Süddeutsche Zeitung

SZ-Wirtschaftsgipfel:Ausgerechnet Merz fordert "Fairness" im Umgang mit Scholz

Noch am Vortag hatte der CDU-Chef den Kanzler harsch kritisiert. Nun gibt er sich fast schon zahm - und begnügt sich damit, den Keil zwischen Habeck und Lindner ein Stückchen weiter hineinzutreiben.

Von Boris Herrmann, Berlin

Im Deutschen Bundestag ging es unter der Woche besonders frostig zu. Die gefühlte Temperatur soll deutlich unter den vorgeschriebenen 19 Grad Celsius gelegen haben. Es war von Abgeordneten zu hören, die sich deshalb um Heizdecken und Heizstrahler für ihre Büros bemühten. Das alles hatte aber offenbar nichts zu tun mit jener angeblich "ideologisierten Energieversorgung", derer der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz am Mittwoch in der Generaldebatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bezichtigte. Dem Vernehmen nach gab es schlichtweg ein Problem mit der Heizungsanlage im Parlament.

Am Donnerstagvormittag im Berliner Hotel Adlon musste Merz nicht frieren. Aber um die klimatischen Bedingungen ging es - in einem größeren Kontext - auch bei seinem Auftritt beim SZ-Wirtschaftsgipfel. Der CDU-Vorsitzende widmete sich in seiner Rede der Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik, das alles muss aus seiner Sicht noch einheitlicher als bisher gedacht werden. Denn es gibt, neben der Rettung der Welt, noch ein anderes Ziel, dem er sich mit höchster Dringlichkeit widmen will: "Die Bundesrepublik Deutschland muss ein Land produzierender Industrie bleiben", sagte Merz

In seinem Vortrag ging er der Frage nach, wie der häufig aufgeworfene Widerspruch zwischen den Notwendigkeiten des Klimaschutzes und den Bedürfnissen des Industriestandortes Deutschland aufgelöst werden könne. Und Merz wäre nicht Merz, wenn er nicht auch einen Antwortvorschlag ins Adlon mitgebracht hätte. "Ich bin der Überzeugung, dass wir mit reinen Vermeidungsstrategien das Klimaproblem nicht lösen", sagte er.

Auch mit Verweis auf die aus seiner Sicht gescheiterte Weltklimakonferenz in Ägypten hob Merz dabei die Bedeutung von Innovationen und Technologien hervor. Diese seien unabdingbar, um dem Klimawandel zu begegnen. Deutschland müsse deshalb seine Forschung in Produkte ausweiten, die emittiertes CO₂ verarbeiteten. Konkret nannte Merz die sogenannte "Sequestration", also Technologien, die Kohlenstoff binden und so der Atmosphäre entziehen. Die Überzeugung, dass die weltweiten Klimaziele allein mit dem Versuch, den CO₂-Ausstoß zu begrenzen, nicht mehr zu halten sind, ist bei Merz schon vor dem mageren Ergebnis vom Scharm el-Scheich gereift.

Selbstverständlich hat diese Sichtweise auch eine parteipolitisch geprägte Note, das räumt Merz sogar ein. Sein Vorschlag passt schließlich ganz gut zum dem Credo von CDU und CSU, dass es bei der Energieversorgung in Deutschland "keine Denkverbote" geben dürfe. Als Merz darauf zu sprechen kam, dass der Blick bei der Suche nach klimaschonenden Energieträgern auf 360 Grad geöffnet werden müsse, da war es nur noch eine Frage der Zeit bis zu seiner Forderung, dass die weitere Nutzung der Atomkraft "vorurteilsfrei diskutiert" werden müsse - auch über den jüngst beschlossenen Weiterbetrieb der bestehenden Meiler bis April hinaus. Aus Sicht der Union ist die Atomkraft eben nicht in erster Linie eine hochgefährliche, sondern eine klimaschonende Technologie. Und alle, die es anders sehen, haben aus Sicht von Merz einen ideologisch geprägten Blickwinkel.

Friedrich Merz ist nicht entgangen, dass sowohl Wirtschaftsminister Habeck als auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Vortag auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel über die umstrittene Fracking-Technik gesprochen hatten und dass es da offenbar unterschiedliche Ansichten zwischen dem grünen und dem liberalen Minister gibt. Er wolle das jetzt nicht weiter vertiefen, ließ Merz leicht gönnerhaft wissen. Dennoch ließ er keinen Zweifel daran, dass er hier aufseiten der FDP-Chefs steht, der sich am Mittwoch offen für die Förderung von heimischem Schiefergas mittels Fracking gezeigte hatte. Wo ein Keil zwischen Habeck und Lindner steckt, lässt sich einer wie Merz die Gelegenheit nicht entgehen, ihn zumindest ein klitzekleines Stückchen weiter hineinzutreiben.

Seine scharfen Angriffe gegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dem er am Mittwoch im Bundestag unter anderem einen "groben Wortbruch" gegenüber dem Parlament vorgehalten hatte, wollte Merz im Adlon explizit nicht weiter eskalieren. Er nutzte sogar die Gelegenheit, um für etwa mehr "Fairness" im Umgang mit der Regierung Scholz zu werben. Diese sei seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar schließlich mit ganz anderen Dingen konfrontiert, als sie sich vorgenommen habe. "Es wäre eigentlich richtig gewesen, den Koalitionsvertrag jetzt mal auf die Seite zu legen und die Prioritäten neu zu ordnen", sagt Merz über Scholz.

Das zeitweise höchst angespannte Verhältnis zwischen dem Kanzler und dem Oppositionsführer soll sich inzwischen wieder ein wenig verbessert haben. Friedrich Merz hat da gute Vergleichswerte. Als er zu Beginn des Jahrtausends unter der Regierung von Gerhard Schröder schon einmal die Opposition anführte, ereigneten sich die Anschläge vom 11. September. Und auch damals war angesichts der dramatischen Weltlage eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition gefragt. "Es ist damals personenbedingt mit Schröder etwas einfacher gewesen, aber es funktioniert inzwischen auch mit Scholz gut", sagt Merz nun. Am Mittwoch im heizungsbedingt unterkühlten Bundestag haben sich die beiden sogar die Hand gegeben.

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