe Kaeser zu den Klängen des Beatles-Klassikers "Hey Jude" auf die Bühne geklettert, es war seine erste Tagung als Konzernboss. Am Rednerpult fragte Kaeser damals: "Wie wäre es, wenn man statt Jude vielleicht Joe singen würde?" Die Manager feixten. "Take a sad song and make it better", zitierte Kaeser den Liedtext, den er auch auf seinen Konzern anwenden wolle. Siemens besser machen.

Zum ersten Mal können die Mitarbeiter die Ansprache ihres Chefs im Intranet verfolgen

In diesem Jahr können alle 360 000 Mitarbeiter ihrem Chef zuhören. Seine Rede, die er am Mittwochabend hielt, ist im Intranet abrufbar. "Guten Morgen, guten Tag, guten Abend, Siemens", sagt Kaeser im Video. Das Siemens-Reich ist schließlich groß. Er trägt Anzug und Hemd, auf eine Krawatte hat er verzichtet. Wie eine dicke, rote Kordel zieht sich das Thema Unternehmerverantwortung durch seine Rede. "Agiert stets so, als sei das Euer Unternehmen", ruft Kaeser den Managern und den Mitarbeitern zu.

Vor einem Jahr ließ Kaeser seine Leute auf einem überdimensionalen Fußball unterschreiben. "Das war erfolgreich", sagt er nun. Deutschland wurde Weltmeister. "Paulo", fährt er fort, "es tut mir wirklich leid wegen des 7:1." Gemeint ist das Halbfinale zwischen Deutschland und Brasilien, und Paulo, das ist sein Statthalter: Paulo Ricardo Stark, der im Publikum sitzt.

Ziel sei es, sagt Kaeser, "unser Siemens jetzt zu einem Weltmeister zu machen!" Am Ende kann jeder der Teilnehmer ein Foto von sich knipsen lassen, sie sind dann auf Bildschirmen überall im Hotel zu sehen.

Kaeser ist es gelungen, eine Machtfülle zu erlangen, die sein Vorgänger nie hatte

Das mag etwas schwülstig wirken, Kaeser ist manchmal so. Doch eins muss er sich nicht vorwerfen lassen, in den 14 Monaten im Amt hat er viel Wirbel gemacht. Er hat den halben Vorstand ausgetauscht. Brigitte Ederer und Peter Solmssen, die Vertrauten seines Vorgängers Peter Löscher, haben den Konzern verlassen. Im Mai löste Kaeser den selbstbewussten Energievorstand Michael Süß ab und ließ Arbeitsdirektor Klaus Helmrich den Job mit Industrie-Chef Siegfried Russwurm tauschen.

Kaesers erstaunliche Machtfülle

War der Vorstand zuvor noch mit etlichen Schwergewichten bestückt, die sich selbst für den besten Siemens-Chef hielten, so ist es Kaeser gelungen, eine Machtfülle zu erlangen, die sein Vorgänger nie hatte und die es ihm erlaubt, rasche Entscheidungen zu fällen. Innerhalb weniger Tage stieg Siemens etwa in den Kampf um den angeschlagenen französischen Industriekonzern Alstom ein - früher undenkbar.

Auch eine völlige Neuorganisation brachte Kaeser auf den Weg. Bis Ende September waren die Siemens-Geschäfte noch auf vier Sektoren aufgeteilt, allesamt umsatzstark genug, um jeder für sich im Dax notiert zu sein. Diese Struktur hat Kaeser aufgebrochen. Der Umbau ist nun seit gut einer Woche vollzogen.

Manche Zeitungen schrieben vor der Veranstaltung, dass sich aufgrund des Umbaus überall im Konzern Frust ausgebreitet habe. Davon ist zumindest in Berlin nur wenig auszumachen. "Den Umbau, den Herr Kaeser angestoßen hat, halte ich für sinnvoll, wenn unnötige bürokratische Prozesse abgebaut werden", sagt auch die Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn, die ebenfalls an der Management-Tagung teilnimmt. "Dies darf aber nicht zu Lasten der Arbeitnehmer bei Siemens gehen", fordert sie.

Die Manager in Berlin sind derweil gespannt, was die neuen Führungskräfte zu sagen haben - vor allem Lisa Davis. Seit zwei Monaten leitet sie das Energie-Geschäft - von Houston aus. Als sie im Mai vom Ölkonzern Shell abgeworben wurde, hatten nicht mal Fachleute ihren Namen auf dem Zettel.

Am Donnerstag, dem zweiten Tag des Treffens, referiert sie über die neue Energie-Strategie des Konzerns, diesmal sind die Manager unter sich. Als die zierliche Amerikanerin auf die Bühne steigt, wirkt sie fast ein wenig zerbrechlich, erzählen Teilnehmer. Besonders deutlich wird das, wenn sie neben dem groß gewachsenen Infrastruktur-Vorstand Roland Busch oder dem bulligen Arbeitsdirektor Russwurm steht. Sie spricht über kleine Gasturbinen und das Ölgeschäft in den Vereinigten Staaten, in das Siemens nun einsteigt. Das gefällt den Managern im Interconti, sie klatschen.

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