Süddeutsche Zeitung

Frickes Welt:Deutschlands Einweg-Boom

Noch gilt, dass uns der Export aus Krisen rettet. Noch kommt gern die Empfehlung an andere, es doch so zu machen wie wir. Aber der Exportanstieg lässt sich nicht einfach wiederholen. Für niemanden.

Von Thomas Fricke

Noch scheint der Rausch nachzuwirken. Noch gilt, dass uns der Export aus Krisen rettet. Und noch kommt aus Deutschland gern die Empfehlung an alle Kriselnden der Welt, es doch so zu machen wie wir. Exportiert! Schon läuft's wieder.

Richtig daran ist, dass Deutschlands Export allein von 2003 bis 2008 um noch einmal die Hälfte gewachsen ist - gigantisch. Und dass uns das unzweifelhaft aus der Stagnation geholfen hat. Die Frage ist, ob sich das wiederholen lässt, geschweige denn kopieren. Die ganz großen Zuwächse im Export bleiben immerhin schon seit ein paar Jahren aus - obwohl unsere Unternehmen nach Bundesbank-Diagnose preislich so wettbewerbsfähig sind wie nie. Fast unbemerkt. Eine Zeitenwende.

Mit zunehmendem Abstand drängt sich der Verdacht gerade auf, dass unser Exportboom nur bedingt mit, sagen wir, der Agenda 2010 zu tun hatte - das rasante Wachstum begann Mitte der Neunzigerjahre, lange vor dem Gerd mit seinen Reformen (siehe Grafik). Umso mehr damit, dass Chinesen und andere zu dieser Zeit rasant zu wachsen begannen. Und dass sie zum Aufholen vor allem Maschinen und Anlagen brauchten, seit jeher Spezialität der Deutschen. Dazu kam Mitte der 2000er-Jahre die Ausgabenfreude von Amerikanern, Briten, Spaniern und Iren, die einiges an Schulden machten, um wie irre Häuser zu kaufen, ebenso wie Autos und Maschinen: noch mehr German Export.

Von 2003 bis 2008 schnellte die Importnachfrage auf unseren typischen Absatzmärkten um jährlich acht Prozent hoch. Irre. Das heißt: Selbst wenn Deutschlands Exporteure keine Kosten gekürzt und keinen Marktanteil gewonnen hätten, wären unsere Verkäufe um fast 50 Prozent gestiegen. Paradiesische Zustände. Zwischen 1995 und 2008 hat sich unser Absatz weltweit de facto verdoppelt.

Die Tücke ist: Seit der Finanzkrise ist die Welt eine andere. Die Schuldenblase ist geplatzt. Jetzt kürzen und kriseln andere. Aus der Euro-Zone werden heute real 40 Prozent weniger deutsche Investitionsgüter bestellt als 2008. Und die Chinesen setzen seit ein paar Jahren verstärkt auf lokale Produktion, viele Importe stagnieren. Mit steigendem Wohlstand fragen sie zudem mehr nach schicken Konsum- und Luxusgütern (was nicht so unser Ding ist) - und weniger nach schnöden deutschen Maschinen. Im Jahr 2011 lagen unsere Exporte nach China drei Mal so hoch wie 2005. Seitdem haben sie um gerade knapp 15 Prozent zugelegt. Ähnliches gilt für unsere Verkäufe global. Da wirkt selbst der billigere Euro keine Wunder. Das Ifo-Institut meldet: Die Exportaussichten haben sich im Mai erneut verschlechtert. Globalisierung kaputt.

Das heißt nicht, dass die Exporte nicht mehr steigen. Es spricht nur viel dafür, dass das, was von 1995 bis 2007 passiert ist, ein Sonder-Boom war, der nie wiederkommt. Wenn das stimmt, hat es etwas höchst Fahrlässiges, so zu tun, als könnten Spanier oder Franzosen unser Rezept kopieren. Das wird in einer Zeit nicht klappen, in der weltweit der Handel in drei Jahren (nur noch) so stark steigt, wie zur Märchenzeit gelegentlich in einem einzelnen Jahr - und alle versuchen, Schulden abzubauen, statt neue zu machen.

Ebenso fahrlässig wäre, sich darauf zu verlassen, dass es der Export bei der nächsten Krise wieder richtet. Das könnte ungesellig enden. Stattdessen müsste Deutschland wieder stärker auf solide Nachfrage im eigenen Land bauen. Und das ganz im eigenen Interesse, und nicht, weil Amerikaner und andere auf G-7-Gipfeln über unseren Exportüberschuss schimpfen. An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Thomas Fricke und Nikolaus Piper im Wechsel.

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Der Autor bloggt unter neuewirtschaftswunder.de.

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SZ vom 29.05.2015
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