Freihandelsabkommen:Widerspruch gegen die Pläne des Kommissionspräsidenten

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Nun mögen Manche fragen, ob der Kommissionspräsident aus Unachtsamkeit, aus Ungeschicktheit gehandelt hat, etwa so wie der zuständige Handelskommissar de Gucht aus der Vorgänger-Kommission, der ja Jahre lang versucht hat, die Öffentlichkeit mit - sagen wir - bemerkenswert törichten Äußerungen in die Irre zu führen. Ich fürchte, mit Juncker ist es schlimmer: Ihm könnte es darum gehen, durch das EU-Kanada-Abkommen ohne lästige Einflussmöglichkeit der EU-Bürgerinnen und -Bürger jene "marktkonforme Demokratie" völkerrechtlich festzuschreiben, die ja auch Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag gerühmt hat.

Deren Einführung bedeutet den Abschied von einer kontrollierenden partizipativen Demokratie mit kontrollierender Öffentlichkeit zugunsten eines Systems, in dem die Wähler zwar Parlamente wählen können, in dem aber die wichtigen Entscheidungen von Bürokraten im Verein mit den Experten, sprich: den Wirtschafts-Lobbyisten längst vorher getroffen werden. Ein solches System wollen die Bürgerinnen und Bürger weder in ihren Staaten, noch auf europäischer Ebene.

Gestern konnte man auch Widerspruch gegen die Pläne des EU - Kommissionspräsidenten hören. Das ist gut und erfreulich. Auch Bundeskanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel haben widersprochen. Das reicht jedoch nicht aus, denn beide wissen, Juncker übrigens auch, dass nur ein einstimmiges Votum des Europäischen Rates den Vorschlag der EU- Kommission inhaltlich abändern kann. Beide müssen deshalb in Brüssel erreichen, dass Juncker seine Ankündigung unverzüglich, also vor Dienstag, zurücknimmt und inhaltlich korrigiert.

Das Europäische Parlament muss die Notbremse ziehen

Es darf also nicht bei dem bisherigen verbalen Widerspruch bleiben, weil sonst genau jener Verdacht nicht ausgeräumt wird, es werde wieder einmal mit verteilten Rollen jener Art gespielt, die wir in den letzten Jahren häufig erlebt haben: In Brüssel stimmt man zu oder wenigstens nicht dagegen und wenn dann zuhause Widerstand aufkommt, dann zeigt man anklagend mit dem Finger auf die Brüsseler Euro-Bürokraten. Auch das hat den Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in die EU dramatisch befördert.

Wichtig ist, dass auch das Europäische Parlament Flagge zeigt. Das kann und muss es tun: Dort muss ebenfalls die Notbremse gezogen und der EU - Kommission und dem Europäischen Rat klar erklärt werden, dass auch eine Vorabanwendung von CETA ohne vorherige inhaltliche Änderungen nicht in Frage kommt. Daran hängt die Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments, übrigens auch die von Merkel und Gabriel, die ja einflussreiche Vorsitzende großer Parteien sind.

Die EU als Zone des Friedens, der Demokratie und Menschenrechte, wie auch wachsender Solidarität steht auf der Kippe. Das ist gerade für die hartnäckigen Unterstützer eines Vereinten Europas kaum zu ertragen. Cameron mit seiner rein parteipolitischen Taktik hat gezündelt - und verloren. Die Häufen aus den Scherben der zerbrechenden Glaubwürdigkeit werden immer größer. Sehen Juncker und die Regierungsverantwortlichen die Zeichen an der Wand nicht? Wollen Sie sie nicht sehen?

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