Freihandelsabkommen:Das sind die Knackpunkte der TTIP-Verhandlungen

Partnerlandes USA auf Hannover Messe

So werben mehrere Wirtschaftsverbände auf der Hannover Messe: "Yes - we want TTIP."

(Foto: dpa)
  • Die EU und die USA wollen die Verhandlungen über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP noch in diesem Jahr abschließen.
  • In Berlin gibt es Befürchtungen, dass andernfalls das ganze Abkommen auf dem Spiel steht. Denn im nächsten Jahr amtiert in den USA ein neuer Präsident.
  • In den Verhandlungen gibt es noch viele strittige Punkte. Ein Überblick.

Von A. Hagelüken, A. Mühlauer und J. Willmroth

Wenn US-Präsident Barack Obama am Sonntag in Deutschland landet, hat er das Ziel fest im Blick. Auch wenn ihn TTIP-Gegner mit Protestplakaten begrüßen, denn nirgends ist der Widerstand größer und lauter als in Deutschland. Obama will das lange geplante Handelsabkommen mit Europa noch in diesem Jahr abschließen. Denn ab 2017 amtiert ein neuer Präsident mit womöglich anderen Prioritäten.

Misslingt die baldige Einigung, wird erst Ende 2017 weiterverhandelt. Es ginge also ein Jahr verloren. Mindestens. Im Berliner Kanzleramt gibt es Befürchtungen, dann stehe das ganze Abkommen auf dem Spiel. Um aber dieses Jahr einen Deal zu schaffen, müssten bis Sommer die allgemeinen Themen abgeräumt sein und ein fertiger Entwurfstext stehen, damit fürs Endspiel im Herbst nur große politische Fragen übrig sind. EU-Kommissarin Cecilia Malmström erhöht das Tempo: In den vergangenen sechs Wochen traf sie vier Mal US-Konterpart Mike Froman. In der kommenden Woche beginnt die 13. Verhandlungsrunde in New York.

Dabei gibt es einige Unwägbarkeiten. In den USA muss noch das transpazifische Handelsabkommen TPP durch den Kongress. Neben den Deutschen entdecken die Niederländer den Protest und sammeln Stimmen für ein Referendum. Wenn sich die Verhandler nicht in strittigen Fragen einigen, wäre ein abgespecktes Abkommen die logische Folge. Worauf sich die Parteien nicht verständigen können, würde einfach ausgespart. "TTIP light" ist in Brüssel zum Schlagwort geworden. Damit würden aber einige der ursprünglichen Ziele verfehlt. Worüber wird genau gestritten? Hier eine Übersicht über wichtige Punkte.

Landwirtschaft

Ohne Vorteile für die mächtige amerikanische Agrar-Lobby gibt es wohl kein Abkommen. Die USA sind etwa sehr auf ihre Milch- und Fleischhersteller bedacht und wollen komplett zoll- und quotenfrei nach Europa liefern. "Wir exportieren mehr Käse nach Trinidad & Tobago als in die Europäische Union", sagt ein US-Vertreter. Die EU-Lebensmittelexporte nach Amerika seien mit 26 Milliarden Dollar doppelt so hoch wie umgekehrt. Wer mit US-Akteuren in Washington und Brüssel spricht, versteht: Der US-Kongress akzeptiert kein Abkommen, das dieses Ungleichgewicht zementiert. Die Europäer wollen für die meisten Produkte quotenfreie Importe zugestehen, aber beispielsweise nicht für Fleisch. Die Details sind ein Fall fürs Endspiel.

Unbeugsam gibt sich Brüssel, wenn die USA Europas Restriktionen für Genfood oder Hormonfleisch anzweifeln, weil diese wissenschaftlich unhaltbar seien. Bei diesen faktischen Einfuhrverboten will Brüssel keinen Millimeter nachgeben. Verbraucherschutz ist sakrosankt, schon weil das EU-Parlament TTIP sonst nie zustimmt.

Selbst große Interessen hat Europa dagegen beim Schutz geografischer Herkunftsangaben wie italienischem Parmesan. Der darf in Europa nur unter diesem Namen verkauft werden, wenn er aus bestimmten Regionen stammt. US-Vertreter seufzen oder schütteln den Kopf: Sie halten das für eine Handelsschranke. Brüssel sagt: Wenn die Amerikaner mehr Lebensmittel exportieren wollen, müssen sie im Gegenzug in US-Supermärkten unsere Herkunftszeichen schützen.

Sorge um Umweltstandards

Investitionsschutz

Der Schutz von Investoren ist eines der schwierigsten Kapitel. Die Verhandler legen hier fest, wie sich Unternehmen von der jeweils anderen Seite des Atlantiks wehren können, wenn sie sich diskriminiert sehen. In bisherigen Freihandelsabkommen wurden dafür private Schiedsgerichte bestimmt. Weil Kritiker das als Aushebelung des Rechtsstaats geißeln, schlägt die EU stattdessen einen öffentlichen Gerichtshof und eine Berufungsinstanz vor. Zudem soll das Prinzip gelten, dass Investorklagen keine bestehenden Gesetze aushebeln dürfen.

Der letzte Punkt dürfte mit den Amerikanern zu machen sein, bei den anderen beiden ist es unklar. Dem Vernehmen nach haben die USA einen Gegenvorschlag entlang der Linien des transpazifischen Abkommens TPP gemacht: Transparentere Schiedsgerichte als bisher soll es geben, mit Verhandlungen live im Netz, an denen Vertreter der Zivilgesellschaft teilnehmen dürfen. Aber eben: Keine öffentlichen Richter, keine Berufung, wie Brüssel fordert. Sollten sich die USA nicht genug bewegen, erwägen EU-Staaten als Druckmittel einen Verzicht auf den Investorenschutz, also das "I" in TTIP. Dann müssten die USA hinnehmen, dass Firmen nicht besonders geschützt werden.

Öffentliche Aufträge

Was den Amerikanern die Landwirtschaft, ist der EU die Öffnung des Marktes für öffentliche Aufträge. In der jüngsten Verhandlungsrunde wurde darüber erstmals gesprochen. Die Positionen könnten nicht unterschiedlicher sein, beim Thema sei es "sehr, sehr haklig", heißt es aus Brüssel. Ausschreibungen in den USA unterliegen häufig "Buy American"-Bestimmungen: Baut ein Bundesstaat einen neuen Highway oder braucht eine Behörde neue Fahrzeuge, kaufen sie aus Prinzip nur amerikanische Produkte. Gewinnt eine EU-Firma einen Auftrag, muss sie US-Produkte einsetzen. Washington behauptet, auf die Bundesstaaten keinen Einfluss zu haben. Brüssel kontert, Washington könnte EU-Firmen zumindest bei den jährlich mit 400 Milliarden Dollar aus Washington geförderten Projekten der Bundesstaaten ins Spiel bringen. Und Transparenz der Ausschreibungen in einer Datenbank wie in Europa erzwingen. Die USA halten dagegen: Nach ihren Daten haben US-Firmen gemessen am Dollarbetrag nur Zugang zu weniger als der Hälfte aller Ausschreibungen in der EU. "Das ist kein Bereich, in dem wir den Europäern viel schuldig sind", sagt ein hochrangiger Vertreter der US-Regierung. Brüssel wirft Washington vor, falsche Zahlen zu streuen. Auch das: Etwas fürs Endspiel, das just mit dem Endspurt im US-Wahlkampf zusammenfällt.

Standards

Kritiker befürchten, Europa könnte den Schutz von Umwelt, Arbeiterrechten und Verbrauchern opfern. Solche Forderungen hat sich die US-Regierung aber abgeschminkt, heißt es aus Brüssel. Großes Interesse hat Europa aber an der Veränderung von Produktstandards für neun Branchen von Chemie bis Maschinenbau. Wenn beide Seiten gegenseitig Inspektionen in Pharmabetrieben anerkennen, sparen die Firmen viel Zeit und Geld. Auf solche Vereinbarungen ließen sich die Amerikaner nun erstmals ein - ein Hoffnungsschimmer in schwierigem Gelände.

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