Süddeutsche Zeitung

Freihandelsabkommen TTIP:"Wozu brauchen wir das alles? Uns geht es doch gut"

Im Januar startete Elisabeth Pertl eine Online-Petition gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Jetzt wird der Antrag der 21-Jährigen im Bundestag diskutiert. Ein Treffen mit einer jungen Frau, die ganz anders ist als andere Aktivisten.

Von Matthias Kolb

Zunächst konnte Elisabeth Pertl gar nicht glauben, was sie da im Internet las. Die junge Frau hatte eine Petition gegen den Einsatz von Hormonen in Kosmetika unterschrieben, als sie auf einen Text über ein Abkommen namens TTIP stieß. Damals, am 27. Januar 2014, war TTIP quasi unbekannt. Pertl erinnert sich genau, was ihr damals durch den Kopf ging: "Das hört sich furchtbar an und keiner weiß etwas davon. Wie kann ich die Leute aufrütteln?"

Weil sie kein großer Fan von Facebook ist, wird sie dort nicht aktiv. Außerdem passe das soziale Netzwerk mit seinen vielen belanglosen Inhalten nicht zu ihrem wichtigen Anliegen, findet Pertl. Sie wählt also einen anderen Weg, noch am selben Abend stellt sie auf der Website des Bundestags die Petition 48994 ein. Darin heißt es: "Der Deutsche Bundestag möge die Bundesregierung auffordern, sich gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA auszusprechen." In der Begründung nennt sie ein paar ihrer Kritikpunkte: TTIP höhle den Rechtsstaat aus, öffne Privatisierungen Tür und Tor und sei "praktisch unumkehrbar". Zufrieden schaltet Elisabeth Pertl ihren Computer aus und wartet erst mal ab.

An diesem Winterabend beginnt eine besondere Geschichte im deutschen Anti-TTIP-Protest, der Sommer 2014 immer größer geworden ist. Denn Elisabeth Pertl gehört zu keiner der üblichen Aktivistengruppen. Sie kommt aus der Mitte der Gesellschaft und es liegt an ihr, dass sich die Bundestagsabgeordneten nun ein weiteres Mal mit Freihandelsabkommen beschäftigen. Die 21-Jährige könnte ein gutes Symbol werden für jene, die die TTIP-Debatte mit einem ebenso diffusen wie deutlichen Gefühl des Unbehagens verfolgen. Eines betont sie immer wieder: "Ich gehöre keiner Partei oder Gruppe an, sondern bin eine eigenständige Person."

Knapp neun Monate nachdem sie die Eingabe gemacht hat, ist die junge Frau auf dem Weg nach Berlin, denn an diesem Montag diskutiert der zuständige Ausschuss über ihre Petition. Die nötige Zahl von 50 000 Unterschriften wurde weit übertroffen - 68 332 waren es am Ende. Pertl findet es "verrückt", dass nun Journalisten nach ihr fragen. Sie sucht nicht das Rampenlicht, aber sie will TTIP stoppen. Denn so sehr sich die EU-Kommission und die große Koalition angeblich um Transparenz bemühen, die Skepsis von Elisabeth Pertl bleibt. Ihre Biografie ist typisch für viele TTIP-Kritiker: Elisabeth war noch nie auf einer Demo und gehört keiner Partei an. Aber das Freihandelsabkommen mit Amerika, das lässt ihr keine Ruhe.

Gegen den Trend zu mehr Profitgier und Globalisierung

Aufgewachsen ist sie dort, wo Bayern aussieht wie im Werbeprospekt: im Chiemgau, in einem Dorf mit 500 Einwohnern. Ihre Eltern hätten einen Naturlandhof, die Alm liege im Naturschutzgebiet, erzählt sie. "Von TTIP würden vor allem die großen Firmen profitieren, und der Druck auf die kleinen Bauern ist schon groß genug. Viel Saatgut ist heute schon hochgezüchtet", sagt sie. Abkommen wie TTIP oder der Ceta-Vertrag mit Kanada beschleunigten den Trend zu mehr Profitgier und noch mehr Globalisierung, sagt Pertl. Die Zulassung von Genmais in der EU sei doch auch beschlossen worden, obwohl die große Mehrheit der Bürger dies ablehnt. "Wozu brauchen wir all das? Uns geht es doch gut genug und die Leute sollen lieber regionale Produkte kaufen."

Das Gespräch findet in Kuchl statt, einem kleinen Ort nahe Salzburg. Dort sitzen in einer großen Voliere drei schwarze Vögel mit krummen roten Schnäbeln, mit denen Elisabeth Pertl ihren Sommer verbracht hat. Sie gehörte als Freiwillige zum Waldrapp-Team, das die Zugvögel in Europa ansiedeln will. Ihre Augen blitzen, wenn sie über ihre Arbeit spricht: "Der Waldrapp ist vom Aussterben bedroht, weshalb wir in Österreich Jungtiere aufziehen. Am Ende des Sommers fliegen sie zum Brutgebiet in die Toskana - sie folgen ihrer Ziehmutter, die sich in einem Ultraleichtflugzeug befindet."

Drei Monate lang hilft Elisabeth Pertl den Ziehmüttern bei ihrer Arbeit und betreut einen eigenen Brutstandort mit Küken und Jungvögeln. Sie übernachtet in einem Campingwagen, duscht sich mit dem Gartenschlauch und ist glücklich. "Ein Bürojob ist nichts für mich", sagt sie. Das habe sie während ihres Freiwilligen Ökologischen Jahres gemerkt, als sie im Umweltamt arbeitete.

"Ich habe von meinen Eltern mitbekommen, dass man sich informieren soll und es okay ist, sich aufzuregen, wenn einem was nicht passt", sagt sie. Den Wirbel um die angeblich so gefährlichen Chlorhühnchen versteht Elisabeth gar nicht: "Die Leute sollten sich eher darüber aufregen, dass man nichts weiß über die Verhandlungen. Da sollen nicht nur die großen Firmen informiert werden, sondern auch die Bürger." Dass Unternehmen möglicherweise das Recht bekommen sollen, vor ISDS-Schiedsgerichten klagen können, wenn sie sich um Gewinne betrogen fühlen, stört die junge Frau ebenfalls.

Wobei Pertl - und auch das ist typisch für viele TTIP-Kritiker - den komplexen Mechanismus hinter ISDS (die kryptische Abkürzung steht für investor state dispute settlement) nicht genau erklären kann und auch den genauen Stand der Gespräche nicht kennt. Es geht weniger um Fakten, als um das Gefühl, dass hier etwas in die falsche Richtung läuft. Sie verfolge nicht ständig im Internet, was es an Gerüchten gebe, sagt Elisabeth. "Ich höre Radio und wenn ich Zeit habe, dann google ich nach TTIP und lese die neuesten Nachrichten." Über Newsletter bekommt sie Informationen von Attac und Campaign, doch auf Twitter ist sie nicht aktiv. Dabei wurde dort und vor allem auf Facebook mächtig für ihre Petition geworben.

Das klingelnde Handy erinnert Elisabeth an die Uhrzeit: Sie muss die Waldrappe füttern. Mit Gummistiefeln an den Füßen und geschützt durch die langen Ärmel des Kapuzenpullis steigt sie in die Voliere, um die Vögel mit Rinderherzen zu füttern. Die Tiere krächzen, ziehen an Elisabeths dunklen Haaren und zwicken ab und zu mit ihren krummen Schnäbeln zu.

Nach einer Viertelstunde dreht sich wieder alles um die Anti-TTIP-Petition. "Mir war überhaupt nicht klar, wie groß das werden kann", sagt sie. Dass sie einige Passagen ihrer Petition von der Website der Aktivistenplattform Campact übernommen hat, gibt sie zu: "Ich kann nicht damit angeben, dass ich das so gut formuliert habe. Aber dort stand alles, was mich beunruhigte." Sie steht zu ihrer Naivität ebenso wie zu ihrem Engagement.

Angst, dem wichtigen Anliegen nicht gerecht zu werden

Die Regularien sehen vor, dass der Antragsteller 30 Minuten vor dem Petitionsausschuss seine Bedenken vorträgt und danach mit den Bundestagsabgeordneten diskutiert. Als ihr ein Bekannter, der sich beim Umweltinstitut München gegen TTIP engagiert, dieses Prozedere geschildert habe, sei sie erschrocken. "Ich will der Sache gerecht werden und habe selbst nicht die Zeit, mich in alle Details einzuarbeiten", erzählt Pertl. An Selbstbewusstsein mangelt es ihr eigentlich nicht, auch im Gespräch ist sie aufmerksam und schlagfertig, doch sie fühlt: "Das ist eine Nummer zu groß."

Wochenlang ringt Pertl mit sich, berät mit Freunden und Familie, was sie tun soll. Denn natürlich weiß die junge Frau, dass sie mit ihrer Geschichte möglicherweise eine andere Wirkung erzielen würde als die üblichen Aktivisten. Sie kommt aus der Mitte der Gesellschaft und hat genau jenes Gefühl des Unbehagens, das so viele Deutsche gerade haben. Erst im September, nachdem sie das Waldrapp-Team verlassen hat, trifft sie ihre Entscheidung. Sie wird mit vielen Freunden nach Berlin fahren, um im Bundestag bei der Anhörung von Petition 48994 dabei zu sein, aber sie wird nicht ans Rednerpult treten. Die Angst, sich zu verhaspeln oder etwas Falsches zu sagen, ist zu groß - und so wird sie den Bekannten vom Umweltinstitut München für sich sprechen lassen.

Für die Anhörung im Bundestag wird Elisabeth einige Vorlesungen verpassen. Im Oktober hat sie nach einem Umzug ihr Studium begonnen, sie will sich auf Naturschutz und Umweltplanung spezialisieren. "Die Uni ist mir gerade am wichtigsten, darauf will ich mich konzentrieren", sagt sie. Aber wie geht es weiter mit ihr und dem Anti-TTIP-Protest? Pertl ist sicher: Je mehr Leute vom Inhalt des Freihandelsabkommens erfahren, umso eher wird es doch noch gestoppt. Und ja, sie wolle sich weiter gegen das Abkommen engagieren, sagt sie, aber im kleinen Rahmen, "eher mit Bekannten im persönlichen Gespräch".

Wenn der Protest in Deutschland eine Symbolfigur braucht, dann muss das jemand anders machen. Denn Elisabeth Pertl hat eine andere Vorstellung von ihrem Leben. Und sie ist keine, die sich davon so leicht abbringen lässt. Und eines ist gewiss: Sie hat mit ihrem Eintrag auf der Homepage des Bundestags schon viel mehr erreicht als viele andere Anti-TTIP-Aktivisten.

Linktipp: Alle weiteren Artikel über das Freihandelsabkommen TTIP von Süddeutscher Zeitung und Süddeutsche.de finden Sie auf dieser Themenseite.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2171045
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/infu/luk
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.