Führungskräfte:Mentor statt Auftragsverteiler

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„Take a seat“: Chefs sollen sich ein, zwei Tage pro Woche als Teammitglied unter ihre Leute mischen.

(Foto: imago/photothek)

Neue Arbeitskonzepte mit flachen Hierarchien und hoher Transparenz verändern die Rolle von Führungskräften.

Von Marcel Grzanna

Die Berufswelt verändert sich und mit ihr die Rolle der Führungskräfte. Wer New Work predigt und damit das sogenannte neue Arbeiten meint, der muss New Work auch leben. Flache Hierarchien und hohe Transparenz, zwei ausgeprägte Merkmale von New Work, verlangen den Mitarbeitern der Führungsebene jetzt persönliche Qualitäten ab, die früher weniger gefragt waren.

Denn zunehmend werden Einwände, Widersprüche und Anregungen von jedem Mitarbeiter erbeten und erwünscht, auch von Auszubildenden und Praktikanten. Wer eine gute Idee hat, möge sie beisteuern. Eine offene Kommunikationskultur fördert die Teilhabe und Gestaltungskraft jedes Mitarbeiters. Doch wer als Manager mit meinungsfreudigen Jungspunden nicht umgehen kann, weil er seine Autorität als Vorgesetzter herausgefordert sieht, passt zunehmend weniger in solche Konzepte.

Selbst die kommunikative Rolle als Bindeglied zwischen Geschäftsführung und Projektebene verändert sich für die Team- oder Abteilungsleiter, weil der Trend zur Gestaltung von Büroräumen mit zahlreichen informellen Begegnungspunkten einen direkten Austausch zwischen ganz oben und ganz unten ermöglicht. Die Filterfunktion des leitenden Angestellten wird reduziert, weil Geschäftsführer und Auszubildende sich regelmäßig beim Kaffee oder am Kicker treffen.

Doch was bleibt dann eigentlich noch übrig von Profil? Droht etwa die Gefahr, dass sich Führungskräfte degradiert fühlen müssen, oder schlimmer noch, dass sie bald überflüssig werden, weil jeder dem Chef gleichermaßen seine Ideen und Beschwerden vortragen kann und der Chef jede Chance zum Delegieren und Organisieren nutzt?

"Nein", sagt Jörg Brückner, Inhaber der Werbeagentur Pluspol Interactive. "Weil es auch formelle Formate explizit für die Führungsmannschaft gibt. Wir stimmen uns morgens kurz ab. Da bringen dann alle ihre Eindrücke aus den informellen Gesprächen ein, und wir setzen die dann zu einem Gesamtbild zusammen." Erst so werden die informell gewonnenen Informationen wirklich wertvoll für die Firma, und das Jobprofil der Führungskraft verwandelt sich vom reinen Auftragsverteiler hin zu einem Mentor mit Talent zur effizienten Koordination. "Führungskräfte werden bei uns vor allem als eine Art Coach wahrgenommen, die ein Problem mit mir auflösen können oder von denen ich etwas lernen kann", sagt Brückner.

Sehr beliebt ist deshalb das Prinzip des "Take a seat", in dem sich die Führungskräfte je nach Bedarf einen, zwei oder mehr Tage in der Woche als reines Teammitglied verstehen und sich im Büro entsprechend unter ihre Leute mischen. "Mehr pull, weniger push", sagt Brückner. Also die Taktik, aus geringerer Distanz eine höhere Anziehungskraft des Vorgesetzten auf die übrigen Mitarbeiter zu erwirken. Wem der Chef gegenüber sitzt, der fragt auch mehr.

Eine Firma kann gleich mehrfach von dieser Strategie profitieren. Einerseits können sich neue Mitarbeiter schnell mehr Kompetenz aneignen. Andererseits aber werden auch mögliche Schwächen von Führungskräften offenbart, die dann behoben werden können. Wer seiner Rolle als Coach nicht gerecht wird, weil ihm die Kompetenz fehlt, kann wegen des wachsenden informellen Austauschs zwischen allen Ebenen seine Defizite schlechter verbergen. Vermeintliche Experten wie die Hauptfigur der gleichnamigen Fernsehserie Stromberg können schneller durchschaut werden, wenn ihre Führungsqualitäten sich überwiegend aus Wegducken und Taktieren bestehen.

"Eine Führungskraft erledigt nicht einfach die gleiche Arbeit wie die Mitarbeiter, nur besser und mit mehr Erfahrung. Sie gestaltet die Rahmenbedingungen, setzt Ziele und Strategien, stellt das Team zusammen oder verändert es und plant Arbeitsabläufe und Prozesse. Nichts davon ist einfach, und der Sog der Alltagsprobleme jedes Unternehmens lenkt pausenlos davon ab", sagt der Führungskräftecoach Attila Albert aus Zürich. Deswegen sei es wichtig, dass verantwortliche Mitarbeiter "unbedingten Gestaltungswillen" in die Erfüllung ihrer Aufgabe einbringen. Nur so könnten sich die Dinge tatsächlich verbessern.

Für Familienunternehmen gelten die gleichen Kriterien. Wer sonst außer Tochter, Tante, Onkel oder Schwager sollte diesen unbedingten Gestaltungswillen einbringen in die Firma, ist man geneigt zu vermuten. Doch Mitglieder der Eigentümerfamilie in verantwortlichen Positionen des Unternehmens bringen auch Herausforderungen mit sich, die bei Fremdbesetzungen eher kein Problem darstellen. "Es ist eine gewisse Tendenz zum Mikro-Management erkennbar, das Ignorieren von Strukturen und damit das Untergraben der Autorität von Mitarbeitern und vielfach auch Selbstüberschätzung. Mancher geschäftsführende Gesellschafter meint, er ist gleichzeitig der beste HR-Experte, Produktmanager, Stratege, Layouter und Texter für das Marketingmaterial", sagt Attila Albert.

"Wenn sich zu viel Macht in einer Person vereint, steigt das Risiko von Fehlentscheidungen."

Für die Chefetage bedeutet das, auch die eigenen Familienmitglieder genau unter die Lupe nehmen zu müssen, um sicher zu gehen, die richtige Wahl getroffen zu haben. Eine solche Beurteilung ist nicht leicht, wenn familiäre Bindungen im Spiel sind. Deshalb gilt: möglichst wenige Meinungen, möglichst viele Fakten. Eine sichere Grundlage für die Beurteilung der Arbeitsleistung sind nackte Zahlen. Leistungsbeiträge, Krankenstand, Fluktuation, historisch und im Vergleich zu anderen Teams, verschaffen eine nüchterne Perspektive für den Entscheider. Beliebt sind 360-Grad-Feedbacks. Sie klammern persönliche Sympathien oder Abneigungen weitgehend aus und machen Entscheidungen für alle nachvollziehbarer, indem sie anonyme Beurteilungen von Mitarbeitern, Vorgesetzten oder auch Kunden einbeziehen. 360-Grad-Feedbacks haben sich als wertvolles Instrument für die objektive Einschätzung von Leistungen von Fach- und Führungskräften etabliert.

Manch ein Familienunternehmen ist schon deshalb gescheitert, weil ein internes Korrektiv fehlte. "Wenn sich zu viel Macht in einer Person vereint, dann steigt das Risiko von Fehlentscheidungen", sagt Führungskräftecoach Albert. Wer sich dessen nicht bewusst ist, der läuft Gefahr, beratungsresistent zu werden. Dabei ist es oft der Fall, dass die Kenntnisse von Topmanagern in Fachfragen geringer sind als die jener Mitarbeiter, die sich täglich mit einem Teilaspekt der Arbeit befassen. Bei Pluspol Interactive in Leipzig hat Unternehmensgründer Brückner seine Chefrolle entsprechend definiert. "Für uns als Geschäftsführung geht es vor allem darum, das große Bild im Auge zu behalten."

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