Süddeutsche Zeitung

Fresenius:Ende der Geduld

Zu viele verfehlte Prognosen, ein schlechter Aktienkurs. Nun zieht der Aufsichtsrat des Fresenius-Konzerns Konsequenzen. Vorstandschef Stephan Sturm geht, Nachfolger wird Michael Sen.

Von Elisabeth Dostert

Am Ende hatten es die Aufsichtsräte von Fresenius ziemlich eilig. So eilig, dass sie sich am Freitag zu einer außerordentlichen Sitzung trafen. Das Ergebnis: Vorstandschef Stephan Sturm, 59, verlässt Ende September den Konzern. Seine Nachfolge übernimmt Anfang Oktober der ehemalige Siemens-Manager Michael Sen, 53. Er führt seit April 2021 den Unternehmensbereich Fresenius Kabi und wird das kommissarisch weiter tun, bis die Nachfolge dort geregelt ist.

Wie es aus unternehmensnahen Kreisen heißt, wuchs in den vergangenen Monaten im Aufsichtsrat der Fresenius Management SE die Kritik an Sturm. Nun sind sie dort mit ihrer Geduld am Ende. Dabei hatte der Aufsichtsrat der Fresenius Management SE im Herbst 2020 Sturms Vertrag Monate vor dem Ende der Laufzeit im Sommer 2021 um fünf Jahre verlängert. Nun, das zeigen die Personalien, hat er in dem wichtigen Gremium jeden Rückhalt verloren. Das Votum für Sen fiel laut Mitteilung einstimmig aus. Die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung kontrolliert die Fresenius Management SE, sie wiederum ist Komplementärin der börsennotierten Fresenius SE & Co KGaA und mit knapp 27 Prozent auch deren größter Einzelaktionär.

Die Aufsichtsräte, so heißt es, haderten mit der "Prognosequalität" von Sturm. Immer wieder erwiesen sich seine Einschätzungen als zu optimistisch. Es gab Gewinnwarnungen. Das mögen Investoren nicht. Ende Juli bei Bekanntgabe der Zahlen für das erste Halbjahr kassierten sowohl Fresenius als auch die Dialyse-Tochter Fresenius Medical Care (FMC) ihre kurz- und mittelfristigen Ziele. Im ersten Halbjahr 2022 konnte Fresenius zwar den Umsatz um acht Prozent auf 19,7 Milliarden Euro steigern, aber das operative Ergebnis fiel um 14 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro. FMC, am Umsatz gemessen der größte Unternehmensbereich, leidet unter dem heftigen Personalmangel in den USA und beeinträchtigten Lieferketten.

Nach der doppelten Gewinnwarnung Ende Juli brachen die Aktien beider Konzerne ein, beide sind im Leitindex Dax notiert. Fresenius hält rund ein Drittel des Kapitals der FMC. Am Freitag lag der Aktienkurs von Fresenius bei gut 24 Euro. Bei Sturms Amtsantritt im Sommer 2016 kostete das Papier noch gut 66 Euro. Im seinem ersten Jahr als Vorstandschef kletterte die Aktie bis auf fast 80 Euro. Von solchen Kursen ist Fresenius weit entfernt. Auch deshalb forderten einige Investoren und Analysten in den vergangenen Wochen die Zerschlagung des Konzerns. Der Konzern sei an der Börse deutlich niedriger bewertet als die Summe der Einzelteile, sagt Sturm noch bei der Bilanzpressekonferenz im Februar. Aber er möge die Struktur mit den vier Bereichen FMC, Vamed, Helios und Kabi, weil es Synergien gebe, etwa bei der Finanzierung. Sturm sagte aber auch, dass es hinsichtlich der Struktur keine Tabus gebe.

Der Bereich Kabi stellt Biosimilars (also Nachahmerpräparate von Biopharmazeutika), Infusionen und Sondennahrung her. Helios betreibt Kliniken, medizinische Versorgungszentren und Arztpraxen. Vamed plant und errichtet Kliniken und betreibt Pflege- und Reha-Einrichtungen.

Mit jeder verfehlten Prognose, mit jedem Kurseinbruch, ist der Druck auf Sturm gestiegen. "Dass Michael Sen Stephan Sturm irgendwann ablösen würde, zeichnete sich schon mit dessen Bestellung zum Kabi-Chef ab. Die Frage war bloß wann", sagt Sébastien Buch, Fondsmanager bei Union Investment, einer der großen deutschen Fondsgesellschaften. Nur, dass es so schnell gehen würde, hätte auch Buch nicht erwartet. Es gebe nicht "den einen großen Fehler", den Sturm gemacht habe, sagt Buch der SZ: "Im Laufe der Jahre hat ihn die Fortune verlassen."

Als Sturm im Juli 2016 den Chefposten von Ulf Schneider übernahm, neigten sich die Zeiten der großen Deals und des fulminanten Wachstums schon dem Ende zu. Der Investmentbanker Sturm war 2005 als Finanzvorstand zu Fresenius gekommen. Schon die erste Übernahme, die er als Vorstandschef anzettelte, ging schief: der milliardenschwere Kauf des US-Medikamentenherstellers Akorn. Dieser hatte seine Zahlen geschönt, ein US-Gericht entschied, dass der Kauf rückabgewickelt werden darf. "Da hat Sturm die Situation mit Bravour gerettet", sagt Buch. Es habe in den vergangenen Jahren viele äußere Faktoren gegeben, die das Geschäft belasteten: die Corona-Pandemie, der Personalmangel. "War ein Problem gelöst, tauchten zwei neue auf", sagt Buch. Zuletzt habe der Kapitalmarkt geradezu nach einem Chefwechsel "gedürstet", sagt Buch: "Der Kapitalmarkt war des Namens Stephan Sturm überdrüssig."

"Der Chefwechsel war überfällig", sagt Ingo Speich, Fondsmanager bei Deka Investment. Die jüngsten Gewinnwarnungen seien nur die Tropfen gewesen, die das Fass zum Überlaufen brachten. "Der Aktienkurs befindet sich auf einem Zehn-Jahrestief", sagt Speich: "Sturm hat viel angekündigt und zu wenig geliefert." Am Kapitalmarkt sei das Vertrauen in ihn zuletzt nur noch sehr gering gewesen.

Nun muss Michael Sen ran, gemeinsam mit Carla Kriwet, 51, die Anfang Oktober, drei Monate früher als ursprünglich vorgesehen, ihr Amt als Vorstandschefin von FMC antritt als Nachfolgerin von Rice Powell. Auch Sen hat keinen "Zaubertrank, er kann und wird nicht alle Probleme gleich und auf einmal lösen", sagt Buch. Sen eilt ein Ruf voraus. Bei Eon und bei Siemens hat er gezeigt, wie man Unternehmensteile hübsch macht und an die Börse bringt. Er wurde sogar als Nachfolger von Siemens-Chef Joe Kaeser gehandelt, das wurde ein anderer. Nun ist Sen endlich Vorstandschef eines Dax-Konzern. Er habe am Kapitalmarkt eine gute Reputation, sagt Deka-Experte Ingo Speich. Er sieht einige große Baustellen bei Fresenius.

"Fresenius muss neu aufgestellt und entflechtet werden", sagt Speich. Die Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien, kurz KGaA, sei zu intransparent und für den Kapitalmarkt schwer zu verstehen. Sen müsse die Prognosequalität verbessern und eine Strategie für den Konzern entwickeln. Speich hält nichts von einer Zerschlagung, aber Sen müsse die Strukturen anpacken. Union-Investment-Experte Buch hält eine Zerschlagung von Fresenius zum jetzigen Zeitpunkt für unklug, "erst müssten vor allem die Probleme bei FMC gelöst werden." Vor Sen und Kriwet liegt viel Arbeit.

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