Die Hoffnung währte nur wenige Tage, und jetzt ist wieder Stillstand. Ende November hatte der Europäische Rat einen Kompromiss erreicht, die Steuerreform für Unternehmen in der EU sollte beschlossen werden, die nötige Mehrheit hatte sich abgezeichnet. Der Richtlinien-Entwurf sollte es Unternehmen erschweren, ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verschieben und ihre Steuerlast künstlich kleinzurechnen. Firmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro, so der Plan, sollten künftig veröffentlichen, wie viel Umsatz und Gewinn sie in einzelnen Ländern erwirtschaften und wie viel Steuern sie dort zahlen.
Aus der erhofften knappen Mehrheit aber wurde wieder nichts. Das lag einmal mehr auch an der Uneinigkeit in der Bundesregierung: Bundesfinanzminister Olaf Scholz befürwortet die neuen Transparenzpflichten mittlerweile. Aber das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium blockiert - zu groß ist der Widerstand deutscher Mittelständler, die von einem Steuerpranger sprechen und Wettbewerbsnachteile befürchten, wenn sie zu viel offenlegen müssen. Deutschland enthielt sich der Stimme, was bei Ratsentscheidungen wie ein Nein gewertet wird.
So bleibt ungewiss, ob die Bürger bald mehr erfahren über die Steuertricks von Konzernen. Tricks, wie sie etwa der Gesundheitskonzern Fresenius laut einer noch nicht veröffentlichen Fallstudie des Netzwerks Steuergerechtigkeit anwendet. "Ungesunde Geschäftspraktiken" ist die Studie überschrieben - und sie zeigt, dass es mitnichten nur US-Digitalkonzerne sind, die ihre Gewinne in Niedrigsteuerstaaten verschieben. Der Konzern aus Bad Homburg, so der zentrale Vorwurf, nutze klassische Methoden, um seine Steuerlast dort kleinzurechnen, wo die Unternehmenssteuern vergleichsweise hoch sind.
Der Konzern hat Zweigstellen in fast allen bekannten Steueroasen, etwa in der Karibik
Etwa in Deutschland. Von hier aus steuert Fresenius seine weltweiten Geschäfte. Dazu gehören unter anderem der Vertrieb von Dialysegeräten, der Betrieb von Kliniken und der Handel mit Medizinprodukten. Das Geschäft von Fresenius hängt vielfach von öffentlich finanzierten Gesundheitssystemen ab, deshalb haben die Verfasser der Studie das Unternehmen auch als Beispiel genommen. Der Report ist entstanden in Zusammenarbeit mit dem Centre for International Corporate Tax Accountability and Research (CICTAR) und den europäischen und globalen Dienstleistungsgewerkschaftsbünden (EPSU und PSI).
In der Bundesrepublik beschäftigt der Konzern zwar 32 Prozent seiner Mitarbeiter und erwirtschaftet mehr als ein Fünftel des weltweiten Umsatzes. Während der Dax-Konzern auf globaler Ebene hohe Gewinnmargen ausweist, ist die Profitabilität in Deutschland - bei einem Steuersatz von 30 Prozent - allerdings um die Hälfte geringer. In Indien, wo der Steuersatz 35 Prozent beträgt, steht für die dort tätige Konzerntochter seit Jahren ein Verlust. In Australien, bei einem Steuersatz von 30 Prozent, hat Fresenius Kabi seit drei Jahren keine zu versteuernden Gewinne erzielt. Dazu passt, dass Fresenius in fast allen bekannten Steueroasen vertreten ist, mit Niederlassungen unter anderem auf den Cayman Islands und den Britischen Jungferninseln, in Hongkong, im US-Bundesstaat Delaware, in Singapur und Panama.
Die klassischen Mittel der Wahl, um die Steuerlast in Hochsteuerstaaten zu drücken, kommen der Studie zufolge auch bei Fresenius zum Einsatz, etwa firmeninterne Kredite. So haben die irischen Fresenius-Töchter im Jahr 2017 allein durch die Vergabe von Krediten an Konzerngesellschaften in Spanien und den USA einen Gewinn von 47 Millionen Euro erzielt - rein virtuell, ohne Mitarbeiter. Etwa 2000 Tochterfirmen listete Fresenius noch 2014 auf, bevor der Konzern die Veröffentlichung dieser Liste einstellte. Da ist ein so deutliches globales Missverhältnis keine Überraschung. Das Unternehmen weist seine Gewinne überproportional dort aus, wo die Unternehmenssteuern niedrig sind. Mit der Folge, dass der globale Steuersatz deutlich unter dem liegt, was Fresenius in seinen wichtigsten Märkten an Steuern zahlen müsste. Zwar hat der Konzern im Jahr 2018 in Deutschland eine effektive Steuerquote von 32,1 Prozent erzielt, allerdings auch auffallend wenige zu versteuernde Gewinne.
Experten zufolge ist ein solches Bild typisch für Konzerne, die Steuern sparen wollen. "Diese Fallstudie zeigt, dass Gewinnverlagerungen und Verrechnungspreise nicht nur den US-amerikanischen Technologiegiganten vorbehalten sind, sondern von den meisten multinationalen Unternehmen, einschließlich großer deutscher multinationaler Unternehmen wie Fresenius, überall genutzt werden", sagt Gabriel Zucman, Wirtschaftsprofessor an der Universität Berkeley.
Fresenius betont, Gewinne dort zu versteuern, wo sie "operativ entstehen"
Fresenius erklärt das anders. Der Konzern teilte mit, für Gewinne dort Steuern zu zahlen, wo die Gewinne auch operativ entstünden. "Wenn wir uns für eine Präsenz vor Ort entscheiden, dann primär um dort unsere Produkte und Dienstleistungen anzubieten, Produkte herzustellen, Forschung und Entwicklung zu betreiben, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen oder eine effiziente Finanzierung sicherzustellen", schrieb ein Sprecher. Steuerliche Erwägungen spielen demnach eine untergeordnete Rolle. Man sehe sich aber in der Pflicht, Kapital möglichst effizient einzusetzen.
Dazu gehöre, "dass Strukturen steuerlich möglichst optimal gewählt werden müssen, wenigstens aber nicht nachteilig sein sollten - selbstverständlich stets im Rahmen von Recht und Gesetz". Die Bedeutung des Standortes Deutschland lasse sich nicht mit dem Anteil der hier verbuchten Gewinne vergleichen. Steuereffekte aus konzerninternen Darlehen seien außerdem gering. Mit Blick auf politische Reformen und die Diskussionen auf Ebene der OECD teilte Fresenius mit, alle Initiativen zu begrüßen, "die zu mehr Transparenz und Gleichbehandlung in der internationalen Besteuerung" führten.
Während die Mehrheiten auf EU-Ebene weiter unklar sind, tut sich etwas auf nationalem Level. Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundeskanzleramt unterstützen die vor allem seitens der CSU erhobene Forderung nach Steuererleichterungen für Unternehmen. "Entlastung wäre das richtige Signal", befand Kanzleramtsminister Helge Braun kürzlich in einem Interview. Ob das genügend Anreize schaffen kann, damit Steuervermeidung für Konzerne weniger attraktiv wird?