Freihandelsabkommen:Experten wollen den umstrittenen Investorenschutz ganz tilgen

Beispiel öffentliche Beschaffung: Wenn US-Städte den Neubau eines Kindergartens oder die Anschaffung neuer Fahrzeugparks ausschreiben, gehen sie häufig noch weit unverblümter vor als die Europäer: Wegen spezieller "Buy American"-Klauseln kaufen sie schon aus Prinzip nur amerikanische Produkte. Freier Handel hat hier keine Chance. Die EU pocht darauf, die öffentliche Beschaffung künftig auch für europäische Firmen zu öffnen, und das nicht nur in amerikanischen Städten, sondern auch bei Firmen wie der Eisenbahngesellschaft Amtrak oder der staatlichen Luftfahrtbehörde. Erstmals sollen diese Forderungen nun ausgetauscht werden. Das Problem: Viele der Klauseln sind Gesetze einzelner Bundesstaaten - und da hat die Zentralregierung in Washington wenig Einfluss. Im übrigen verweisen US-Unterhändler darauf, EU-Firmen machten schon jetzt gute Geschäfte mit der öffentlichen Hand jenseits des Atlantiks.

Beispiel regulatorische Kooperation: Auch durch leichtere Zulassungsverfahren ließe sich der Handel auf Touren bringen. Produkte, die auf der einen Seite des Atlantiks schon alle Genehmigungen haben, müssten dann auf der anderen nicht noch einmal aufwendigen Testverfahren unterzogen werden. Dazu sollen beide Seiten auch frühzeitig darüber sprechen, was sie an Regulierungen bestimmter Bereiche vorhaben. Auch das enthält Sprengkraft, denn vor allem die Europäer befürchten, die USA könnten auf diese Weise Einfluss auf staatliche Vorgaben nehmen. Das wollen sie verhindern. Erstmals wollen beide Seiten diese Woche Textvorschläge präsentieren. "Der Punkt ist lösbar", heißt es in Verhandlungskreisen.

Der Investorenschutz ist und bleibt das schwierigste Kapitel

Das lässt sich für eine andere Baustelle so nicht sagen - das "I" in TTIP, der Investorenschutz. Es ist das schwierigste und eines der emotionalsten Kapitel. Die Verhandler müssen hier festlegen, wie sich Unternehmen von der jeweils anderen Seite des Atlantiks wehren können, wenn sie gezielt diskriminiert werden. In bisherigen Handelsabkommen gab es für solche Fälle private Schiedsgerichte. Sie tagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Anwälte der betroffenen Staaten und Unternehmen tauschten hier ihre Argumente aus. Nicht selten endeten solche Verfahren in einem Vergleich.

TTIP-Kritiker fürchten, dass amerikanische Unternehmen so unverhältnismäßig viel Einfluss erlangen könnten: Schon aus Angst vor milliardenschweren Klagen könnten sie auf Gesetzgebung verzichten, die US-Investoren nicht gefällt. Die EU-Kommission hat deshalb einen neuartigen Schiedsgerichtshof vorgeschlagen, der nicht nur öffentlich tagt, sondern auch mit ordentlichen Richtern. Selbst eine Berufungsinstanz sieht der Vorschlag vor. Nur halten die USA seit jeher wenig von derlei überstaatlichen Gerichten, auch an Sinn und Zweck des EU-Konstrukts hegen sie Zweifel. Kommende Woche wird erstmals darüber verhandelt.

Schon fordern Experten, dieses Thema ganz zu tilgen. "Der Investitionsschutz ist für die Europäer toxisch", sagt Sebastian Dullien, Ökonom an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. "Es gibt keinen zwingenden Grund, diesen Bereich in das Abkommen aufzunehmen." Stattdessen gefährde dieses eine Kapitel alle Handelsvorteile, die das Abkommen bringen könnte. Im deutschen Wirtschaftsministerium findet dieser Ansatz wenig Freunde. "Es darf kein TTIP light geben", sagt Matthias Machnig, zuständiger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. "Wir brauchen ein Abkommen, das beim Investitionsschutz eine neue Architektur auf rechtsstaatlicher Grundlage festschreibt." Noch gebe es die Chance, zu einer Einigung über TTIP zu kommen, sagt Machnig. "Aber die Uhr tickt."

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