Freihandelsabkommen mit USA:Wie Bürger TTIP stoppen sollen

Protestaktion gegen das EU-US-Freihandelsabkommen TTIP

TTIP-Gegnerinnen beim Protest in Berlin

(Foto: dpa)

Widerstand formiert sich: Mit Unterschriften wollen europäische Aktivisten das geplante Handelsabkommen mit den USA zu Fall bringen. Dazu muss auch in Süd- und Osteuropa die Wut wachsen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Ständig geht es um Zahlen. Die Frage ist nur: Welche davon sind falsch und welche richtig? Wenn die Europäische Union und die USA ihr geplantes Freihandelsabkommen TTIP abschließen, hat das Auswirkungen auf 800 Millionen Menschen. Wie viele Arbeitsplätze dadurch entstehen oder abgebaut werden, wie viel Geld jeder Europäer angeblich pro Jahr mehr verdient - darüber streiten EU-Kommission, Industrieverbände und die zahlreichen TTIP-Kritiker seit Monaten.

Michael Efler und John Hilary haben sich in den vergangenen Wochen vor allem mit einer Zahl beschäftigt: In gerade mal 200 Buchstaben mussten sie ihre Einwände gegen das Abkommen beschreiben, um die Europäische Bürgerinitiative "Stop TTIP" anmelden zu können. So wollen sie den Widerstand gegen den transatlantischen Vertrag stärken, der nach ihrer Ansicht auf ebenso intransparente wie undemokratische Weise ausgehandelt wird - und jene staatliche Regulierung gefährdet, die Europas Bürger derzeit vor der Willkür von Unternehmen schützt.

Ziel der Aktivisten: Mindestens eine Million Bürger in sieben EU-Staaten müssen online oder auf Papier unterschreiben. Gelingt dies, gilt die Europäische Bürgerinitiative (EBI) als angenommen, die EU-Kommission muss Stellung beziehen und es kommt wohl zu einer Debatte im Europäischen Parlament (Hintergründe hier.)

Deutsche Zustände auf Europa übertragen

"Um die Diskussion in Deutschland voranzubringen, brauchen wir die Europäische Bürgerinitiative nicht", gibt Michael Efler von der Berliner NGO "Mehr Demokratie" zu. Zwischen Brandenburg und dem Bodensee wüssten immer mehr Menschen, dass die Verhandlungen intransparent seien und sich auch viele Abgeordnete schlecht informiert fühlen. EBI-Koordinator Efler und seine Mitstreiter wollen vielmehr dafür sorgen, dass in Süd- und Osteuropa überhaupt bekannt wird, was sich hinter der Abkürzung TTIP verbirgt - und wieso das Abkommen alle EU-Bürger angehen sollte. Zwar ist für den 11. Oktober ein dezentraler, europaweiter Aktionstag geplant, doch insgesamt fehle es an einer länderübergreifenden Strategie, so Efler.

Bisher unterstützen 148 Organisationen aus 18 EU-Staaten den schlichten Satz aus der EBI: "Wir fordern die EU-Kommission auf, dem Rat zu empfehlen, das Verhandlungsmandat über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) aufzuheben sowie das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) nicht abzuschließen."

"Es geht um europäische Werte"

Wie unterschiedlich das Interesse in den verschiedenen Ecken Europas ist, zeigt sich auf der Pressekonferenz in Brüssel, wo "Stop TTIP" präsentiert wird: Im Publikum sitzen vor allem deutschsprachige Journalisten. Ihnen erläutern Efler, Karl Bär vom Umweltinstitut München und der Brite John Hilary von der Anti-Armuts-Initiative "War on Want" nun ihre Bedenken. Hilary zufolge steht bei TTIP nicht der Abbau der ohnehin schon niedrigen Zölle zwischen beiden Seiten im Mittelpunkt, sondern der Kernbestand europäischer Werte: "Es geht hier um unsere Arbeitnehmerrechte, Lebensmittel- und Umweltschutzstandards."

Gerade Agrarunternehmen (mehr über deren Lobbyarbeit hier) und Chemie-Industrie kämpften darum, das in Europa geltende Vorsorgeprinzip auszuhöhlen, sagt Hilary. Das Prinzip besagt, dass Unternehmen erst selbst die Unbedenklichkeit ihrer Produkte beweisen müssen, bevor diese zugelassen werden - in den USA liegt die Beweispflicht dagegen beim Staat. Das könnte wegen TTIP auch Europa blühen, fürchten die Aktivisten. Zudem fordern die Konzerne, frühzeitig über geplante Gesetzesvorhaben informiert zu werden, die sie betreffen: "Das ist nichts anderes als ein Recht auf Lobbyismus." Der Brite Hilary sorgt sich zudem vor allem um die Privatisierung des Gesundheitssystems (mehr über die Debatte in Großbritannien hier).

Gefahr für die Demokratie

Michael Efler von der Nichtregierungsorganisation "Mehr Demokratie" sagt, dass die geplanten Abkommen TTIP und CETA (zwischen Kanada und der EU) die Demokratie gefährden: "Die Geheimnistuerei ist inakzeptabel." Er stört sich vor allem an der geplanten Investorenschutzklausel, die Konzernen das Recht geben würde, Staaten vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen.

Efler ist wie viele andere Kritiker überzeugt, dass dieses Instrument völlig unnötig ist, da sowohl die USA als auch die EU-Mitglieder Rechtsstaaten seien. Bei Problemen sollte dieser Weg auch ausgeschöpft werden. "Es gibt keine Anzeichen, dass ausländische Unternehmen in USA beziehungsweise in der EU diskriminiert werden." Ein Vertreter eines deutschen Arbeitgeberverbandes hätte ihm im Vertrauen die Zahl der Mitgliedsunternehmen mitgeteilt, die sich auf Nachfrage des Verbands über rechtliche Schwierigkeiten beschwert hätten, so Efler. Die Zahl war: null.

Die 2009 im Lissabon-Vertrag verankerten Zahlen für eine erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative werden Efler, Hilary und ihre Mitstreiter von Attac, BUND oder dem deutschen Kulturrat (hier die Liste alle Unterstützer) wohl erreichen. Die Aktivisten von Campact haben allein in Deutschland 700.000 Unterschriften gesammelt, in Großbritannien ist die Gewerkschaft Unison mit mehr als einer Million Mitgliedern dabei.

Bevor sich die Organisatoren an die mühsame und kleinteilige Arbeit machen können, in Ländern wie Rumänien, Polen, Ungarn oder der Slowakei Menschen für den Kampf gegen TTIP zu gewinnen und Unterschriften zu sammeln, ist zunächst die EU-Kommission am Zug. Sie hat bis Mitte September Zeit, die rechtliche Zulassung der "Stop TTIP"-Initiative zu prüfen. Erst wenn die EU-Kommission ihr Okay gibt, können die Bürger unterschreiben. Da die Kommission jedoch das Mandat bekommen hat, über das Freihandelsabkommen zu verhandeln, zweifelt Michael Efler nicht an der Zustimmung.

Sollte der Antrag doch von der EU-Kommission abgelehnt werden, dann würde dies in der europäischen Anti-TTIP-Szene einen Aufschrei auslösen und neues Engagement freisetzen - zumindest in Staaten wie Deutschland, Österreich und Luxemburg. Dort wissen viele Bürger mittlerweile immerhin, was sich hinter dem Kürzel TTIP verbirgt.

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