Freihandelsabkommen TTIP:Feuer unter Freunden

US President Obama meets with Congressional leaders at the White House in Washington

Harry Reid ist einer der wichtigsten Verbündeten von US-Präsident Obama - und gegen ein Freihandelsabkommen.

(Foto: REUTERS)

Demokraten gegen Obama: Gegner eines europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommens erhalten nun Unterstützung von den Demokraten im US-Kongress, darunter einer von Obamas wichtigsten Verbündeten. Auch in Europa formiert sich Widerstand.

Von Nikolaus Piper, New York, und Alexander Hagelüken

Im Krieg würde man so etwas "friendly fire" nennen, Beschuss aus den eigenen Reihen. Harry Reid, 74, ist Senator des US-Bundesstaates Nevada, Mehrheitsführer der Demokraten im Senat und einer der wichtigsten Verbündeten von Barack Obama. Für den Präsidenten ist es ohnehin schwierig, im Kongress etwas zu erreichen, ohne Reid ist es unmöglich. Dieser Harry Reid erklärte nun vorige Woche überraschend, er sei nicht bereit, ein "Fast-Track"-Gesetz zu unterstützen, das es dem Präsidenten erlauben würde, internationale Handelsverträge beschleunigt durch den Kongress zu bringen.

Es war ein empfindlicher Schlag für Obama. Zu seinen Zielen gehört es, die US-Exporte zu fördern und so neue Jobs zu schaffen. Nach anfänglichem Zögern hatte er sich auch hinter das Projekt einer transatlantischen Freihandelszone gestellt. Und genau dieses Abkommen - die Transatlantic Trade and Investment Partnership - könnte Opfer der neuen Taktik Reids werden. "Fast Track" gehört zu den Feinheiten der Gesetzgebungsmaschine Washingtons, das Prinzip ist aber einfach: So kann der Kongress komplexe Handelsverträge der USA auseinandernehmen und über jeden Punkt einzeln abstimmen.

Damit hätten die Senatoren und Abgeordneten die Möglichkeit, sich einfach die für sie angenehmsten Teile eines Abkommens herauszupicken - kein Handelspartner der USA könnte sich auf so etwas einlassen. Damit die Regierung überhaupt Handelsabkommen abschließen kann, muss der Kongress auf sein Recht der Einzelabstimmung verzichten. Dieser Verzicht wird in einem "Fast-Track"-Gesetz festgehalten - und genau dem verweigert sich Reid jetzt.

Die Gewerkschaften als Verbündete der Demokraten sind skeptisch

Über seine Motive muss man nicht lange spekulieren: Im November stehen in den USA Kongresswahlen an, und die Demokraten müssen kämpfen, um ihre Mehrheit im Senat zu halten und ihren Rückstand im Repräsentantenhaus nicht größer werden zu lassen. Dabei sind die Gewerkschaften als Verbündete der Demokraten von zentraler Bedeutung. Und die sind dem Freihandel gegenüber traditionell skeptisch eingestellt.

Konkret geht es ihnen weniger um das transatlantische Abkommen TTIP - es wird in der amerikanischen Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen -, sondern um das Abkommen TPP mit elf Anrainerstaaten des Pazifik. Die Gewerkschaften fürchten, mehr Freihandel werde lediglich dazu führen, dass noch mehr Jobs aus Amerika nach Asien exportiert werden. Der Gewerkschaftsbund AFL-CIO lancierte eine Petition, um "Fast Track" zu stoppen. Die zuständige Referentin, Celeste Drake, erklärte, notwendig sei ein "neuer Ansatz in der Handelspolitik, der uns allen Vorteile bringt und nicht nur ein paar Privilegierten".

Genveränderte Lebensmittel und hormonbehandeltes Fleisch?

Der Protest der US-Gewerkschaften mag sich gegen den Freihandel im Pazifik richten, er könnte aber auch das transatlantische Abkommen zu Fall bringen. Der Grund: Auch in Europa wird TTIP zunehmend unpopulärer. Beim Start der Verhandlungen vor einem Jahr war die Freihandelszone zunächst ein Thema für Experten. Inzwischen haben globalisierungskritische Gruppen ihre Anhänger gegen TTIP mobilisiert und im Netz allein in Deutschland 330 000 Stimmen für einen Stopp gesammelt. Die Kritiker fürchten, die USA wollten genveränderte Lebensmittel, hormonbehandeltes Fleisch oder mit Chlor desinfizierte Hühnchen exportieren.

Zum Hauptstreitpunkt hat sich der Investorenschutz entwickelt. Dabei geht es um eine Regelung, nach der ein ausländischer Investor vor Schiedsgerichten auf Schadensersatz klagen kann, wenn er durch den Politikwechsel seine Rechte verletzt sieht. Freihandelsgegner fürchten, dass ausländische Unternehmen so nationale Standards aushebeln könnten. Als Beispiel gilt ihnen der Fall Lone Pine.

Das Unternehmen mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware hatte von der kanadischen Regierung das Recht erworben, in Quebec nach unkonventionellen Gasvorkommen zu bohren. Kurze Zeit danach verhängte die Provinz Quebec ein Moratorium über das "Fracking"-Verfahren, mit dem das Erdgas gefördert wird. Daraufhin klagte Lone Pine auf 250 Millionen Dollar Schadensersatz und berief sich dabei auf das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta.

Weitere Hürden werden erwartet

EU-Handelskommissar Karel de Gucht sieht sich unter Druck und bereitet eine öffentliche Anhörung der Kritiker vor. Gleichzeitig rief er Europas Regierungen auf, für das Abkommen zu werben. Doch so ganz kann er sich ihrer Unterstützung nicht mehr sicher sein. Auf einer Sitzung des handelspolitischen Ausschusses der EU in Brüssel zitierte der deutsche Vertreter eine zunehmende Ablehnung in der Öffentlichkeit. Er erklärte kühl, Investorenschutz per Klagerecht gehöre nicht zu den offensiven Interessen Deutschland, "wie allgemein bekannt". Als dann noch der französische Vertreter spezielle Investorenklagen generell ablehnte, stand de Gucht ohne die beiden größten Mitgliedsstaaten da.

Auch Rolf Langhammer, Handelsexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hält den Investorenschutz für heikel. Bisher seien die Klagerechte begrenzt. "Wenn die Amerikaner so was pushen, fragt man sich sofort: Warum? Wird die heimische Gerichtsbarkeit unterlaufen?" Er erwartet zwar mehr Wachstum durch ein Abkommen, sieht aber noch weitere Hürden.

Die Gesetze seien zwischen den USA und Europa nur schwer anzugleichen: "Bei Konflikten um Gesundheit oder Umwelt sind die Amerikaner pro Handel, die Europäer nach dem Vorsichtsprinzip im Zweifel dagegen". Schwierig werde auch der Export von Informationstechnik und Finanzprodukten nach Europa. "Da kommt die NSA-Affäre mit dem Datenschutz hoch." Tatsächlich forderten mehrere europäische Politiker, die Verhandlungen um TTIP wegen der Spionageaffäre auszusetzen.

Die Befürworter des Freihandelsabkommens betreiben Schadensbegrenzung. Obamas Handelsbeauftragter Michael Froman versicherte den Europäern in der Financial Times, ein gutes Abkommen werde die Unterstützung im Kongress finden. Siemens-Chef Joe Kaeser warb im Wall Street Journal für TTIP: "So eine Partnerschaft könnte als entscheidender Schritt zur Reindustrialisierung der Vereinigten Staaten und zur Erneuerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas dienen." EU-Handelskommissar De Gucht und sein amerikanischer Partner Froman werden am 17. Februar in Brüssel zusammentreffen. Dann geht es um die Vorbereitung der vierten Verhandlungsrunde für TTIP im März.

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