Freihandelsabkommen Ceta geleakt:521 Seiten Stoff für Zoff

Das Ceta-Abkommen zwischen EU und Kanada ist jetzt öffentlich. Das Kapitel zu den Schiedsgerichten sollte die Kritiker besänftigen - und stößt gleich auf Widerstand. Was in dem umstrittenen Vertrag steht.

Von Andrea Rexer, Vancouver, und Jannis Brühl

Man kann den Autoren des Vertrages nicht vorwerfen, schmutzige Details zu scheuen: Die Anerkennung der Regeln zu "Blut und Blutprodukten, die nicht für menschlichen Verzehr geeignet sind" ist ebenso geregelt wie die von "Knochen, Hörnern und Hufen".

Wirklich brutal finden die Gegner von Ceta, des Freihandelsabkommens zwischen EU und Kanada, aber eine Textpassage, die weniger nach Metzgerei klingt: jene über den Investorenschutz. Das sind die Klauseln, die es Unternehmen ermöglichen, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen - und gegen die in den vergangenen Monaten Dutzende zivilgesellschaftliche Gruppen protestiert haben.

Nun ist ein Teil des Abkommens geleakt. Die ARD hat 521 Seiten des angeblich insgesamt 1500 Seiten langen Ceta-Vertrages veröffentlicht, der Investorenschutz steht in Kapitel 10 (PDF hier).

Ceta gilt als Blaupause für TTIP, das Freihandelsabkommen der EU mit den Vereinigten Staaten. Auch der Investorenschutz in TTIP ist umstritten. Kritiker auf beiden Seiten des Atlantiks fürchten milliardenteure Klagen internationaler Konzerne mit Sitz im jeweils anderen Land, zum Beispiel aus Pharma- oder Finanzbranche.

Versuche, den Vertragstext von Ceta vorher öffentlich zu machen, wurden von der Politik zurückgewiesen, zum Beispiel eine Anfrage des Blogs netzpolitik.org. Die Verhandlungen sind seit voriger Woche zu Ende, Staaten können aber noch Änderungen am Text durchsetzen.

Das Abkommen mit Kanada umfasst Regeln zu praktisch allen Wirtschaftsbereichen, in denen Kanada und die EU miteinander zu tun haben. Europäische Firmen sind vor allem daran interessiert, sich in Kanada leicht um öffentliche Ausschreibungen bewerben zu können. Es geht aber auch um Subventionen, um Einfuhrquoten für Produkte, die zwischen den Unterzeichnern gehandelt werden, das freie Anbieten von Dienstleistungen und Standards für Pflanzen und Lebensmittel.

Unternehmen wollen mit den Schiedsgerichten, in denen je drei Juristen über Klagen entscheiden, ihre Investitionen im Ausland absichern: Sie halten sie für einen Schutz gegen Enteignungen durch Staaten. Nationale Gerichten in anderen Ländern seien nicht immer vertrauenswürdig, argumentieren sie. Gegner der Schiedsgerichte werfen diesen dagegen vor, undemokratisch zu sein und intransparent zu verhandeln. Tatsächlich wird über viele Verfahren gar nichts bekannt, bei anderen halten eine oder beide Parteien Dokumente zurück.

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Ein erster Blick auf das Kapitel zum Investorenschutz in Ceta:

  • Die EU-Kommission hat einige Änderungen eingeführt, um Kritiker zu beruhigen. Sie hat versucht, klarer zu definieren, wann Unternehmen diskriminiert werden und wann nicht. Und sie hat deutlicher umrissen, was eine "Investition" ist, und was ein "Investor". Der muss nun "substanzielle Geschäftsaktivitäten" in dem Land haben. Diese Klausel soll Briefkastenfirmen Klagen verbieten, die nur in Erscheinung treten, um Geld aus Staatskassen herauszupressen. Allerdings lässt die Formulierung "substanzielle Geschäftsaktivitäten" natürlich Interpretationsspielraum.
  • Ein Vorwurf gegen die Schiedsgerichte lautet: Die Verfahren fänden im Geheimen statt. Aus der Klage des Energiekonzerns Vattenfall gegen Deutschland - der Konzern will Entschädigung wegen des Atomausstiegs - sind zum Beispiel praktisch keine Dokumente öffentlich. In Ceta hat die Kommission nun die so genannten Uncitral-Transparenzregeln (benannt nach der Handelsrechts-Kommission der UN) verankert, die eben erst verbessert wurden (Regeln auf Englisch als PDF). Grundsätzlich müssen Verfahren demnach öffentlich stattfinden, ein Großteil der Dokumente publiziert werden. Allerdings können die Richter die Öffentlichkeit immer noch von Teilen des Verfahrens ausschließen: wenn es um "vertrauliche oder geschützte Informationen" geht. Welche als als solche gelten, wird von den Schiedsrichtern entschieden.
  • Die Regeln könnte nationale Rechtssysteme schwächen, sagt Juraprofessor Steffen Hindelang von der Freien Universität Berlin nach einer ersten vorläufigen Sichtung des Vertrages: "Staatlichen Gerichten werden damit womöglich gar wichtige gesellschaftliche Streitfragen entzogen, sofern sie einen ausländischen Investor betreffen."
  • Ein Schiedstribunal besteht im Normalfall aus drei Schiedsrichtern. Deren Neutralität zweifeln Gegner immer wieder an. Wenn Investoren im Rahmen von Ceta gegen Staaten klagen, soll nun immerhin der dritte Schiedsrichter aus einer Liste mit 15 vertrauenswürdigen Namen ausgewählt werden. Diese werden von einem aus beiden Unterzeichnern gebildeten Komitee bestimmt. Die anderen beiden Schiedsrichter bestimmt je eine der beiden Streitparteien. Hindelang sieht dennoch keine wesentlichen Fortschritte, was die Unabhängigkeit der Schiedsgerichte angeht. "Da hat man die Chance auf eine grundlegende Verbesserung des Streitsystems vergeben: Solange man bei Ad-Hoc-Schiedsrichtern bleibt, besteht die Gefahr, dass diesen unterstellt wird, sie würden ihre eigenen finanziellen Interessen verfolgen." Denn die Schiedskammern sind keine ständigen Einrichtungen wie deutsche Gerichte, sie werden für jeden Fall neu gebildet ("ad hoc"). Ein möglicher Interessenskonflikt der Schiedsjuristen: Je öfter Investoren erfolgreich klagen, je mehr andere Firmen klagen, desto mehr Geld verdienen die Anwälte, die eigentlich unvoreingenommen sein sollen.
  • Die Passagen zum Investorenschutz entsprechen größtenteils bis auf den Buchstaben genau jenen, die die EU ihren Bürger unmittelbar vor dem Abschluss von Ceta online präsentiert und dazu nach ihrer Meinung gefragt hat - um die Antworten für die TTIP-Verhandlungen zu berücksichtigen. 150 000 Menschen und Organisationen kommentierten die Textabschnitte. Das Ergebnis wird erst im Herbst veröffentlicht, doch es darf davon ausgegangen werden, dass die kritische Stimmen überwiegen. Kenneth Haar von der globalisierungskritischen Organisation Corporate Europe Observatory findet es seltsam, genau diese Passagen jetzt in Ceta wiederzufinden: "Wenn die EU die Bedenken aus der Konsultation ernst nehmen würde, hätte sie kein Abkommen mit Klauseln zu Schiedsgerichten verabschiedet. Das lässt die ganze Konsultation aussehen wie eine Farce, eine PR-Übung." Er gibt zwar zu, dass die EU die Fragen mit Blick auf TTIP stellte, nicht auf Ceta. Aber die Menschen hätten ihre generelle Meinung zum Investorenschutz gesagt, nicht beschränkt auf das Abkommen mit den USA. Die Abstimmung hätte für Ceta nicht einfach ignoriert werden dürfen.
  • Ein Vorwurf gegen das System lautet, dass Staaten im Vergleich zu Unternehmen benachteiligt seien. Regierungen können verklagt werden, aber selbst nicht klagen. Vor allem können sie aber praktisch nicht in Berufung gehen, wenn sie zu einer Entschädigung verdonnert wurden - ein Unterschied zu nationalen Gerichtssystemen. Die Lösung dieses Problems wird in Ceta zwar angedeutet, aber nicht festgeschrieben: Das "Komitee für Dienstleistungen und Investitionen", das mit Vertretern Kanadas und der EU besetzt sein soll, soll entscheiden: "ob, und wenn, unter welchen Bedingungen" ein Berufungs-Mechanismus geschaffen werden könnte, um Urteile von Schiedsgerichten nochmals zu prüfen. Allerdings wurde solch eine Berufungsinstanz schon in anderen Investitionsabkommen verankert - auf dem Papier. Den politischen Willen, so eine Institution tatsächlich zu schaffen, gab es bisher nie.

Die Bundesregierung hat Investorenschutz in TTIP und Ceta für unnötig erklärt, nachdem sie Klauseln jahrzehntelang in Verträge mit ärmeren Ländern geschrieben hat. In Kanada, USA und EU seien die Rechtssysteme dagegen verlässlich genug, heißt es nun. Berliner Regierungskreise sagten der SZ allerdings, Deutschland sei sich "bewusst, dass es nicht das einzige Land in Europa ist." Berlin wird also wohl kaum wegen der Schiedsgerichte ein ganzes Abkommen aufhalten.

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