Die Kritiker, und es sind ihrer sehr viele, halten den Ceta-Vertrag für einen Dr.-Jekyll-und-Mister-Hyde-Vertrag. Sie halten diesen Vertrag für einen Vertrag, der von der Politik schön und gefällig präsentiert wird, der aber einen Abgrund öffnet, in den Demokratie und Rechtsstaat stürzen könnten. Die acht Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts unter Vorsitz von Präsident Andreas Voßkuhle halten diese Befürchtung nicht für unsinnig - sonst hätten sie nicht auf die Schnelle und noch kurz vor der Vertragsunterzeichnung substanziell verhandelt. Es geht dabei darum, die Substanz und den Kern der parlamentarischen Demokratie zu bewahren.
Die Sorge um diesen Kern ist keine Hysterie. Der Ceta-Vertrag überträgt nämlich die Kompetenzen zur Interpretation, Fortschreibung und Veränderung dieses Vertrages an ein kanadisch-europäisches Experten-Gremium, das sich gemischter Ausschuss nennt. Wenn dieser Ausschuss, wenn dieses Ceta-Steuerungsorgan ein Eigenleben entwickelt und also Dinge entscheidet, die eigentlich die Parlamente entscheiden müssten - dann wäre das so eine Art politisches Outsourcing. Dann würde etwa über die Verfahrensordnung für Schiedsgerichte ein Gremium entscheiden, das keine demokratische Legitimation hat und politisch nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Das wäre nicht demokratisch, das wäre expertokratisch; das wäre eine Entleerung des Wahlrechts, vor der das Karlsruher Verfassungsgericht zu Recht immer wieder gewarnt hat.
So ein Expertengremium ist nicht nur im Ceta-Vertrag mit Kanada festgeschrieben, sondern auch in den Entwürfen für den TTIP-Freihandelsvertrag mit den USA. Dort heißt das Gremium "Rat für regulatorische Kompensation". Wenn originär parlamentarische Aufgaben auf ein Expertengremium übertragen würden, wäre das ein Profi-Fehler. Warum? Auch beim klassischen Outsourcing in Wirtschaftsunternehmen dürfen nur sekundäre Aufgabenfelder ausgelagert werden - so dass das Unternehmen sich auf das Kerngeschäft konzentrieren kann.
Kerngeschäft der Demokratie ist aber die Entscheidung grundsätzlicher Fragen im Parlament; solche Entscheidungen kann und darf man nicht auslagern. Exakt das ist das wichtigste Problem, um das es im Karlsruher Eilverfahren geht. Viele andere Probleme, die der Ceta-Vertrag mit sich bringt, werden nicht im Eil-, sondern erst im Hauptverfahren geklärt. Im Eilverfahren müssen die Richter entscheiden, wie groß die Ceta-Gefahr für die parlamentarische Demokratie ist - und ob diese Gefahr durch schnelle Auflagen entschärft werden kann.
In der Formulierung aller möglichen Varianten von "Ja, aber" ist das Verfassungsgericht in den EU-, Euro- und Rettungsschirm-Urteilen der jüngsten Vergangenheit erfinderisch gewesen. Das wird wohl auch diesmal so sein. Die Verfassungsrichter können dem einen "Aber" noch ein zweites und drittes anfügen. Aber dann ist irgendwann Schluss. Karlsruhe schreibt mit letzter Tinte.